Seit mehr als einem Viertel Jahrhundert bin ich mit dem georgischen Maler Georgi und seiner deutschen Frau Rita befreundet. Immer wieder sprachen wir davon, sein Heimatland gemeinsam zu bereisen. Ich lese seit langem georgische Romane, genoss 2018 die Frankfurter Buchmesse, bei der Georgien Gastland war. Nun endlich in diesem Sommer passte es ganz spontan, dass wir gemeinsam durch Georgien reisten.
Von Birgit Koß.
Gori mit seinen knapp 45 000 Einwohnern liegt etwa 85 km nordwestlich von Tiblissi in Ober-Kartlien und war bis in die 90er Jahre dessen industrielles und administratives Zentrum. Hier leben am Stadtrand noch Georgis 83 jährige Mutter und seine 52jährige Schwester. Die beiden haben eine Dreizimmerwohnung in einem typischen Plattenbau, die Haustür hängt in den Angeln, offene Leitungen schlängeln sich durchs Treppenhaus, dessen Stufen krumm und teilweise abgebröckelt sind.
Aber die Wohnung ist schön und vom Balkon aus blickt man auf den Garten, den die 83jährige Tamta noch selber bewirtschaftet. So werden wir mit selbstgemachtem Pfirsichkompott und Wein bewirtet. Chutchkhela, die sich in jedem Souveniershop finden, hängen im Wohnzimmer an einer Stange zum Trocknen – Walnüsse werden auf einer Schnur aufgezogen und dann durch eingedickten Traubensaft gezogen.
2008 der Fünf-Tage- Krieg
Am 8. August stehen Fernsehteams vor dem Haus. Es gelangte vor 14 Jahren zu internationaler Berühmtheit, war sogar in den deutschen Nachrichten zu sehen. Bei dem russisch georgischen Konflikt 2008 wurde das Haus von einer russischen Bombe getroffen. In unmittelbarer Nähe befinden sich noch immer Militäranlagen. Glücklicherweise fiel am Vortag des Angriffs in der Wohnung eine Ikone von der Wand und Georgis Schwester drängte daraufhin die Eltern, die Wohnung zu verlassen. Dadurch kam von ihnen niemand ums Leben, aber die Wohnung brannte total aus. Auf der Fahrt nach Tbilissi zeigt mir Georgi Stellungen des russischen Militärs, nur etwa 15 km nördlich von Gori entfernt.
Stalins Geburtsort
Dass Gori auf allen Rundreisen durch Georgien besucht wird, liegt an einem anderen Bürger der Stadt. Am 8.12.1878 kam hier Josef Wissarionowitsch Dschugaschwili genannt Stalin zur Welt, sein angebliches Geburtshaus wurde vor ein palastähnliches Museumsgebäude hingesetzt. Dieses monumentale Museum hat sich seit seiner Errichtung 1957, vier Jahre nach Stalins Tod, kaum verändert. Kritiklos wird der Diktator im Museum bis heute geehrt und ihm gehuldigt. Auch Aschenbecher, Plakate und kleine Statuen Stalins sind in vielen Souvenirläden in Gori zu finden, was natürlich nicht heißt, dass ein Großteil der Bevölkerung sich inzwischen eine andere Meinung zu diesem „Sohn der Stadt“ gebildet hat. Ausflüge in die Umgebung – Uplistsikle Nur 12 km östlich von Gori liegt die verlassenen Höhlenstadt Uplistsikhe, deren erste Höhlen zwischen dem 6. und 4. Jh. v. Chr. in Stein geschlagen wurden. Zwischen dem 9. Und 11. Jh. erlebte die Stadt ihre Blütezeit und wurde zum politischen, kulturellen und religiösen Zentrum. Die Handelsmetropole lag auf dem Weg der Kamelkarawanen zwischen China und Byzanz, heute ein wichtiger Anziehungspunkt für Touristen, aber auch Hochzeitspaare.
Ateni-Sioni-Kirche
Im Tana-Tal gibt es nicht nur eine schöne Weinroute, sondern auch die berühmte Zionskirche von Ateni-Sioni. Ihre Wandmalereien stammen aus dem 12. Jahrhundert. Sie wurden, wie fast in allen Kirchen, während der Sowjetzeit überwiegend zerstört, zum Teil von Ruß überdeckt. Viele Kirchen wurden damals als Viehställe missbraucht. Leider geht die Restaurierung nur langsam voran. Für uns hat diese Kirche eine ganz besondere Bedeutung. 1988 lebte und arbeitete Georgi hier während seines Studiums zum Restaurator neun Monate lang. Seine Diplomarbeit war eine Kopie des Erzengels Gabriel. Dieser großartige Verkündigungsengel fehlt in keiner byzantinischen Kunstgeschichte.
Leseempfehlung zur Vertiefung in die georgische Geschichte der letzten 100 Jahre an Hand einer Familiensaga: Nino Haratischwili
Das achte Leben (für Brilka)
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt 2014
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