Rezension von Ingobert Waltenberger.
Es gibt – in den seltensten Fällen – CDs, die von der ersten Sekunde an aufhorchen lassen, fesseln, begeistern. So wie das vorliegende Album mit allen Klaviertrios aus der Feder von Carl Philipp Emanuel Bach. Das Linos Klaviertrio mit dem thailändisch-britischen Pianisten Prach Boondiskulchok, dem in London geborenen Geiger mit deutsch-brasilianischen Wurzeln Konrad Elias-Trostmann und dem nicht minder tollen Cellisten Vladimir Waltham läutet wohl eine neue Runde im Triospiel ein. Das Trio hat sich den Namen des griechischen Halbgotts Linos, Sohn des Apollo und Bruder des Orpheus, mit seiner dreiseitigen Laute wohl zurecht angeeignet. So unerhört und epochal wie die unter dem harmlosen Titel Hausmusik einzuordnenden Kompositionen sind auch die Interpretationen des Linos Trios auf modernen Instrumenten. Mir ist ein Rätsel wie damals Amateure in der Lage waren, solche Partituren zu realisieren.
Die im Original als „Sechs Sonaten für Cembalo oder Pianoforte mit Begleitung einer Violine und eines Violoncell“ bezeichneten Werke (Wq 89) aus dem Jahr 1776 der ersten CD entziehen sich eigentlich jeder gängigen Einordnung. Mit Schmunzeln nehmen wir heute zur Kenntnis, dass Carl Philipp Emanuel Bach diese profitablen und beliebten Werke wohl ironisch gemeint als „mäßiges Machwerk“ bzw. als „Un- oder Mittelding“ beschrieb. 1776 und 1777 erschienen zwei weitere Bände Wq 90 und 91. Es waren, worauf der Pianist Boondiskulchok hinweist, weder Trios im herkömmlichen barocken Sinn der Triosonate mit zwei gleichrangigen Instrumentalstimmen und Continuo-Begleitung noch Soloklavierwerke noch Soli (Werke für verschiedenen Soloinstrumente und Continuo). Aber die Kompositionen strotzen nur so vor Originalität und Eigensinn, expressiver Gestik und – ähnlich wie bei Haydn – überraschenden dramatischen wie rebellischen Wendungen. Wir stellen uns Carl Philipp Emanuel Bach beim Schreiben dieser Werke vor, bisweilen wie ein Lausbub über die verzwickten „musikalischen Streiche“ kichernd. Und wir wollen kein Schelm sein, aber vielleicht auch mit dem Hintergedanken: „Papa, schau her“.
Für die Art des Musizierens des Linos Klaviertrios passt am besten der englischsprachige Ausdruck „thrilling“. Sie setzen den „Streichen“ des Carl Philipp Emanuel Bach noch eins drauf in der Drastik der Phrasierung, der Lust am motivischen Fährtenlesen und dem Aberwitz in der erzählerischen Struktur. Selbstverständlich können die drei Musiker seriös höfisch und virtuos sein, kurz ins Understatement rutschen, bevor sie eben wieder schräg „aus der Rolle“ fallen. Ereignishaft!
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