- Pluhars Klangkosmos
- Vergessene Stimmen
- Instrument mit Giraffenhals
- Oper in Miniatur
- Halleluja und Schauer
- Wonder Women: Early music reimagined
»Das Projekt ehrt die wundervollen Komponistinnen des 17. Jahrhunderts«, so Christina Pluhar. »Gleichzeitig feiert es Musikerinnen aller Epochen, die ihr Talent hinter dem ihres Ehemannes verstecken mussten oder ihre Karriere vorzeitig aufgaben.« Wonder Women bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik. Von Stephan Reimertz.
Pluhars Klangkosmos
Die in Paris lebende Grazerin Christina Pluhar gründete vor einem Vierteljahrhundert das Ensemble L’Arpeggiata, das sich auf italienische, französische und englische Musik des siebzehnten Jahrhunderts spezialisiert hat. Dabei fallen zwei Besonderheiten ins Auge: Die aus Musikern aus aller Welt bestehende Gruppe legt ihren Aufführungen umfassende musikgeschichtliche und quellenkundliche Recherchen zugrunde und geht in der Aufführung neue Wege, die Improvisationen, Jazzelemente und andere ungewöhnliche Ideen einschließen können. So kommen ambitionierte Aufführungen wie Mozarts Re pastore zum Mozartfest 2022 in Salzburg ebenso zustande wie jetzt der bunte Abend Wonder Women bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik. »Musik von Frauen und über Frauen« – das ist ein weites Feld. Im Tiroler Landestheater erlebten wir einen Streifzug von der – vorwiegend italienischen – Musik des siebzehnten Jahrhunderts über italienische Volksweisen bis hin zu mexikanischen Liedern; ein transatlantischer Bogen, der die Romania als kulturelle Einheit inszeniert. Dieses Konzept verweist auf globale Vernetzungen historischer Musiktraditionen durch Kolonialismus, Migration und kulturellen Austausch. Christina Pluhars Ansatz der Aufführungspraxis, historisch informierte Spielweise mit improvisatorischen und genreübergreifenden Elementen (Jazz, Volksmusik, Chanson) zu verbinden, ist typisch für die postauthentische Alte-Musik-Szene seit den 1990ern, die historische Genauigkeit nicht mehr als Selbstzweck, sondern als Ausgangspunkt für kreative Transformation betrachtet.

Vergessene Stimmen
»Wonder Women« reiht sich dabei ein in die gegenwärtige musikwissenschaftliche Aufarbeitung und Rehabilitierung vergessener weiblicher Stimmen. Die Präsentation im Rahmen der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik schließt an eine historische Bewegung an, die seit den 1970er-Jahren systematisch Archive nach Werken von Komponistinnen durchsucht. Dabei ist das Besondere an L’Arppeggiata die einerseits klassisch abgesicherte, andererseits kreative und oft auch improvisierende Aufführungspraxis. In Innsbruck stand ein Vokalquartett einem Instrumentaloktett gegenüber.
Instrument mit Giraffenhals
Leiterin Christina Pluhar, die oft auch für die Neufassungen der Kompositionen verantwortlich zeichnet, ist auch Theorbistin. Aber was ist überhaupt eine Theorbe? Da stellen wir uns ganz dumm, und dann sagen wir so: Eine Theorbe ist eine ins Überdimensionale mutierte Mandoline mit Giraffenhals, die man nicht in einem vollbesetzten Abteil der Bahn auspacken sollte, die aber so aussieht, als könne man damit Schwertfische angeln und Einbrecher in die Flucht schlagen. Der trockene Klang eignet sich vorzüglich, um via basso continuo eine Struktur bereitzustellen, über der sich die anderen Instrumente entfalten können.
Die Besetzung in Innsbruck bestand aus einem Instrumentaloktett mit zwei Theorben, zwei Violinen, Barockgitarre, Zink, Kontrabass und wechselnder Perkussion und einem Stimmquartett mit einem Sopran, zwei Mezzos und einem Alt. Christina Pluhar, die auch für Konzept und Dramaturgie verantwortlich zeichnete, saß am Rande und übte von ihrem Instrument diskret die musikalische Leitung aus. Von Komponisten wie Maurizio Cazzati über Komponistinnen wie Isabelle Leonarda, Antonia Bembo und Francesca Campana bis hin zu italienischen und mexikanischen Traditionsweisen entfaltete sich eine überraschend vielfältige, variationsreich instrumentierte, inszenierte und vorgetragene Anthologie. Die Komponistin Barbara Strozzi fiel mit Gesängen voller Liebesklagen auf, wobei wir hofften, dies sei nicht autobiographisch und sie folge lediglich einer Tradition.
Oper in Miniatur
Aus dem Sängerquartett stach Vincenzo Capuzzetto heraus. Der Altist ist zugleich Tänzer und brachte seine komischen bis akrobatischen Fähigkeiten ebenso ein wie sein beträchtliches schauspielerisches Talent, so dass er jeden seiner Auftritte in eine kleine Oper verwandelte. Von den drei Damen fiel besonders Mezzo Luciana Mancini mit ihrer eher in hispanischer Tradition stehenden Intonation und einer gewaltigen Kraft auf, die eher an Mercedes Sosa als an die bekannten europäischen Opernsängerinnen erinnert. Das Ensemble ließ zum großen Jubel des Publikums den Zauber und die Vielfalt der Romania hören und sehen.
Halleluja und Schauer
Dieser Abend voller Energie, Zauber und Charme erfuhr ein überraschendes Ende, als als zweite Zugabe eine auf »Halleluja!« endende angloamerikanische Weise erklang, die wie die Hymne einer protestantisch-freikirchlichen Organisation aus dem Mittleren Westen der USA wirkte, und die außer uns alle Zuhörer zu kennen schienen. Bereitwillig sangen alle den Halleluja!-Refrain mit. Der düstere Paradigmenwechsel wirkte, als solle der gesamte romanische Abend widerlegt werden. Tiefer Schrecken fuhr uns in die Glieder, und uns war zumute, als seien wir nichtsahnend in ein katholisches Hochamt gegangen und müssten am Ende feststellen, dass wir uns in einer Schwarzen Messe befinden.
Warum die Aufführung sehens- und hörenswert ist:
- Virtuose Verbindung von Barock, Jazz und Volksmusik
- Vokalquartett trifft auf Theorben und Zink Capuzzetto als szenischer Höhepunkt
| Wonder Women Werke von Barbara Strozzi, Francesca Caccini, Isabella Leonarda, Maurizio Cazzati, Andrea Falconieri, u. a. | Ensemble L’Arpeggiata |
| Musikalische Leitung: Christina Pluhar | Céline Scheen | Sopran Luciana Mancini | Mezzosopran Benedetta Mazzucato | Mezzosopran Vincenzo Capezzuto | Alt |
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Wonder Women: Early music reimagined
At the Innsbruck Festival of Early Music, Christina Pluhar and her ensemble L’Arpeggiata presented “Wonder Women,” honoring 17th-century female composers and musicians whose talents were long overshadowed. Pluhar’s approach blends historically informed performance with jazz, folk, and improvisation—hallmarks of the post-authentic early music scene. At the Tiroler Landestheater, the program spanned Italian Baroque, Mexican folk songs, and Anglo-American hymns. The ensemble featured an instrumental octet with theorboes, violins, cornetto, and percussion, alongside a vocal quartet. Highlights included works by Barbara Strozzi and performances by countertenor Vincenzo Capuzzetto, who combined singing, dance, and theatrical flair. Mezzo Luciana Mancini stood out with her powerful voice rooted in Hispanic tradition. The evening, rich in energy and charm, ended with a surprising “Hallelujah” encore—an unexpected shift from the Romanesque soundscape, evoking a near-liturgical atmosphere.






