Feierlicher Schlussakkord des Deutschlandjahres in Russland 2020/2021 zu Ehren von Fjodor M. Dostojewskis 200. Geburtstag am 11.11.2021. Von Ingobert Waltenberger.
Eigentlich hätte dieses Konzert in St. Petersburg stattfinden sollen, aber die Pandemie hat wieder einmal dazwischengefunkt. Da die Corona-Lage in Deutschland verglichen mit Russland besser ist, fand das Konzert nun also am 12. November im Konzerthaus Berlin statt. In rund 1000 Veranstaltungen in 70 Städten und Regionen Russlands sollte während dieses speziellen Kulturjahres Deutschland in seiner ganzen Vielfalt dargestellt werden. Eine enorm wichtige Initiative, wie ich meine, die wieder einmal bekräftigen soll, dass Russland selbstverständlich ein Teil Europas ist. Das kann gerade in Zeiten der mannigfaltigen Dissense nicht genug betont werden. Aber auch das am Konzert teilnehmende Frankreich ist zwar in vielerlei Hinsicht institutionell Deutschland besonders verbunden, das ändert aber nichts daran, dass in essentiellen Fragen wie etwa der Einstufung von Atomenergie, der Weiterentwicklung der europäischen Fiskalregeln oder der europäischen Geldpolitik alles andere als Harmonie zwischen diesen ungleichen Partnern herrscht.
Für eine schöne Feierstunde abseits aller (geo)politischen Fragen sind also junge Menschen dieser drei europäischen Länder gemeinsam auf der Bühne, um das Verbindende zu zelebrieren, gemeinsam kreativ zu sein und durch einen tief empfundenen musikalischen Dialog vorzuführen, wie es auch gehen kann. Die jungen Leute rekrutieren sich aus Mitgliedern des Bundesjugendorchesters, des Orchestre Français de Jeunes und des Staatlichen Sankt Petersburger Konservatoriums Rimski-Korsakow.
Auf dem Programm standen Gabriel Faurés Suite für Orchester „Pelléas et Mélisande“ Op. 80, Sergej Prokofievs Violinkonzert Nr. 1 in D-Dur Op. 19 sowie Ludwig van Beethovens Symphonie Nr. 7 in A-Dur Op. 92. Dazwischen rezitierte der grandiose Jens Harzer (verdientermaßen Träger des Iffland-Rings nach Bruno Ganz) Texte über Dostojewski aus Stefan Zweigs „Baumeister der Welt“ sowie aus Dostojewskis Puschkin-Rede vom 8.6.1880. Worte über „Sein und Sinn des Lebens“, die auch heute noch genug Anlass zum Nachdenken liefern. Die junge französische, in Wien u.a. bei Hager und Ozawa ausgebildete Dirigentin Ariane Matiakh hat mit dem streicherlastigen Ensemble gut in vielen Details gearbeitet, wenngleich bisweilen Spannung, Akzente und die großen Bögen gefehlt haben.
In zart gepinselten impressionistischen Farben erklang die Orchestersuite zu „Pelléas et Mélisande“. Im Spinnerlied schlug die Stunde der Holzbläsergruppe, die überhaupt die beste Performance des Abends bescherten. So überzeugten in der Sicilienne Flöte und Harfe, während Mélisande in gedämpft introvertierter Stimmung und leisen Tönen ihr Leben aushauchte.
Bei arte zum Nachhören und – sehen:
Veronika Eberle als ausdrucksstarke und technisch hochversierte Solistin des ersten Violinkonzerts des 24-jährigen Sergej Prokofiev kehrte den avantgardistischen Gestus der Musik (Scherzo) heraus. Das Orchester begleitete sehr dezent, was die Balance in Richtung Solistin verlagerte, und so wiederum die Kontraste im thematischen und rhythmischen Widerspiel schmälerte. Dennoch ist jede Begegnung mit dem rotzfrechen Werk in all seinem unglaublichen Erfindungsreichtum zwischen intimer Emotion und dem provokanten Perpetuum mobile des Vivacissimo hoch erfreulich. Zum Abschluss bewiesen Orchester und Dirigentin mit Beethovens „Siebenter“, dass es doch noch passioniert und voller Energie zur Sache gehen kann. Besonders das Presto im dritten Satz geriet eindrücklich, bevor im Finale alle orchestralen Feuerwerke abgezündet wurden, mit denen Beethoven die Musiker und seine Zuhörer einlud, sich einmal so richtig gehen zu lassen. Am Ende viel Jubel und Applaus für eine Ansammlung junger glücklicher Künstler, denen dieser Abend ein weiterer Ansporn für eine aussichtsreiche Zukunft in einem europäischen Miteinander sein soll.
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