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Staatsoper München: León und Lightfoot – Ästhetik mit Kritik

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ballett

Dieses Tanztheater von Sol León und Paul Lightfoot an der Staatsoper München kommt allzu leichtfüßig daher. Von Stephan Reimertz

Zu den guten Vorsätzen, die das moderne Tanztheater für 2025 aufstellen sollte, gehört: Keine Videoprojektionen mehr! Und zweitens: Keine Wortfetzen im amerikanischen Simple English mehr! Dann wären wir schon zwei Schritte weiter.

Modern Dance trifft auf Stummfilmästhetik

Der zweiteilige Ballettabend von Sol León und Paul Lightfoot, der derzeit an der Bayerischen Staatsoper gezeigt wird, geht freilich auf zwei holländische Produktionen zurück, die fast zwanzig Jahre alt sind: »Silent Screen« wurde 2005 am Nederlands Dans Theater uraufgeführt, »Schmetterling« dortselbst fünf Jahre später. Die beiden Titel sind, wie vieles in diesen beiden Produktionen, völlig beliebig. Bei einer »Schmetterling« überschriebenen Choreographie erwartet man weiche, fließende, leichte Bewegungen; allein das Gegenteil ist der Fall. Wir haben es, wenn man so will, statt mit Pastellen mit Kaltnadelradierungen zu tun. Harte, plötzliche, eckige Bewegungen dominieren den Abend: Modern Dance, Ausdruckstanz an der Grenze zur Pantomime mit Anspielungen ebenso auf den mittelalterlichen Moriskentanz wie auch auf die Stummfilmästhetik der Zwanziger Jahre.

Mit anderen Worten: Wir befinden uns ballettgeschichtlich etwa auf der Stufe von John Crankos Version von »Der Widerspenstigen Zähmung« (1969), die ja hier im Haus bei der Ballettwoche 2018 noch einmal zu bestaunen war.

Videoprojektionen und Monotonie: Der erste Teil

Das ganze bleibt beim Kunststück und schwingt sich nicht zum Kunstwerk auf. Es beginnt mit einer dreiteilige Videoprojektion mit Meeresrauschen-Reklameästhetik, aus der ein Pas de deux hervorgeht, das sich bald zum Pas de troix und zu Ensembles steigert. In unserer Aufführung Mitte Januar lebte dieser Teil sehr stark von der beeindruckenden Tänzer- und Künstlerpersönlichkeit der Eline Larroy und ihrer dominierenden Ausstrahlung. Der erste Teil, dem sehnsuchtsvollen Ungefähr gewidmet, leidet auch unter der immer monotoner werdenden Musik von Philip Glass, die am Ende auf dem Niveau von Richard Clayderman und »Ballade pour Adeline« angekommen ist.

Ein weiterer schwerer ästhetischer und kulturgeschichtlicher Missgriff ist die Einführung des Mädchens im roten Mantel aus Steven Spielbergs Film »Schindler’s List« in die ansonsten durchgehaltene Schwarzweißästhetik. Dies wird dramaturgisch in keiner Weise begründet und kann nur als Achtlosigkeit und Zynismus angesehen werden angesichts des epochalen Schicksals, für welches diese Figur steht.

Komik und Moriskentanz im zweiten Teil

Im zweiter Teil kommt dann das Komische, Moriskentänzerische voll zur Geltung. Laurretta Summerscales beherrscht als Komikerin, aber auch als virtuose Tänzerin, das Bedeutungsfeld. Robin Strone führt die Figur eines Mephisto tänzerisch gekonnt und voller Humor ein. Die Komik freilich wirkt insgesamt etwas einfach gestrickt, ebenso Texte und Musik der Rock-Band The Magnetic Fields. Die Musik kommt vom Band. Das Ballettensemble setzt das Projekt tänzerisch und expressiv diszipliniert und virtuos um. Man darf sich fragen, ob der künstlerische Gehalt den Abend rechtfertigt.

Mein Lieblingszitat aus dem Programmheft ist folgende leichtfüßige Bemerkung von Paul Lightfoot: »Bei der Wiederaufnahme eines Balletts wie Schmetterling oder Silent Screen geht es zu 50 Prozent um das Ballett und zu 50 Prozent um den künstlerischen Prozess selbst.«

Weitere Aufführungen bis Ende Februar an der Bayerischen Staatsoper München
Termine hier

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León and Lightfoot at the State Opera: an evening of ballet

León and Lightfoot bring Silent Screen (2005) and Schmetterling (2010) to the Bavarian State Opera, recalling modern and expressionist dance. Both pieces use video projections and snippets of American English text, flirting with kitsch. Silent Screen begins with a three-part projection and a pas de deux that evolves into an ensemble. Eline Larroy stands out with her commanding presence, though Philip Glass’s music becomes monotonous over time.

An aesthetic misstep is the introduction of the girl in the red coat from Spielberg’s Schindler’s List, breaking the black-and-white aesthetic without dramaturgical justification.

The second part, Schmetterling, focuses on comedic dance. Laurretta Summerscales and Robin Strone shine, though the humor and Magnetic Fields’ music feel simplistic. The ensemble impresses with disciplined and expressive performances.

Paul Lightfoot describes the project as 50% ballet, 50% artistic process—a fitting summary. The evening remains an exercise in craft, never reaching the level of true art.

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