2016 starb in Sofia der bulgarische Künstler Ljuben Stoev im Alter von 77 Jahren. Prägende Jahre seiner Ausbildung verbrachte er in Dresden. Den Einfluss dieser Zeit findet man insbesondere in seinen Tuschezeichnungen. Die Städtische Galerie Dresden würdigt den Künstler, dessen Werk geprägt ist von sozialkritischen Themen, nun in einer Ausstellung.
Feuilletonscout sprach mit dem Kurator Johannes Schmidt, der den Neffen des Künstlers, Ray van Zeschau, ebenfalls zu Wort kommen lässt.
Feuilletonscout: Wie würden Sie die Persönlichkeit Ljuben Stoev zusammenfassen?
Ray van Zeschau: Ljuben Stoev war eine prägende Figur der bulgarischen Kulturszene, mit staatlichen Kunstpreisen hoch dekoriert und in der neuen Gesellschaft ein Widerstandkämpfer. Stoev war ein Chronist. Die wachsende Ungerechtigkeit der Gesellschaft war sein Thema. Seine Arbeiten erzählen vom Sozialismus, von den Geburtswehen des neuen Bulgariens, von den Absurditäten der Nachwendezeit, die bis heute andauert. Seine radikal expressionistischen Arbeiten offenbaren, wie sich die Welt in Bulgarien im Kreis gedreht hat, seine Installationen erinnern daran, wie die Strukturen des Sozialismus in der „Übergangszeit“ alle Reformversuche überlebt hat – bis heute.
Feuilletonscout: Warum trägt die Ausstellung den Titel „Und die im Dunkeln sieht man nicht“?
Ray van Zeschau: In und während der Zeiten der bulgarischen „Wende“ (Transformazija) inspirierte Ljuben Stoev die Liedzeile aus Berthold Brechts und Kurt Weills „Mackie Messer“ „Und man siehet die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.“ künstlerisch sehr, da dies nun plötzlich viel mit der neuen Realität Bulgariens zu tun hatte. Hinzu kam, dass er selbst oft zu öffentlichen Anlässen den Mackie Messer mit dem Akkordeon zum Besten gab.
Feuilletonscout: Und was ist das Besondere in seiner Kunst?
Johannes Schmidt: Für uns ist das Besondere, dass seine Ausbildung in Dresden nachhaltig Weichen für seine künstlerische Position gestellt hat. Stoevs Sympatiebekenntnis zu den Unterprivilegierten und Ausgeschlossenen im Kontrast zu den Nutznießern und Gewinnern der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung steht in der Tradition der linken systemkritischen Kunst der Weimarer Republik und der DDR. Dabei setzte Stoev als Zeichner auch eine formale Tradition fort, während er diese in seinen Installationen gleichzeitig in seine Zeit überführt, quasi „modernisiert“ hat. Kritische Haltung in einer so direkten Form zu beziehen wie Ljuben Stoev das getan hat, ist heute offenbar kaum eine Option für hierzulande tätige Künstler. Dies bringt sein Werk in eine Außenseiterrolle, die es nicht verdient hat. Das können wir als Museum nur insofern beeinflussen, dass wir seine Arbeit in einer Ausstellung zur Diskussion stellen.
Feuilletonscout: Welche Beziehung besteht zwischen Dresden und Ljuben Stoev?
Johannes Schmidt: Er hat 1960-1963 an der Hochschule für Bildende Künste Dresden (HfBK) studiert, und zwar in der Klasse von Lea Grundig. Deren Werk hat ihn offenbar nachhaltig beeindruckt. Angefangen von der Technik der Zeichnung mit Kohle und Kreide bis zum stilistischen Realismus mit leichten Überzeichnungstendenzen und zu den zeitkritischen Themen seiner Bilder steht Stoevs künstlerische Arbeit in einer engen Verbindung zu einer Tradition, die in Dresden zurück bis in die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts reicht. 1990 war diese Form von Kunst, die, auf das Inhaltliche konzentriert, ihre Stimme in den Dienst politischer Ideen stellte, verpönt. Dies lag vor allem daran, weil man anhand der Situation in der späten DDR an der Ehrlichkeit und Authentizität solcher Haltungen zweifelte. 30 Jahre später ist Dresden ein interessanter Ort, solche künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten einmal wieder auf ihre Gegenwartstauglichkeit zu überprüfen.
Feuilletonscout: Wie kam es dazu, ihn in der Städtischen Galerie zu würdigen?
Johannes Schmidt: Aufmerksam gemacht wurden wir durch Ray van Zeschau, den Neffen des Künstlers, dessen Vater an einem Film über Ljuben Stoev arbeitet. Gemeinsam mit ihm war ich im Archiv der HfBK und habe Stoevs Aufenthalt in Dresden recherchiert. In Stoevs Werken habe ich die Tradition dessen erkannt, was seine Kunst auszeichnet. Mit dieser ist sein Werk für uns als auf die regionale Kunstszene konzentriertes Haus grundsätzlich interessant.
Indirekt geht es uns darum, die formale und inhaltliche Reichweite des Schaffens einer viel diskutierten und heute sehr zwiespältig gesehenen Künstlerin deutlich zu machen. Lea Grundig entwickelte ihre künstlerische Position als Kommunistin in den 1920er Jahren. Nach der Rückkehr aus der Emigration in Palästina setzte sie ihre Arbeit in Dresden fort. Als Professorin an der HfBK und als Mitglied zahlreicher kulturpolitischer Gremien war sie als Hardlinerin bekannt, die viele junge Künstlerkarrieren be- oder sogar verhindert hat. Deshalb ist ihr grafisches Werk 1990 aufs Abstellgleis geraten.
Unser Ziel ist nicht, sie unkritisch zu rehabilitieren, wohl aber, darauf aufmerksam zu machen, dass die Geschichte noch andere Facetten hat, von denen man hier bisher nichts wusste. Stoevs Werk nun 60 Jahre nach seinem Studienbeginn in Dresden kurzzeitig einmal hierher zurückzuholen, erschien uns als lohnende Sache.
Bedingt durch die Corona-Epidemie konnte die Schau nicht wie geplant im März 2020 stattfinden. Nun wird sie parallel zu einer großen Schau der Staatlichen Kunstsammlungen zu sehen sein, in der es auch um politische Kunst und um Erinnerung an die Zeit der DDR gehen wird. Das bringt unserem Projekt vielleicht sogar noch einen gewissen Synergieeffekt.
Vielen Dank für das Gespräch, Johannes Schmidt und Ray von Zeschau!
Ljuben Stoev – Und die im Dunkeln sieht man nicht
Ausstellung bis zum 10. Januar 2021
Städtische Galerie Dresden
Wilsdruffer Straße 2
01067 Dresden
Öffnungszeiten
Dienstag bis Sonntag: 10 bis 18 Uhr
Freitag: 10 bis 19 Uhr
Montag: geschlossen
5 Euro / 4 Euro
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