Zwei Künstler, die wir eher von der Bühne und dem TV kennen, haben sich entschieden, persönliche Wendepunkte in ihrem Leben in ein Buch zu packen. Von Carsten Schmidt.
Rainald Grebes Buch fällt durch sein Format, die künstlerische Gestaltung und den Titel auf. Es ist leicht, „Rheinland Grapefruit“ für absoluten Quatsch zu halten, gepaart mit dem Coverbild des Autors, wie er im Grünen nackt sich mit einem Gartenschlauch bewässert. Im Laufe des Buches wird klar: Es trifft genau in Mark, ins Hirn. Der Titel symbolisiert den Prozess, wenn einem der Verstand, das eigene Gedächtnis abhandenkommt und man nach Worten sucht.
Grebe beschreibt mehrere Stufen der Wahrnehmung. Ihm wird durch ein regelrechtes Blackout bei einem Auftritt in Düsseldorf im März 2017 im wahrsten Sinne „schlagartig“ bewusst, dass sein Zugriff auf Texte und seine Präsenz auf der Bühne alles andere als sicher sind. Damit beginnt das Buch. Sofort Schnitt – 4 Jahre später, er begibt sich Februar 2021 in Behandlung in Teupitz und benennt die Stationen der Erstaufnahme. Zunächst erfährt man von einzelnen Schlaganfällen, die alle glimpflich ausgegangen seien, ein längerer Aufenthalt steht an in der Region, die Grebe so erbarmungslos besungen hat, oder wie sein Arzt sagt: „Willkommen im schönen Brandenburg“. Im Laufe des Buches wird klar, dass Grebes Gehirn wohl viel mehr kleine Schäden davongetragen hat und dutzende Schlaganfälle in ihm gewütet haben müssen, ein Arzt sagt, es sähe unter bildgebenden Verfahren aus wie Couscous.
Nun geht es darum, unter Beobachtung herauszufinden, wie gut sein Sprachzentrum, sein räumliches Sehvermögen, seine Balance und sein Gedächtnis funktionieren. Viele Übungen, die er, wie die Tagesabläufe („Dienstag 8.00. Frühstück Kaffee. Ein Ei.“), bruchstückhaft und in sehr kurzen Abschnitten beschreibt, fallen ihm leicht und er ist beinahe beleidigt davon. Doch ab und an erschrickt er sich, wenn ihm Worte abhandenkommen und es ihm nachhaltig in die Knochen fährt, dass er eventuell doch nicht so weiter machen kann. Er sagt seinem Arzt:
„Mir geht es wie sonst, alles o.k., nur manchmal kommt so eine schwarze Wolke, aber nur kurz, die vernebelt alles. Dann reißt der gedankliche Faden ab und ich stehe da im Wortsalat. Das ist fatal, vor allem bei meinem Job.“
Das, was Grebe in dünnen Zeilen schreibt, wird stark verdeutlicht durch Skizzen, Zeichnungen, Illustrationen und Malereien von Chrigel Farner. So sehen wir ein explodierendes Gehirn, Grebe auf der Bühne oder als Superheld. Das wertet das Buch sehr auf.
Es geht viel ums Weiterwollen, das Denken an künftige Aufträge, das unglaubliche Antreiben im Menschen Grebe. Er denkt an sein Ende, seinen Tod, von dem er glaubt, dass er nach zwei Tagen in der Öffentlichkeit vergessen sein wird. Aber vor allem wird durch viele Rückblicke deutlich, wie stark der Drang in Grebe ist, etwas auf die Beine zu stellen. Er lässt uns an kleinen Rückblenden teilhaben, die bis in sein Teenagerzimmer reichen und ihn als freakigen Vogelkundler zeigen. Auch Reisen und Bekanntschaften um die Wendezeit in halb Europa zeigen einen teilweise verrückt-kreativen Menschen, der versucht, seinen Weg zu finden.
Seine Versuche, über die Runden zu kommen, trieben krasse Blüten, bis hin zu der abstrusen Idee, mit Drogen eine schnelle Mark zu machen, die ihm in Marokko einen Gefängnisaufenthalt einbrachte. Angeblich soll er 18 Monate dort gewesen sein, bevor er sein Studium zum Puppenspieler weiterführte. Er beschreibt dieses Studium wie ein Auf und Ab, ein intellektuell schönes, aber für ihn verzweifelt enges, brotloses Ding.
Viele kennen Grebe seit 2004/2005, wo sein Lied „Brandenburg“ ihn auf das Radar der Kabarettbühnen brachte und er sich nicht nur an den anderen ostdeutschen Bundesländern abarbeitete, sondern auch mit der „Kapelle der Versöhnung“ zu einem musikalisch eigenwilligen Unikat entwickelte. Grebe polarisiert oft mit seinem schrägen Humor, so auch in diesem Buch.
Im „Tropical Island“ dürfen während der Pandemie keine Touristen sein, aber ein paar Patienten vom nahe gelegenen Teupitz erlaubt man einen Aufenthalt. Dort genießen sie die Atmosphäre und die Belegschaft kreiert eine Art Gemeinschafts-Konzert, an dessen Höhepunkt Grebe am Klavier sein „Brandenburg“ singt.
Auf der einen Seite sind es irre, teils sehr kurze Geschichten, die uns den Menschen Grebe in seiner Lage näherbringen. Andererseits ist sein Humor, sein Sarkasmus so schräg, dass man oft den Glauben verliert, sie könnten stimmen. Er selbst schreibt wie ein Tagebucheintrag:
„Heute wieder konfabulieren, mein Leben zusammenreimen, wie`s gerade passt. Es ist egal, ob ich lüge oder nicht, Hauptsache, die Sätze schwärzen das weiße Papier.“
So steht es fett gedruckt vor einem auf S. 176 und man denkt als Leser: „Hä? Was denn nun?“
Das ist der Grundgedanke, den man leicht haben kann nach der Lektüre. Der Versuch einer Autobiographie, die an ihrer eigenen zynischen Haltung zu scheitern droht. Grebe scheint sich künstlerisch am Papier abzuarbeiten, er will den Leser aber irgendwie gar nicht mitnehmen und Dinge erklären. Und so werden vielleicht einige das Buch in der Mitte weglegen und sich scheuen, daraus zu erzählen. Stimmt das wirklich? „Keine Ahnung, es ist zu schräg geschrieben.“
Rainald Grebe
Rheinland Grapefruit. Mein Leben
Voland & Quist, Berlin 2021
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Auch Alexander Bojcan alias Kurt Krömer hat einen ähnlich umtriebigen, leicht verrückten Charakter, auch er polarisiert durchaus das Publikum mit seinem schrägen Humor. Auch er hat sich von kleinen Bühnen hochgearbeitet bis ins Fernsehen und eigenen Shows. Sein Buch „Du darfst nicht alles glauben, was du denkst“ kommt schmaler daher, ist aber gehaltvoller, klarer und demütiger als Grebes Buch.
Der Titel lehnt sich an den berühmten Komiker Heinz Erhardt und seinen Spruch „Sie dürfen nicht alles glauben, was sie denken.“
Wie Grebe hat sich auch Krömer schon mal an einem Buch probiert, während Grebe mit dem Romanversuch „Global Fish“ eine Melange aus Jack London und Douglas Adams adaptieren wollte, berichtete Krömer aus Afghanistan.
Nun jedoch geht es bei Kurt Krömer um das Thema Depression. Er nimmt uns mit auf die „positive Tsunamiwelle“, die nach seiner „Chez Krömer“-Sendung mit Torsten Sträter 2021 über Krömer einbrach. Darin besprachen sie die Thematik, die Sträter bereits einige Zeit in seine Kabarett-Texte einbaut und es auch schafft, die Schwere und Tiefe dem Publikum anschaulich zu machen. Er sagt: „Scheiße drauf sein ist wie ein Tatort mit den Muppets – nicht das Gelbe vom Ei, geht aber vorbei. Depressionen hingegen sind wie alle drei Teile Herr der Ringe – in Zeitlupe.“
Krömer ging in der Sendung gar nicht so tief ein auf sein Erleben, aber allein das Wenige, was er sagte – nämlich z. B. ohnmächtig vor einem Regal im Supermarkt zu stehen und sich zu schämen, den Kindern zu Hause nichts heimzubringen, weil „man nicht mehr weiß, wie Einkaufen geht“ – das reichte bereits, um ihm authentisch und menschlich eine Lage abzunehmen, in der viele andere sind. Er schreibt, wie ihn tausende Nachrichten erreichten und Krömer meint, er sei nicht Professor Brinkmann aus der Schwarzwaldklinik, „ich möchte einfach meine Geschichte erzählen.“
Das tut er und er verbindet es mit der Phase, die er für sich schon abgeschlossen hatte, nämlich den Alkoholismus. Krömer berichtet von einem Event, einer „Gala-Scheiße“ in Hannover, wo man unanständig viel Geld bekäme, einfach, um da zu sein, ohne etwas zu machen. Er hatte vor Mittag bereits drei Bier getrunken, ehe der Fahrer ihn überhaupt nach Hannover fuhr. So ging es weiter, bis Krömer auf einer Hoteltreppe landete und in einem Bett mit blutigem Laken wieder aufwachte. Kurt Krömer nimmt Episoden wie diese, um zu zeigen, wie weit es gehen kann und wie man mit Hilfe wieder herausfindet. Er erzählt bildhaft und szenisch klar von Situationen, die ihn traurig machten oder ihn verzweifeln ließen, wie etwa der Tod seines Mentors Michael Gwisdek, der für ihn war „wie der Vater, den ich nie hatte.“
Krömer zeigt: „Draußen habe ich immer funktioniert“, aber er hat gelernt, dass wenn ihm zuhause die Decke auf den Kopf fällt und er für seine Kinder da sein will, er nicht immer ein großes Menü zaubern muss, „dann gibt es eben nur Kartoffeln und Spinat“.
Dass er immer wieder an seine Grenzen kommt und einige Beziehungen in die Brüche gehen, bringt ihn zwar zu Familientherapeuten, aber erst als eine Ärztin immer wieder nachfragt, ob er nicht wegen Depressionen mal genauer Hilfe bräuchte, entscheidet er sich für die Schritte, die ihm dann 2020 guttun. Bereits bei den ersten Gesprächen muss Kurt Krömer immer wieder weinen und kann nur nicken bei dem, was die Ärzte ahnen und ihm spiegeln. Er ist glücklich, gut aufgehoben zu sein.
Über sein früheres Leben berichtet Krömer nicht viel, aber allein von dem, was er von seinem Vater erzählt, der stolz darauf war, ein gnadenloser Straßen- und Kneipenschläger zu sein, wird einem klar, welche emotionalen Baustellen in ihm schlummerten.
„Du darfst nicht alles glauben, was du denkst“ ist ein angenehm bodenständiges Buch, das uns den Menschen Alexander Bojcan sympathisch näherbringt und gleichsam Türen aufweist und Wege bin hin zu Telefonnummern zeigt für Menschen, die sich mit depressiven Phasen nicht ernst genommen fühlen. Vielleicht kann es wie die Arbeit von Torsten Sträter bewirken, dass das Thema Depressionen kein Tabu mehr bleibt und Außenstehende mehr Verständnis dafür gewinnen. Es ist ein Buch, für das Kurt Krömer bei Tausenden auf immer einen Stein im Brett haben wird.
Kurt Krömer
Du darfst nicht alles glauben, was du denkst
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022
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