Von Stefan Pieper
Bei der siebten Kölner Auflage des Winterjazz hatte es sich genug herum gesprochen, dass es hier gute Musik aus erster Hand von hervorragenden, meist längst international vernetzten Musikern gibt. Hoffnungsvoll stimmt vor allem: Hier stehen zahllose, meist junge Menschen einmal nicht für das neueste Iphone Schlange, sondern für ehrliche, tief empfundene Livemusik. Beim Winterjazz in Köln mutiert das hohle Wörtchen „Hype“ also mal wieder zu so etwas wie „Ausstrahlung“!
Mangelnde Zuhör-Motivation ist augenscheinlich nicht zu befürchten. Im prall gefüllten Saal des Stadtgartens ist es mucksmäuschenstill, als der Pianist Tobias Weindorf, Gunnar Plümer am Bass sowie Schlagzeuger Peter Weiss ihren herrlich sensiblen Kammerjazz musizieren. Der Underground dominiert im benachbarten Lokal „Zimmermanns“ – einem hippen Hybrid aus Imbisslokal und Szenekneipe. Im Untergeschoss begibt sich gerade das Kontrabass-Elektronik-Duo Merzouga auf Spurensuche in abgefahrene Soundgefilde, die aus dem Maghreb stammen. Die Zuhörerschaft darf auch hier mal wieder das Staunen lernen. „Das Publikum ist ja auch immer ein improvisatorischer Faktor“ betont Angelika Niescier, Initiatorin des Festivals.
Derweil ist die kleinere Studiobühne des Stadtgartens bestens dazu angetan, geballte musikalische Energien in geeigneten Räumen wirken zu lassen – was gerade durch ein sprühend lebendiges Quartett um die Violinistin Zuzana Leharová und einem extrem hellhörigen Joscha Oetz am Bass, bewerkstelligt wird.
Niemand kann in der Fülle des Programms alles mitbekommen, Jeder macht sich hier „sein“ Festival und das ist gut so. „Auch das Publikum ist ja beim Jazz ein sehr improvisatorischer Faktor“ bekundet Angelika Niescier. Einig sind sich aber die meisten über eine besondere musikalische Entdeckung bei diesem Festival: Den Flügel für sich allein hat der indischstämmige Pianist Jarry Singla. Und er hat tief verinnerlicht, was ihm sein einflussreicher Lehrmeister John Taylor mit auf den eigenen Weg gegeben hat: nämlich die Aufforderung zur Freiheit! Das bedeutet, ganz tief in sich hinein zu hören, um die eigene Stimme auszuloten. Singla, der bislang nur in größeren Besetzungen zu hören war, hat sich bewusst Zeit gelassen, bis er sich zum ersten Mal allein in einem Solo-Recital einbringt. Und da ist -hörbar! -ganz viel in Ruhe gereift. Geist und Sinne weit geöffnet werden durch eine rezitativische Improvisation auf dem indischen Harmonium, um dann mit seinem pianistischen Spielfluss drauf aufzubauen. Überhaupt verblüfft es, wie in der spielerischen Handschrift von Jarry Singla so viele Komponenten miteinander eins werden. Inspirationsquelle ist ein gerade intensiv erlebter Bolivien-Aufenthalt. Hinzu kommt ein sensibles, zugleich querdenkerisches Jazz-Idiom, was aber nie Selbstzweck bleibt, denn Jarry Singla füllt all dies mit subjektiver Persönlichkeit wie kein anderer an diesem Abend.
Der Kölner Stadtgarten verfügt darüber hinaus seit letztem Jahr über eine deutlich solidere künstlerische Arbeitsgrundlage jenseits aller kurzlebigen Projektförderungen: Kölns Jazzspielstätte wird als „Europäisches Zentrum für Improvisierte Musik“ von Bund und Land institutionell gefördert. Auch hier geht es um Ausstrahlung. Winterjazz bleibt ein wichtiges Thema dabei. „Wir könnten mit dem Geld auch etwas anderes machen“ betont Stadtgarten-Leiter Reiner Michalke, „aber wir machen es nicht“. Denn die Signalfunktion dieses Selbstläufers zum Jahresauftakt zählt.
Die spannende Frage bleibt: Liefert ein solches Event den Anreiz für die Zuhörer, auch mal eines oder mehrere der zahllosen Jazzkonzerte zu besuchen, die überall und keineswegs nur in den großen Musikmetropoloen angeboten werden? Und dafür auch Eintritt zu investieren?