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Nachlese zum 23. Internationalen Literaturfestival

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Literatur

Daniel Kehlmann und Bernhard Robben im Gespräch mit Salman Rushdie über seine Roman „Victory City“. Von Birgit Koß.

Einer der unbestrittenen Höhepunkte des diesjährigen internationalen literaturfestivals berlin war der erste öffentliche Auftritt Saman Rushdies in der deutschen Öffentlichkeit im Berliner Ensemble nach dem Messerattentat von vor gut einem Jahr.

Sein langjähriger Freund und Kollege Daniel Kehlmann erinnert daran, dass Rushdie durch 15 Messerstiche lebensgefährlich verletzt wurde und ihm kaum Überlebenschancen eingeräumt wurden. Nun erscheint der Autor auf der großen Videoleinwand, in seinem Arbeitszimmer in New York sitzend mit einem dunkel getönten Brillenglas – er hat ein Auge bei dem Angriff eingebüßt – und sagt, es gehe ihm „pretty much okay“ und wedelt mit seiner linken Hand, die inzwischen wieder beweglich ist.  Der 76jährige strahlt Ruhe und Gelassenheit aus und das Publikum ist sichtlich bewegt.

Salman Rushdie wurde 1981 mit seinem Roman „Mitternachtskinder“, für den er den Booker Prize erhielt, weltbekannt, Für sein Werk „Die satanischen Verse“ rief Ajatollah Chomeini 1989 die Fatwa aus. Inzwischen kann Salman Rushdie auf 22 Veröffentlichungen zurückblicken, davon 15 Romane. Den jüngste „Victory City“ hatte er kurz vor dem Attentat fertiggestellt, veröffentlicht wurde er erst danach.

Foto: Charlotte Kunstmann

Sein genialer Übersetzer Bernhard Robben wurde von Daniel Kehlmann bei der Veranstaltung gefragt, ob er den Inhalt des Romans kurz zusammenfassen könne. Seine Antwort darauf schlich und ergreifen „nein“, um danach die komplizierte Geschichte vorzustellen.

Auf den 414 Seiten von „Victory City“ geht es um eine Erzählung der Waise Pampa Kampana, die aus dem Sanskrit übersetzt sein soll. Sie hat eine utopische Stadt der Toleranz und der Macht der Frauen erschaffen. Diese Stadt entwickelt sich zu einem mächtigen Reich, dessen Herrschaft 200 Jahre besteht. Lust- und fantasievoll erzählt Salman Rushdie diese Geschichte und verrät im Gespräch, dass die Figur der Pampa Kampana beim Schreiben einfach zu ihm gekommen sei. Er hatte Lust sich wieder seinem Heimatland zuzuwenden, nach dem tiefsinnigen Parforceritt durch die USA im Roman „Quichotte“  und ein großes Epos zu entwickeln – ähnlich wie Homer, gesteht er mit einem schelmischen Lächeln. Was ihm erst wie ein Kinderbuch erschien, entwickelte sich zu einer Sage für Erwachsene. Auch von seiner kindlichen Begeisterung für Superheldencomics erzählst Rushdie und verrät, dass seine Freude am Dschungelbuch im Wald der rosa Affen Eingang gefunden hat.- Außerdem sei dies seine kleine Revanche an Rudyard Kipling, der in seinem Roman Inder als Affen bezeichnet hatte. – In diesen Wald muss sich die Prophetin und gottähnliche Pampa Kampana im Laufe ihres 247jährigen Lebens zurückziehen, denn immer wieder wollen herrschsüchtige Männer sie vernichten.

Auch wenn die ganze Geschichte sehr verspielt und utopisch klingt, das Königreich Vijayanagar hat es in Südindien tatsächlich gegeben; auch die Königsnamen Haka und Buka sind real, hat der Übersetzer Robben bei seiner intensiven Recherche festgestellt, ist aber weitgehend vergessen.  Fragen über Macht, Herrschaft, Toleranz, Gleichberechtigung, sexuelle Freiheit, Umgang mit Fremde und Exil kommen in dem Epos auf vielen Ebenen zur Sprache und machen es damit höchst aktuell. Fast prophetisch erscheint aus heutiger Sicht, dass Pampa Kampana am Ende ihres langen Lebens geblendet wird und ihre letzten Worte lauten:

„Ich Pampa Kampana bin die Verfasserin dieses Buches. Ich habe gelebt und sah ein Reich aufsteigen und untergehen. Wie wird man sich künftig an sie erinnern, diese Könige und Königinnen?  Sie existieren nur noch in Worten. Während die Königinnen und Könige lebten, waren sie Sieger oder Besiegte oder beides. Jetzt sind sie weder noch. Worte sind die einzigen Sieger.“

In Anerkennung der Kraft seiner Worte wird Salman Rushdie am 22. Oktober 2023 der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen und die Laudatio wird sein Freund Daniel Kehlmann halten.

Salman Rushdie Victory City, Aus dem Englischen von Bernhard Robben
Penguin Verlag, München, 2023
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Salman Rushdie, Quichotte, Aus dem Englischen von Sabine Henning
C. Bertelsmann Verlag, München 2019
bei amazon
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Bei Verwendung des Textes bitte Quelle angeben bzw. verlinken.

Review of the 23rd International Literature Festival
One of the undisputed highlights of this year’s ilb was Salman Rushdie’s first public appearance in the German public at the Berliner Ensemble after the knife attack of just over a year ago. His long-time friend and colleague Daniel Kehlmann recalls that Rushdie was critically injured by 15 knife stabs and was given little chance of survival. Now the author appears on the big screen, sitting in his New York study with a darkly tinted lens – he lost an eye in the attack – and says he’s “pretty much okay” and waves his left hand, which is now mobile again. The 76-year-old exudes calm and composure, and the audience is visibly moved.

Salman Rushdie became world-famous in 1981 with his novel “Midnight’s Children”, for which he received the Booker Prize. For his work “The Satanic Verses”, Ayatollah Khomeini called for a fatwa in 1989. Salman Rushdie can now look back on 22 publications, including 15 novels. He had just finished his latest novel “Victory City” shortly before the attack, but it was not published until afterwards.

At the event, Daniel Kehlmann asked Salman Rushdie’s brilliant translator Bernhard Robben if he could briefly summarize the content of the novel. His answer was simply “no”, before presenting the complicated story.

On the 414 pages of “Victory City”, there is a story about an orphan named Pampa Kampana, which is said to be translated from Sanskrit. She has created a utopian city of tolerance and female power. This city develops into a powerful empire that lasts for 200 years. Salman Rushdie tells this story with lust and imagination and reveals in conversation that the character of Pampa Kampana simply came to him while writing. He felt like returning to his home.

2 Gedanken zu „Nachlese zum 23. Internationalen Literaturfestival“

  1. Pingback: Deutschlandpremiere mit Salman Rushdie: „Knife – Gedanken nach einem Mordversuch“ im Deutschen Theater Berlin |

  2. Vielen Dank für diese feinfühlige und zugleich gradlinige Beschreibung . Es immer wieder eine Wonne was gute Worte bewirken können 🙏Danke für diese kuratorische Auswahl Barbara Hoppe 🙏

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