Rezension von Barbara Hoppe.
Der Erfindungsreichtum im Krimigenre, immer wieder neue Ermittler mit ihren Besonderheiten in den Untiefen menschlicher Bösartigkeit wühlen zu lassen, scheint unbegrenzt. Michael Wallner, 1958 in Graz geboren, erfolgreicher Schauspieler unter anderen am Burgtheater in Wien und am Schillertheater in Berlin, ebenso erfolgreicher Opern- und Theaterregisseur, schreibt seit rund 20 Jahren neben Drehbüchern auch Romane und Jugendbücher. Nun hat der Spiegel-Bestsellerautor mit „Shalom Berlin“ eine neue Krimireihe ins Leben gerufen, die seit vergangenem Jahr im Piper Verlag erscheint.
Es klingt erst einmal auch richtig gut. Alain Liebermann ist Leiter des MES, des Mobilen Einsatzkommandos Staatsschutz und Spezialist für Terrorbekämpfung. Er und sein Team kommen immer dann zum Einsatz, wenn es so richtig unübersichtlich und brandgefährlich wird, wenn Verfassung und Freiheit in Gefahr sind. Sein bester Freund im Team ist Velkan, ein begnadeter IT-Spezialist und der einzige Nicht-Beamte. Die anderen heißen Zwei, Drei oder Fünfzehn, nur selten taucht mal ein Vorname auf. Seine Vorgesetzten lavieren zwischen diversen politischen Stühlen hin und her. Mit ihrem Spagat zwischen Kriminalitätsbekämpfung, Staatstreue und politischem Geschacher kann Alain Liebermann sehr oft nur wenig anfangen.
Dennoch ist Michael Wallners Ermittler keiner dieser typischen, in deutschen Fernsehkrimis gern gesehener Brüll- und Revoluzzerkommissare. Im Gegenteil. Alain Liebermann ist ein eher stiller Mann, Jude mit großer Mischpoke und 96-jähriger Großmutter, das Familienoberhaupt der Sippe. Eine Holocaustüberlebende, die heute großbürgerlich am Kurfürstendamm lebt. Er selbst liebt seine Wohnung im Prenzlauer Berg, Fernsehabende, seine Black Spirit und die Trauer um seine geliebte Frau Lea, die an Krebs starb.
Der erste Fall führt den Juden Liebermann gleich mitten hinein in antisemitische Kreise, der zweite, deutlich terrorbehafteter, in das Haifischbecken großer und skrupelloser Politik. Das ist alles durchaus spannend erzählt. Michael Wallner versteht das Krimihandwerk gut. Die Verbrechen sind nicht ohne, die Fäden vielfach verknotet, manche verlaufen in lose Enden und zum Schluss stehen sich Wahrheit und Staatsloyalität bisweilen überkreuz und unversöhnlich gegenüber.
Und dennoch ist es ein bisschen so, als würde ein Spitzenorchester ein qualitativ hervorragendes Konzert geben, die Stücke aber im Grunde nur herunternudeln. Zu routiniert kommt die Reihe daher, zu klischeebehaftet – Liebermann verliebt sich ausgerechnet in eine atemberaubend schöne Frau Göring – und zu oberflächlich. Die Charaktere bleiben blass und stereotyp. Das ist schade, denn die Themen sind aktuell, ob es sich um Antisemitismus, politische Intrigen oder das Kanzleramt handelt. Aber mehr als solide Krimiunterhaltung ist dabei leider nicht herausgekommen. So verspielt Michael Wallner die Chance, mit „Shalom Berlin“ eine neue Marke im Krimigenre zu setzen.
Michael Wallner
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und
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beide: Piper Verlag, München 2020
beide bei Thalia
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