Stefan Pieper nimmt uns mit auf einen Streifzug durch vielerlei musikalischer Entdeckungen.
Wer in Köln die vielen mächtigen Brücken, die über den Rhein führen, mal durchzählt, kommt auf nicht mehr als sieben. Die achte Brücke ist symbolischer Natur: Sie meint jene in Köln engagiert gepflegte Tradition, eine Brücke über kulturelle Grenzen und Genres immer wieder neu zuschlagen – und genau dies wird beim Acht Brücken Festival seit nunmehr sieben Jahren immer wieder deutlich.
Die aktuelle Festivalausgabe nimmt sich einen der wichtigsten Komponisten für die musikalische Moderne zum Themenschwerpunkt: Bernd Alois Zimmermann, der in diesem Jahr 100 Jahre alt gewesen wäre.
Spektakuläre Neuinszenierung von Zimmermans „Die Soldaten“
Die Vielfalt seiner künstlerischen Ansätze zeigt einen Blick weit in die musikalische Zukunft hinaus. Tief ins Bewusstsein eingebrannt haben sich vor allem die Eindrücke einer spektakulären Neuinszenierung von Bernd Alois Zimmermanns Oper „Die Soldaten“ – diesmal inszeniert von der katalanischen Avantgarde-Theatertruppe „La Fura dels Baus“ und hervorragend vom Kölner Gürzenich Orchester unter Leitung von Franz Xaver Roth umgesetzt. Die Botschaft: Jene „Soldaten“, die in Zimmermanns Oper eigentlich nur eine Masse darstellen, aber auch von Masseninstinkten angetrieben wird, sind wir alle. Sie stehen für eine Gesellschaft, die gemütsstumpf und unsolidarisch geworden ist.
Man lernt in Köln viel über einen der wichtigsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Das Hintergrundwissen kommt in Köln aus erster Hand: Bernd Alois Zimmermanns Tochter Bettina hat ein Buch über ihren Vater geschrieben mit dem Titel „Con Tutta Forza“. Im vollbesetzten Foyer trug sie collagenhafte Ausschnitte aus dem gesammelten biografischen Material vor – all dies zeugt von der getriebenen schöpferischen Energie und einer überaus breitbandigen geistigen Auseinandersetzung im Alltag dieses Komponisten.
Definitiv nicht auf youtube gibt es jene filmischen Schätze, die beim Acht-Brücken-Festival zum Teil erstmalig ins Licht der Öffentlichkeit treten. Was schlummern nicht hier für Schätze in den Archiven, die doch einem breiten Publikum viel mehr Verständnis für die zeitgenössische Musikkultur vermitteln könnten. Gemeint ist hier der Dokumentarfilm „Proszenium“ aus dem Jahr 1971, der mit vielen O-Tönen virulente Diskurse zwischen Zimmermann und seinen „Kollegen“ wie Stockhausen, Kagel und Henze beleuchtet.
Alles, nur kein Spezialistentum
Die zahllosen Aufführungen des Festivals zeigen, dass Zimmermanns künstlerische Resultate auch heute, fast 50 Jahre nach ihrem Entstehen wie auf der Höhe der Zeit wirken. Sein Umgang mit einem collagenhaften Miteinander aus Stilepochen und Genres bestärken Zimmermanns philosophisches Credo von der „Kugelgestalt“ der Zeit, wo Vergangenheit, Zukunft und das flüchtige Jetzt doch miteinander eins geworden sind. Die vielen hochkomplexen und von Orchester, Perkussionsgruppe und auch einer Jazzband zu wahren Klangräuschen ausgestalteten Collagen und Überlagerungen in den „Soldaten“ entspringen diesem Denken. Ebenso die geballte Wucht, mit der die Oper eine Geschichte erzählt, aber diesen narrativen Bezug mit aller nur denkbaren Brachialität sprengt.
Viel minimalistischer schlägt eine betont kammermusikalische Orchesterskizze namens „Stille und Umkehr“ die Brücke zur Jetzt-Zeit. Die Studenten und Studentinnen der Kölner Hochschule für Musik und Tanz ließen diese Klangmeditation so frisch und transparent erklingen, als handele es sich um eine druckfrische Uraufführung aus dem Jahr 2018.
Andere Stücke evozieren mit ihrer expressiven Kraft dann wieder den Widerhall auf eine aus den Fugen geratenen Welt. Das Orchesterpräludium „Photoptosis“ wirkt unter dem Dirigat von Alexander Rumpf wie ein wuchtiger Urknall.
Mit Leidenschaft diesen kompositorischen Wagnissen auf den Grund gehen – so etwas ist auch beim hochmotivierten Ensemble Musikfabrik im Spiel und dies gleich in verschiedenen Besetzungen. Da vollführt die Geigerin Hannah Weirich in einer Solosuite einen halsbrecherischen Parforceritt auf dem Instrument. Einmal mehr betörte eine Film-Entdeckung die Sinne: Der Regisseur Miggel Wolkensinger hinterließ ein surreales Stummfilm-Kleinod namens „Metamorphose“. Man möchte eigentlich gar nicht genau wissen, wie lange dieses Meisterwerk ignoriert in Archiven geschlummert hat. Die Akteure sind eine schöne Frau, ein stylisches Auto, schließlich ein archaisches Szenario in einem andalusischen Dorf und dann ein blutrünstiges Ritual dieser Kultur, das sich Stierkampf nennt. Die Traumsequenz, welche durch diese Bilder entsteht, kommt durch Zimmermanns rhythmisch aufgeladenen, manchmal stark jazzigen Orchester-Soundtrack in einen erregenden Fluss.
Kulturelle Lebendigkeit in einer Stadtgesellschaft funktioniert am besten, wenn sich Hochkultur und freie Szene berühren. Und diese forscht jenseits von Oper, Philharmonie und WDR ihre eigenen, ganz unmittelbaren Zugänge zur musikalischen Gegenwart aus: Mit gesundem Mut zum fröhlichen Trial and Error wird komponiert, musiziert, improvisiert und experimentiert. Und vom Kollektiv „Electronic ID“ können sich viele etablierte Neue-Musik-Klangkörper eine Scheibe abschneiden: Endlich ist hier auch eine lebendige Bühnen-Performance Thema – nicht zuletzt durch den Einsatz einer kreativen Lichtregie. Das Prinzip einer pluralen Collagenhaftigkeit der Klänge, wie es Zimmermann postulierte, wird hier ganz intuitiv, manchmal mit dem vehementen Drive einer Rockband und ohne jeden bildungsbürgerlichen Ballast erforscht.
Von diesem fühlt sich auch der Kölner Komponist und Elektronik-Künstler Antonio de Luca denkbar frei. Inspiriert von Zimmermanns „Requiem für einen Jungen Dichter“ schuf er mit dem Lingual „Kinks of Violence“ ein neues Requiem für die Jetzt-Zeit. Da hallt vieles wieder, was nachdenklich machen sollte, bevor auch der letzte Mensch in Abstumpfung versunken ist: Pegida-Hetzreden, neoliberalistischer Technokraten-Jargon und stumpf entfesselte Jubelhysterie zu einer Goebbels-Rede. Dazu vernetzen sich elektronische und akustische Instrumente zu klaustrophobischen Dark-Ambient-Drones und es breitet sich ein latent sakrales Pathos aus. Für so etwas bietet der säkularisierte Kirchenraum in der Kunststation Sankt Peter spektakuläre Möglichkeiten: So „verschaltet“ Antonio de Luca seine Live-Elektronik unmittelbar per MIDI-Schnittstellen mit der Pfeifenorgel, um den Raum mit wabernden Cluster-Klängen zu fluten.
„Acht Brücken“ will in seiner Pluralität alles, nur kein Spezialisten-Treffen sein. Eine rigide Trennung zwischen E und U war für Zimmermann sowieso etwas Weltfremdes. Eine Aufführung seiner „Rheinischen Kirmestänze für Blasinstrumente“ widerspiegeln das Lokalkolorit aus seiner Heimat. In diesem Geiste bekam auch die Kölner Philharmonie eine echte Jazz-Sternstunde beschert: Unter anderem der Schlagzeuger Bodek Janke und Saxofonist Steffen Schorn spielen zu einer höchst variablen Jazz-Revue auf, deren Kern immer wieder von Schlagern und Volksliederm gebildet wird, aus denen brodelnde Latin-Melangen und schließlich sogar ein großes Solo auf der fantastischen Pfeifenorgel in der Philharmonie erwachsen.
Und dann brach noch ein anderes Konzert die Formstrenge der Neuen Musik auf – ja, intervenierte regelrecht mit einem Gegenpol voller sprühendem Musikantentum! Der Name „Crossover Bagdad Köln“ ist beim Geiger und Violaspieler Albrecht Maurer und dem irakischen Djoze-Spieler Programm. Letzter ist ein Virtuose auf besagtem klassisch-arabischen Streichinstrument. Beide fordern sich im Sendesaal des WDR-Funkhauses zu filigran-kunstvollen heraus, reiben sich in musikantischer Spielfreude an der Verschiedenheit der Tonsysteme, was zugleich ein beredtes Statement für deren Seelenverwandtschaft ist und einmal mehr die Brücke zwischen Kulturen überquert!
Das Acht Brücken Festival findet noch bis zum Freitag, 11.5. statt.
Infos hier.
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