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Antonio Caldara Oper „Ifigenia in Aulide“: glanzvoll

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Puppen, Musikanten und Menschen vereint in Großer Oper: Countertenor Carlo Vistoli feiert sein Festwochen-Debüt an der Seite von Sopranistin Marie Lys. Ottavio Danone dirigiert die Accademia Bizantina nach der von ihm selbst zusammen mit Bernardo Ticci erarbeiteten Ausgabe der Partitur der Antonio Caldara Oper. Von Stephan Reimertz.

Bestimmte Männer haben schon qua Beruf einen Schlag bei Frauen. Neben Operntenören, Ärzten und Schriftstellern gehören vor allem Kapellmeister zu der Spezies, die stets von einem Schwarm Verehrerinnen umgeben sind. Die Profession des Taktstockschwingers erschien selbst Kaiser Karl VI. so attraktiv, dass der römisch-deutsche Kaiser, Erzherzog von Österreich und Vater Maria-Theresias, gern selbst zum Staberl griff, bevor er mit 55 Jahren in Wien im Augarten starb, womit das Haus Habsburg im Mannesstamm erlosch. Als Angehöriger der erfolgreichsten Familie der europäischen Geschichte, die nicht nur bis auf unsere Tage mit seltener politischer Begabung gesegnet ist, sondern auch eine ganze Reihe von Musikern und Komponisten in ihren Reihen zählt, verstand es der Habsburger, seine musikalischen Neigungen mit politischen Notwendigkeiten zu verbinden. Tu felix Austria, cane! Dabei wurde diesem speziellen Patron der Künste zuweilen ein etwas derberer Geschmack nachgesagt. »Der Kaiser will keine Galanterien, sondern kräftige Sachen«, soll der Komponist Luca Antonio Predieri etwa über seinen Brotherrn geäußert haben.

Ifgenia in Aulide Martin Vanberg, Marie Lys Birgit Gufler ntonio Caldara Oper
Martin Vanberg, Marie Lys © Birgit Gufler

Caldaras feinnervige Ifigenia

Dennoch ist Ifigenia in Aulide von Karls Vizekapellmeister Antonio Caldara, im November 1718 in Wien uraufgeführt, ein bei all seiner Wirkungssicherheit doch ein weitgehend subtiles, feinnerviges Werk. Nachdem die Oper über dreihundert Jahre in einer Kiste geschlummert hatte, durften wir nun bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik ihre Wiederauferstehung erleben. Sie erinnern sich, wie Homer in der Ilias andeutet, dass Agamemnon seine Tochter Iphigenie nach Aulis lockt, um sie der Göttin Artemis zu opfern, damit die griechische Flotte nach Troja segeln kann. Bei Euripides hingegen ringt Agamemnon zwischen Vaterliebe und Pflicht als Heerführer, bis Iphigenie schließlich freiwillig in den Tod geht, um Griechenlands Sieg zu ermöglichen. Unter den zahlreichen Veroperungen ist freilich jene von Christoph Willibald Gluck die bekannteste. Gluck folgt weitgehend Euripides, lässt jedoch Artemis am Ende Iphigenie retten und verwandelt das Opfer in eine Apotheose. Antonio Caldara nun verdichtet die Handlung dramatisch und verwebt sie mit höfischen Liebesintrigen, bevor Iphigenie durch göttliches Eingreifen gerettet wird. Das Libretto von Apostolo Zeno ist in seiner Art einfach, aber nicht ohne Esprit und passt damit nicht schlecht zu dieser immer wieder überraschenden, originellen Musik.

Pastorale Klänge und höfische Intrigen

Der venezianische Cellist und Tonsetzer Caldara gönnt seiner Oper eine pastorale, höfische Musik, die gezielt mit Tanzrhythmen und Sequenzen (unmittelbaren Wiederholungen eines Motivs auf einer anderen Tonstufe, meist absteigend) arbeitet. Zwei absolut phantastische Naturtrompeten kommen leider nur im Prolog zum Einsatz, bei dem sich die mondäne Schönheit Marie Lys, Sopran, direkt an den Kaiser wendet, bevor ihr in der Opernhandlung die Titelrolle zufällt. Zusammen mit bundesdeutschen Sitznachbarn lachten wir vor der Vorstellung schallend über die Zusammenfassung der Handlung im Programmheft und ihren »Trojaner*innen« und »Griech*innen« und malten uns aus, wie Homer sich ausgedrückt hätte, wäre er Österreicher gewesen… Τρῶες ἀστερίσκῳ Τρωάδες bzw. Ἕλληνες ἀστερίσκῳ καὶ Ἑλληνίδες….

Ifgenia in Aulide Neima Fischer, Berta Martí Birgit Gufle ntonio Caldara Oper
Neima Fischer, Berta Martí © Birgit Gufle

Ein Ensemble mit musikarchäologischem Eifer

Ottavio Dantone und die Accademia Bizantina sind das ideale Ensemble für solch eine Wiederentdeckung. Am Anfang steht der musikgeschichtliche, ja man muss sagen: musikarchäologische Enthusiasmus, der dazugehört, so ein Werk neu zu erschaffen, was man ererbt hat, zu erwerben, um es zu besitzen. Weder ein zuverlässiger Notentext noch eine Aufführungstradition waren ja vorhanden. Das eröffnet allerdings auch Raum und Gelegenheit, Neuland zu betreten. Das Ensemble aus Ravenna musizierte so frisch wie am ersten Tag. Wir saßen fast ganz vorn und konnten auch die gute Stimmung im Orchester fühlen.

Ein Opernabend als Bijoux

Die prachtvolle Erscheinungen der Sänger-Darsteller, ihr Humor, ihre Begeisterungsfähigkeit und Professionalität erschufen einen Opernabend, der wirklich ein Bijoux war. Marie Lys als Prinzessin Ifigenia von Mykene war stimmlich und in ihrer aristokratischen Gestalt die Idealbesetzung. Countertenor Carlo Vistoli musste musikalisch und schauspielerisch zugleich Held und Komödiant sein, und er wurde diesen Herausforderungen zur großen Bewunderung des Publikums spielend gerecht. Martin Vanberg, Tenor, bot eine stimmschöne und würdige Verkörperung des Agamemnon. Sein Gesang voll Biegsamkeit und Kraft fühlte sich ideal in diese packende, formschöne, lange ungehörte Musik ein.

Mezzo Shakèd Bar verlieh der Klytemnestra eine ungewöhnliche Skala an Tönen, Schattierungen und Ausdrucksmöglichkeiten. Besonders entzückt war das Publikum von der Sopranistin Neima Fischer, die als in den Achilles verliebte Fürstin von Lesbos eine Art mädchenhaft-verschämten Charme verströmte und über immer wieder ausbrechende überraschende stimmliche Reserven gebot.

Ifgenia in Aulide Filippo Minecchia, Neima Fischer Birgit Gufler Antonio Caldara Oper
Filippo Minecchia, Neima Fischer © Birgit Gufler

Puppenpoesie und barocke Bühnenwelt

Lebensgroße Puppen aus den Händen von Iwan Terpigorew und Berta Martí verdoppelten sinnig diese beiden Damenrollen, wie überhaupt das Bühnenbild von Alexandra Semenowa, Anna Fernández & Santi Arnal mit seinem pastoralen Hintergrund, der von phantastischen Medaillon-Allegorien gesäumt dieser Oper aus dem frühen achtzehnten Jahrhundert vollkommen angemessen war. Wir verließen den festlichen Opernabend im Tiroler Landestheater mit dem Vorsatz, dem Komponisten Antonio Caldara künftig mehr Aufmerksamkeit zu schenken und mit dem Verdacht, dass das siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert mit Sicherheit noch weitere ungehobene Schätze bereithalten.

Was die Aufführung sehenswert macht:

  • Wiederentdeckung einer Opernrarität von Antonio Caldara
  • Virtuose Besetzung mit Marie Lys und Carlo Vistoli
  • Bühnenbild und Puppenspiel als poetische Verdopplung
Antonio Caldera: Ifigenia in AulideAccademia Bizantina
Musikalische Leitung: Ottavio Dantone
Libretto: Apostolo ZenoUraufführung: Wien, Leopoldinisches Hoftheater, 1718

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Antonio Caldara’s opera “Iphigenia in Aulis”: A glorious return

Antonio Caldara returns triumphantly to the stage with “Ifigenia in Aulide.” The Innsbruck Festival of Early Music presents the opera in a new edition by Ottavio Dantone and Bernardo Ticci. Premiered in Vienna in 1718, the work blends courtly intrigue with mythological depth and pastoral music. Marie Lys shines as Ifigenia, Carlo Vistoli impresses as both hero and comedian. The Accademia Bizantina performs with fresh energy, while the stage design combines puppetry and baroque allegories. This rediscovery reveals the hidden musical treasures of the 18th century.

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