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„Wir wollen junge Talente aus den Übezellen herausholen“: Gespräch mit Alexander Gilman, dem Leiter der LGT Young Soloists

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Musiker werden hat etwas mit Leidenschaft, Fleiß, aber vor allem auch Erfahrung zu tun. In dieser Hinsicht ist das Jugendorchester der LGT Young Soloist eine der wenigen, vielgefragten Institutionen mit einem betont ganzheitlichen Konzept. Im Jahr 2013 wurde das Orchester von Alexander Gilman und Marina Seltenreich gegründet. Stefan Pieper traf Alexander Gilman zum Gespräch nach dem gefeierten Auftaktkonzert der LGT Young Soloists im Düsseldorfer Robert Schumann Saal.


Feuilletonscout:
Was für eine Philosophie verkörpern die LGT Young Soloists?
Alexander Gilman:
So viele junge Musikerinnen und Musiker haben schon mit 15 den Wunsch, Berufsmusiker zu werden. Die jungen Menschen investieren so viel Kraft in ihre Ausbildung. Unsere Philosophie ist es, ihnen etwas zurück zu geben. Aber viele fühlen sich in einem normalen Jugendorchester unterfordert. Und da wollen wir versuchen, etwas Neues zu kreieren. Wir geben ihnen hier eine Plattform und sorgen dafür, dass sie das komplette Paket bekommen, nämlich Kammermusik, Orchester und natürlich Erfahrung als Solist. Hier gibt es keine festgelegten Rollen, etwa zwischen Solo und Orchester. Wir wollen den jungen Musikerinnen und Musikern zeigen, ohne Dirigent auf der Bühne zu kommunizieren. Für all dies braucht es dieses Komplettpaket. 

Feuilletonscout: Also wollen Sie konventionelle Rollen-Festlegungen aufbrechen?
Alexander Gilman: Absolut. Gucken Sie sich die großen Festivals an, etwa Verbier. Da kommen große Musiker hin und machen Kammermusik. Die sagen eben nicht, wir wollen Solisten oder Konzertmeister werden. Andere wollen ein Quartett bilden. Wir wollen allen in unserem Jugendorchester eine möglichst große Vielseitigkeit vermitteln. Vor allem wollen wir junge Talente aus ihren Übezellen herausholen. Die gehen sonst meist nur auf Wettbewerbe, wo sie selten Spaß an der Musik haben. Wir wollen, dass sie so früh wie möglich auf die Bühne kommen – lange bevor sie an der Hochschule studieren oder später um einen der wenigen Plätze in einem Profiorchester kämpfen.  Hier in unserem Orchester können sie erstmal lernen, eine Bühnenpräsenz aufzubauen. Wir haben einen Geiger unter uns, der nimmt gerade bei Sony seine erste Solo-CD auf. Aber bei ihm steckt schon die Erfahrung von 250 Konzerten in einem solchen Projekt drin.

 

Alexander Gilman und Marina Seltenreich / © Maurice Haas

 

Feuilletonscout: Wie viele Bewerber kommen zu den Auditions? Welches Skills sind gefragt?
Alexander Gilman: Im Jahr sind es 70 bis 80. Als erstes wird ein Video eingeschickt mit einem Motivationsschreiben, dann gibt es ein Interview und dann das Probespiel. Es geht nicht nur ums Spielen, sondern auch um den sozialpädagogischen Aspekt. Die Spieler müssen vor allem Teamplayer sein. Niemand soll hier sagen „Ich bin der beste“ – diese Haltung ist ausdrücklich nicht erwünscht. 

Feuilletonscout: Welchen Gewinn bringt das auswendige Musizieren auf der Bühne mit sich?
Alexander Gilman: Wenn die Noten nicht vor den Augen stehen, sieht man sich untereinander viel besser. Jede Gruppe soll mit der anderen interagieren. Die meisten Orchesterstücke versuchen wir auswendig zu spielen. Die verbindende Energie ist einfach eine andere!

Feuilletonscout: Ich hatte beim Konzert immer wieder den Eindruck, dass die Solisten eine ganz starke, intuitive Führungsqualität aufs Orchester ausstrahlen. Ist dieser Effekt gewollt?
Alexander Gilman: Auf jeden Fall. Ich sage immer: Wenn ihr euch nach hinten lehnt, wird das Orchester auch nicht aktiv mitgehen. Solisten müssen das Orchester mitführen. Es geht einfach darum, die eigene Energie einzubringen. Bühnenpräsenz ist hier alles, um als Solist ein ganzes Orchester mitzureißen und auf ein Maximum zu befördern.

Feuilletonscout: Was gibt es sonst noch für Erfahrungen, die jeder bei den LGT Young Soloists machen kann?
Alexander Gilman: Ich sehr hier vor allem die Gesamtheit der vielen Erfahrungen, aus der schon im jungen Alter ganz viel künstlerische Souveränität erwächst. Wenn unsere Musikerinnen und Musiker auf einen Wettbewerbung oder eine Aufnahmeprüfung gehen, dann geht hier alles ganz entspannt. Unser großes Kapital ist die Möglichkeit, ganz viele Konzerte auf unterschiedlichsten Bühnen zu spielen. Das Problem ist, dass viele Veranstalter nur relativ wenige sehr junge Ensembles und Musiker einladen. Dabei ist Konzerterfahrung durch nichts zu ersetzen. Wie soll man, wenn man eine Begabung hat, 50 bis 60 Konzerte im Jahr spielen? Man findet diese Möglichkeiten kaum. 

Feuilletonscout: Wohin geht die aktuelle Tournee?
Alexander Gilman: Morgen geht es nach Rotterdam, dann nach Bern.

 

Vielen Dank für das Gespräch, Alexander Gilman!

 

 

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