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Saint-Saëns „L’ Ancêtre“: Ein Verismo-Klassiker neu entdeckt

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Eleganz und Vendetta an der Côte d’Azur mit Camille Saint-Saëns’ konzertante Opera Lyrique „L’ Ancêtre“ in Monaco. Von Barbara Röder.

„Vendetta“, Blutrache auf Französisch, klingt immer elegant. Egal wie grausam, wie tödlich und fatal! „Vengeance“ von Camille Saint-Saëns, dem Tonmeister der Belle Époque, eloquent in die Kehle seiner Rache spuckenden Ahnin Nunciata komponiert, gurgelt dieser sämig seufzend den Schlund herunter.

Nunciata ist jene manipulative Ahnin, die in dem Drame Lyrique „L’Ancêtre” alle blutroten Fäden der Rache zieht. Hochbejubelt nach der Uraufführung im Februar 1906 an der l’Opéra de Monte-Carlo, war „L’Ancêtre” eine der sechs Opern von Saint-Saëns, die berühmteste unter ihnen ist „Samson et Dalila“, die an diesem traditionsträchtigen Ort Premiere feierte. Nach dem Siegeszug durch Europa (Paris, Brüssel), Algier und Kairo kehrte das Realismus spuckende Werk 1915 wieder nach Monaco zurück. 2024 erlebte „L’Ancêtre”, dieser lyrische Verismo-Goldbrocken, seine Wiedergeburt in der rein konzertanten Version. Wie schon Saint-Saëns‘ „Déjanire“ 2022 gingen auch diesmal der Palazzetto Bru Zane, das wunderbare Zentrum für französische Musik der Romantik in Venedig und das Orchestre Philharmonique de Monte-Carlo eine künstlerische Entdecker-Kooperation ein. Im Auditorium Rainier III (Monte-Carlo), unweit des Uraufführungsortes entfernt, feierte die konzertante „Wiederentdeckung „L’Ancêtre” unter dem feinfühlig wissenden Dirigat Kazuki Yamada und einer erlesenen Interpreten-Equipe ihren triumphalen Erfolg.

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Michael Arivony, Julien Henric, Hélène Carpentier, Jennifer Holloway, Gaëlle Arquez, Matthieu Lécroart: „L’Ancetre“ credit Frederic Nebinger,Direction de la communication

Camille Saint-Saëns und die Belle Époque: Eine musikalische Erfolgsgeschichte

Raoul Gunsbourg, legendärer Direktor der Opéra Monte-Carlo (1892 bis 1951), machte Monaco zu einem hippen, Eleganz und High Society atmenden „Place to be“. Die Pariser Oper und die Oper in Monte-Carlo waren im glitzernden Belle Époque-Zeitalter die angesagtesten Kultur- und Musentempel. Gunsbourg war nicht nur ein enger Freund von Jules Massenet, dessen Büste vor der Opéra thront, sondern ein künstlerischer Vertrauter von Saint-Saëns. Zehn Opern wurden von Massenet in Monaco uraufgeführt. Zwölf Opern schrieb Saint-Saëns. Gunsbourg inszenierte aber auch die Meisterwerke von Saint-Saëns. Natürlich auch dessen kurzweilige 100-minütige Racheoper „L’Ancêtre”. Dass all die wichtigen Pressevertreter über diese Premiere an der Côte d’Azur in den einschlägigen französischen Musikjournals berichteten, darf nicht vergessen werden.

Nach dem sensationellen Uraufführungserfolg der Cavalleria rusticana 1889 von Pietro Mascagni erfasste auch die kreativen Köpfe Frankreichs die Leidenschaft für realistische, naturalistische Verismo Sujets. Bei Mascagni rücken die bettelarmen Bauern Süditaliens mit ihrem harten, gnadenlosen Leben und deren Ehre, die es zu verteidigen gilt, in den Fokus des Veristen. Bei Saint-Saëns und seiner „L’Ancêtre” in drei Akten mit dem Libretto von Lucien Augé de Lassus sind es die Themen Blutrache, Hass, Vergeltung und ein fataler Schuss, welche dem packenden Melodrama innewohnen. Im Verlauf des Geschehens der Tragödie treffen zwei verfeindete Familien auf der kargen, von Bergen zerklüfteten Insel Korsika aufeinander; verortet zur Zeit des ersten napoleonischen Kaiserreichs um 1810. Zur intensiven Recherche und um korsisches Lokalkolorit zu schnuppern, begaben sich Camille Saint-Saëns und sein Librettist auf Napoleons Herkunftsinsel. Denn, 1904 äußerte Albert I, kunstsinniger Fürst von Monaco, den Wunsch nach einem Œuvre mit „Romeo und Julia“-Vendetta-Flair. Ein starker dramatischer Cocktail! Folglich sind in „L’Ancêtre” alle künstlerischen Komponenten vereint, die ein naturalistisches, veristisches und dennoch französisches, lyrisches Drama auszeichnen.

„L’ Ancêtre“ – Vendetta, Liebe und Tod auf Korsika

Liebliches Bienensurren erfüllt den Beginn des ersten Aktes. Sonnenstrahlen durchfluten die Wohnstätte des Eremiten Raphaël. Er schickt seine Bienen aus zum Honigsammeln. Die Gräber der in bitterer Feindschaft zueinanderstehenden Clans der Pietra Neras und Fabianis sind nicht allzu fern. „Die barbarische, blutige und unbeugsame Tradition, die von der Ahnin Nunciata verkörpert wird und die menschlicheren Gesetze der Vergebung, des Vergessens und des Friedens, die der Einsiedler Raphaël symbolisiert“ (Gabriel Fauré) treffen aufeinander. Die Bitte aller „Genug Blut, Tränen und Trauer! Von nun an gibt es keine Fehde mehr!“ prallt am harten, kompromisslosen „Nein“ von Nunciata ab. „Der Tod öffnet wieder seine Flügel“ ist ihre Antwort. Den brutalen Aggressionen gegenüber stehen der junge Soldat Téobaldo aus dem Geschlecht Pietra Neras, die Enkelinnen der Ahnin Margarita, welche Téobaldo ebenso liebt wie deren Schwester Vanina. Als ihr Bruder Nunciatas Enkel Léandri Fabiani Téobaldo in einen Hinterhalt lockt und von ihm getötet wird, bricht erbitterte Blutfehde aus. Im fatalen Schluss soll Vanina Téobaldo im Auftrag der Ahnin Nunciata töten. Vanina stirbt durch die Kugel der fast blinden, vielleicht vor Wut blinden Nunciata. Die den Bruder rächende Kugel traf die Schwester Vanina. Sie hat sich geopfert. Rache und Vergeltung leben, feiern das Fest der Trauer!  

Schon im filmmusikreifen Entrée ist der innovativ moderne Symphoniker Saint-Saëns zu erleben. Kazuki Yamada kitzelt diese magisch mystische Natur, die glitzernden Sonnenstrahlen, die bukolische Idylle, Singvögel-Gezwitscher, Violinengesurre und Klarinettenträllern aus der süffig anmutenden Partitur. Das musikdramatisch fantasievolle und hoch inspirierte Orchestre Philharmonique de Monte-Carlo hat mit Yamada einen Orchesterchef von Weltformat für sich gewonnen. Ein Glücksfall! Der Philharmonische Chor Tokio (Hiroyuki Mito) berührt mit seiner hohen kammermusikalischen, eloquenten Qualität und einer feinen französischen Diktion. Im Besonderen schön gesungen ist das Requiem im zweiten Akt, das dem toten Léandri gewidmet ist. Am Abend zuvor bewies dieser Chor bei einem „Concert spirituel“ welche Sorgfalt und Wärme er der französischen Sprache widmet. Dies war für die Gäste der Oper am nächsten Abend ein denkwürdiges, meditatives Einstimmen auf die Oper „L’Ancêtre” im Auditorium Rainier III.

„L’ Ancêtre“ – ein hochintensives Drama Lyrique-Abenteuer

Die rachespeiende, nach Vergeltung dürstende Nunciata (L’Ancêtre) singt Jennifer Holloway mit empathischer, französischer Empfindsamkeit und tiefer Glaubwürdigkeit. Die dramatische hochemotionale Szene an der Bahre ihres Enkels Léandri, der von Téobaldo aus Notwehr getötet wurde, ist ein Höhepunkt. Gaëlle Arquez spiegelt mit ihrem Glanz durchflutenden, hellen Mezzo voller Noblesse die verwundbare Seele Vaninas wider. Deren edles Wesen wird mit der Bitte: „Warum kann ich nicht für einen Tag glücklich sein“ zur tragisch menschlichen Liebenden ohne Widerhall. Ihr unerschrockenes Handeln, Gaëlle Arquez ist eine Ausnahmekünstlerin! Hélène Carpentier verkörpert die verliebte Margarita. Ihr zarter Sopran mit funkelndem Fluidum bezaubert. Dem Soldaten Téobaldo verleiht Julien Henric mit seinem reifen, charaktervollen Tenor das gehörige heroische Liebespotential. Der Bariton Michael Arivony besticht als Eremit Raphaël. Er ist ein friedensstiftender, besänftigender Bote Gottes mit warmem, sanftem Timbre in der Stimme. Matthieu Lécroart zeigt als kühler, starrer Gefolgsmann Nunciatas bartonales Gespür für die knorrig raue Partie des korsischen Hirten Bursica.

Das große Drama Lyrique-Abenteuer „L’Ancêtre“ bleibt als musikalisch hochintensiver, veristischer Ausflug auf die Insel Korsika in bildhafter, klangvoller Erinnerung. Ein Camille Saint-Saëns-Blockbuster, den glücklicherweise Palazzetto Bru Zane hoffentlich bald als CD-Bocklet-Produktion präsentieren wird.

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Vendetta and Musical Revenge: Saint-Saëns‘ „L’Ancêtre“ Conquers Monaco

„Vendetta,“ the French word for blood revenge, always sounds elegant, no matter how deadly. Camille Saint-Saëns masterfully explored this theme in his opera „L’Ancêtre,“ which premiered in 1906 at the Opéra de Monte-Carlo. The opera features the manipulative matriarch Nunciata, who pulls the strings of vengeance. After stops in Paris, Brussels, and Cairo, the work returned to Monaco in 1915. In 2024, „L’Ancêtre“ was revived in a concert version under Kazuki Yamada, achieving overwhelming success.

Camille Saint-Saëns and the Belle Époque: A Musical Success Story

Raoul Gunsbourg, director of the Opéra de Monte-Carlo, transformed Monaco into a stage for some of the Belle Époque’s most significant operas. Saint-Saëns, a close friend of Gunsbourg, composed twelve operas, including the world-renowned „Samson et Dalila“ and, of course, „L’Ancêtre.“ This Verismo masterpiece captivates with themes of blood revenge, hatred, and retribution.

The Dramatic Plot of „L’Ancêtre“: Vendetta, Love, and Death on Corsica

„L’Ancêtre“ is set on the rugged island of Corsica during the First Napoleonic Empire. Two feuding families face off, led by the vengeful Nunciata. The plot culminates in a tragedy where Vanina, Nunciata’s granddaughter, is tasked with killing her lover Téobaldo, but she dies instead.

Raoul Gunsbourg and Monte-Carlo’s Glorious Opera Era

The Paris Opera and the Opéra de Monte-Carlo were cultural temples of the Belle Époque. Raoul Gunsbourg shaped Monaco’s cultural scene with productions of Massenet and Saint-Saëns. His connection to these composers brought Monaco international fame. Gunsbourg also staged the gripping revenge opera „L’Ancêtre,“ a masterpiece of musical drama.

A Successful Revival: „L’Ancêtre“ 2024 in Monte-Carlo

In 2024, „L’Ancêtre“ was revived under Kazuki Yamada’s baton. The Orchestre Philharmonique de Monte-Carlo masterfully performed the concert version, accompanied by the Philharmonic Choir of Tokyo. With a cast of exceptional voices and Yamada’s direction, the performance was a triumphant experience, celebrating the dramatic depth and musical brilliance of Saint-Saëns once again.

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