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Salzburger Pfingstfestspiele 2025: Thomas Mann und Venedig

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Von Barbara Röder.

Das musikpoetische Pfingstwochenende 2025 in Salzburg liest sich nicht nur wie eine Verbeugung, wie eine große Hommage an Venedig als pulsierende Ideengeberin längst vergangener Lebenszeiten, sondern auch als Würdigung und Verehrung für Thomas Mann, dessen 150. Geburtstag weltweit am 6. Juni 2025 gefeiert wurde. Die legendäre Tanzproduktion „Ein Totentanz von John Neumeier frei nach der Novelle von Thomas Mann“ aus dem Jahre 2003 auf die Bretter des großen Festspielhauses Salzburg gebannt, entfachte Beifallsstürme für John Neumeier, der persönlich die Bühne zum furiosen Schlussapplaus betrat.

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Tod in Venedig: Edvin Revazov (Gustav von Aschenbach)
© SF/Marco Borrelli

Klangwelten zwischen Bach und Jethro Tull

Neumeiers „Gustav von Aschenbach“ ist in seiner Adaption der Thomas Mann-Novelle kein Schriftsteller, sondern ein alternder Choreograf auf der Suche nach Neuorientierung und nach einer neuen Identität und Authentizität. Ganz an die visuellen Ideen von Viscontis gleichnamigen Film angelehnt, ist die fast leere Bühne Dreh- und Angelpunkt der inneren Krise und des äußeren Geschehens. Es erklangen Stücke aus Johann Sebastian Bachs „Musikalischem Opfer“ (Apollinische Welt), Wagners „Tannhäuser“ und „Tristan“ und auch die berühmte Bourée-Adaption von Jethro Tull in der Bearbeitung von Ian Anderson (Dionysische Welt). Edvin Revazov, der Tadzio der Uraufführung, gab den grüblerisch durchpulsten Gustav von Aschenbach. Tadzio wurde von Caspar Sasse unbefangen lustvoll und glaubwürdig verkörpert. Wermutstropfen der Aufführung war, dass der Pianist David Fray sich der choreografischen Regie unterordnete. Dennoch, alle Solisten, das Hamburg Ballett und John Neumeier wurden enthusiastisch gefeiert. Eine Sternstunde für alle Ballettfans!

Tragödienrausch auf Fenice-Spuren

Giuseppe Verdis „La Traviata“, ein gehöriger Misserfolg für den Tondichter Verdi, wurde 1853 am Traditionshaus Teatro la Fenice uraufgeführt. Bei den Salzburger Pfingstfestspielen durfte diese menschliche Tragödie um die Kurtisane Violetta Valéry nicht fehlen. Die konzertante Version der musikalischen „Dame aux Camélias“ „La Traviata“ lag in den Händen von Dirigent Massimo Zanetti, der routiniert und bedacht am Pult des Mozarteum Orchestra Salzburg agierte. Leider ist das Mozarteum Orchestra kein Opernorchester und weist dementsprechend kammermusikalische Defizite auf.

Nadine Sierra verkörperte eine gesanglich frei agierende, sich musikdramatisch sehr viele Extras gönnende Diva Violetta. Übertriebenes Husten und Röcheln ins Taschentuch, die Schwindsucht Violettas im letzten Akt demonstrierend wirkte manchmal manieriert und wenig glaubwürdig. Viele Koloraturen gerieten zum Selbstzweck. Welttenor Piotr Beczała gestaltete den Alfredo mit herzzerreißender Attitüde. In seinem wonnigen Klang konnte das Publikum baden. Luca Salsi interpretierte und verkörperte einen stimmigen, glaubhaften Giorgio Germont. Mit edlem, profundem Stil zeigte er einen verzweifelten Vater und zugleich verständnisvollen Menschen, der Violettas Schicksal, sterben zu müssen, wahrnahm. Ein wachsames, gut einstudiertes Ensemble zeugte von gesanglicher Flexibilität und Spielfreude. Der Chor der Opéra de Monte-Carlo, einstudiert von Stefano Visconti, bestach durch textliche und gesangliche Durchdringung der Partitur. Ein gelungener Abend für das begeisterte Publikum, der in seiner Interpretation einige Fragen offenließ.

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La Traviata 2025: Nadine Sierra (Violetta Valéry), Piotr Beczala (Alfredo Germont) © SF/Marco Borrelli

Elektrik trifft Klangpoesie

Die Pfingst-Matinee unter dem Motto Luigi Nonos „…sofferte onde serene…“ wurde von der Pianistin Tamara Stefanovich mit Alban Bergs Sonate für Klavier op.1 eröffnet. Stefanovich, welche für den erkrankten Markus Hinterhäuser einsprang, überzeugte mit einer klaren atmenden Diktion und beherrscht strukturierter Anschlagstechnik. Dies trat ebenso in der schroff akzentuierten Komposition „Perduto in una città d’acque“ für Klavier von Salvatore Sciarrino zutage. Michael Ackers anspruchsvolle Klangregie und die Elektronische Realisation des SWR Experimentalstudios Luigi Nonos „…sofferte onde serene…“ für Klavier und Tonband, es ist Maurizio Pollini gewidmet, gelang fantasievoll im Zusammenspiel mit Tamara Stefanovichs perkussiver Klavier-Klangkultur. Die Komposition ist geprägt von skelettartigen, kahlen Tastenklängen. Nonos helle, direkte Akkorde, die einen anzuspringen scheinen und Verfremdungseffekte bergen, stehen im starken Kontrast zum im 19. Jahrhundert verweilenden Programm.

Im Programm zusätzlich gut realisierbar wären sicher auch Kompositionen von Benjamin Britten, dessen persönlichste, mit autobiographischen Bezügen gespickte 1973 uraufgeführte Oper „Death in Venice“ in Venedig spielt. Auch Igor Stravinsky, der der Biennale Musica di Venezia verbunden war und mehrere seiner Meisterwerke in Venedig uraufgeführt wurden, kommen in den Sinn. Zumal Stravinskys Lebenswunsch auf dem Friedhof San Michele in der Nähe seines Freundes Serge Diaghilew begraben zu sein, gewährt wurde.

Traumfarben der Romantik

Zwischen Träumen und Schweben bewegen sich die „Fünf Gedichte für Stimme und Klavier WWV 91“, die sogenannten „Wesendonck-Lieder“. Der Bariton Matthias Goerne entführte in eine Post-Tristan-Welt, denn das Lied „Im Treibhaus“ und „Träume von Wagner“, als Studien zu Tristan und Isolde bezeichnet, sind die Urzellen des „Tristankosmos“. Goernes fast brüchig gehauchter, dennoch substanzreicher farbintensiver Bariton erschloss atmosphärisch, fast trauernd, Wagners Ideenreichtum. Der offene Flügel-Raum-Klang entfaltete sich zuvor bei der innig intimen Lesart von Liszts „La lugubre gondola“ und „Am Grabe Richard Wagners“: Funkelnde Astralklänge und düstere Farbigkeit der Trauer, ja Farben der Melancholie, welches das musikdramatische Sehnen und Versinken einer ganzen Epoche widerspiegeln. Großes Kompliment!

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Matinee „…..sofferte onde serene…“: Tamara Stefanovich (Klavier), Matthias Goerne (Bariton) © SF/Marco Borrelli

Epilog

Was bleibt, was haftet und klingt weiter im Gemüt, in der Seele nach solch inspirierender Überfülle an Salzburger Pfingstfestspiel Wohllauten?

Das Nachsinnen über die letzte Begegnung Richard Wagners mit seinem zwei Jahre jüngerem Freund, Förderer und Schwiegersohn Franz Liszt im Winter 1882 in Venedig. Liszt reiste nach zwei Monaten ab mit dem Gefühl des „Sich-entfremdet-zu-haben“ vom einst vertrauten Freund. Abschied, Rückblick, Trauer, die in Töne gegossen und unweigerlich mit Venedig verbunden sind.

Gedanken wandern hin zu Richard Wagner, der am 13.Februar 1881 in Venedig verstarb. Denn nach einem überaus zehrenden, anstrengenden Festspielsommer in Bayreuth 1882 in welchem das Bühnenweihfestspiel „Parsifal“, Wagners „Weltabschiedswerk“ uraufgeführt wurde und dort 15-mal erklang, führte Wagner und Liszts Weg nach Venedig. Franz Liszts „Nachtgesänge über Venedig“, welche spät entdeckt wurden, sind fast nie im Konzertsaal zu erleben. Diesen dunklen, in die Moderne verweisenden Gesänge Liszts war ein Künstler besonders verbunden: Alfred Brendel, nachsinnender, denkender Jahrhundert-Pianist, der kurz nach Pfingsten verstarb, interpretierte diese in schwebende Melancholie gehüllten Venedig-Trouvaillen wie „Nuages gris“ oder „La lugubre gondola“ ebenso wie R.W.-Venezia S201.

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Salzburger Pfingstfestspiele 2025: Thomas Mann and Venice

The 2025 Whitsun weekend in Salzburg honored Venice and Thomas Mann’s 150th birthday. John Neumeier’s “Totentanz” reimagined Mann’s novella with a choreographer in crisis. The production blended Visconti-inspired visuals and music by Bach, Wagner, and Jethro Tull.

In Verdi’s “La Traviata,” Piotr Beczała’s Alfredo and Luca Salsi’s Germont impressed, while Violetta felt exaggerated at times. The matinée with Tamara Stefanovich centered on Luigi Nono’s “…sofferte onde serene…,” enhanced by sound design and electronic resonance. Works by Sciarrino and Berg added modernist contrast.

The program closed with Wagner’s “Wesendonck-Lieder” and Liszt’s rarely performed elegies—reflections on his final meeting with Wagner in Venice.

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