Rezension von Barbara Hoppe.
Wenn Thomas Brussig schreibt, dann fahren die Bilder im Kopf Achterbahn. Es kommt nicht von ungefähr, das seine Romane „Helden wie wir“ und „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ („Sonnenallee“) erfolgreich verfilmt wurden und er zu „NVA“ das Drehbuch lieferte.
Auch mit „Die Verwandelten“ sieht man sich schon in der nächsten Brussig-Verfilmung. Wer die technisch perfekten „Paddington“-Filme aus den Jahren 2014 und 2017 kennt, zweifelt nicht eine Sekunde daran, dass ein solches Feuerwerk an Gute-Laune-Drama auch in Mecklenburg-Vorpommern funktioniert.
Dort nämlich, im Jahr 2023, langweilen sich die 16-jährige Fibi (deutsch von Phoebe) und der 15-jährigen Aram („Seh isch aus wie einer, der sein Arsch in Richtung Mekka hält“?) eines schönen Augustsonntags mächtig. Als sie im Internet eine Anleitung finden, wie man sich zu einem Waschbären verwandeln kann, fackeln sie nicht lange: fünf verschiedene Beerensorte gleichzeitig mit einem Blatt Sauerampfer (Bärlauch war nicht zu finden) herunterschlucken, dann ab in die ARAL-Tankstelle im Mecklenburg-Vorpommerschen Seenot und heraus kommen: zwei sprechende Waschbären.
Erstaunlich rasch fangen sich nach dem ersten Schock die betroffenen Familien: Fibis Eltern, Hilmar Hüveland, Bürgermeister von Bräsenfelde, seine Frau Wiebke, Kinder- und Jugendpsychologin, und Brüderchen Alexander, versuchen zwar alles, Fibi wieder zum Menschen zu machen. Aber da Fibi immer noch irgendwie Fibi ist, spricht und ausgesprochen unbefangen und unterhaltsam in ihrer neuen Rolle aufgeht, rückt erstaunlich schnell etwas anderes in den Fokus: Wie kann man aus der Sensation Profit schlagen? Gedanken, die auch Arams Eltern, die leicht prollig-peinlichen Lydia und Holger Stein, haben. Aber da Aram das Sprechen verweigert, stattdessen der verpassten Profifußballer-Karriere hinterhertrauert und schriftlich über den Computer kommuniziert, geraten die drei schnell aus dem Blick der Öffentlichkeit.
Denn es ist die Öffentlichkeit, die nach einigen geschickten Schachzügen der Familien nebst pensioniertem Anwalt und Lokalpresse aus dem Ereignis eine Sensation macht. Waschbärmania macht sich breit, Stars komponieren Songs auf Fibi und Aram. Das Provinzkaff wird zum Medien-Epizentrum. Doch während sich Fibi zum Fernsehstar entwickelt, zieht sich Aram immer mehr ins Habitat seiner tierischen Artgenossen zurück.
Und so ist die „Verwandlung“ tatsächlich eher unter dem Begriff „Die Verwandelten“ zu fassen. Denn die entlarvende Gesellschaftsschelte von Thomas Brussig ist eine brüllend-komische und rasante Story um Medienhype, die Sucht nach Ruhm und Geld und darüber, was all das mit den Menschen macht. Ob braver Bürgermeister, Psychologin oder Teenager: Der Geist ist willig, das Fleisch ist schwach oder besser: der Mammon stark. Wer Parallelen zu Kafka sucht, findet sie in der zunehmenden Vereinsamung der Betroffenen, den kleinen psychologischen Dramen der Protagonisten und dem Tod. Nicht umsonst ziehen die beiden Jugendlichen ihr Dasein als Waschbär bald dem Menschendasein vor. Dabei karikiert Brussig die Absurditäten der Medienwelt so unglaublich lustig, das man sich manches Mal fragt, ob sich da einfach nur jemand austobt oder wirklich eine Botschaft verbreiten möchte. Konsequent ist da, dass der Autor am Ende, so scheint es, das Interesse am eigenen Objekt zu verlieren scheint. Aus spritzigen Dialogen werden Dialoge. Aus einem Leben als Star wird das Leben eines abgehalfterten und finanziell ruinierten Stars. Nach viel Halligalli finden sich Fibi & Co. im Nach-Hype-Fahrwasser wieder. Im Abspann läuft „Was sonst noch geschah“ und Mensch und Tier kehren in die Versenkung des Provinzkaffs Bräsenfelde beziehungsweise ins Kellerloch im – immerhin mondänen –London zurück.
Thomas Brussig
Die Verwandelten
Wallstein Verlag, Göttingen 2020
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