Zum Inhalt springen

Frankfurter Buchmesse 2025: Stimme der Philippinen

Rating: 5.00/5. From 2 votes.
Please wait...
Literatur

Von Birgit Koß.

Seit 1988 stellt die Frankfurter Buchmesse jedes Jahr ein Gastland oder eine Gastregion als Ehrengast vor. Italien eröffnete damals den Reigen. Das Gastland wird mit einem umfassenden kulturellen Rahmenprogramm präsentiert, das Lesungen, Preisverleihungen und weitere kulturelle Veranstaltungen umfasst. Besonders interessant finde ich dies, wenn das Gastland literarisch bei uns kaum bekannt ist. 2018 war Georgien in Frankfurt zu Gast. Davor war es ausgesprochen schwierig, Übersetzungen georgischer Autoren ins Deutsche zu finden. Plötzlich boomte der Markt und bis heute schauen einige Verlage jedes Jahr auf Neuerscheinungen in Georgien und setzen sich für Übersetzungen ein.

Stimmen der Philippinen: Geschichte und Gegenwart

Dieses Jahr sind die Philippinen in Frankfurt zu Gast. Damit sind sie das zweite südostasiatische Land nach Indoniesen, das den Status 2015 innehatte. Die Philippinen bestehen aus mehr als 7000 Inseln mit etwa 115 Millionen Einwohnern und 135 gesprochenen Sprachen. Bisher waren Bücher philippinischer Autoren und Autorinnen hier nur schwer zu finden. Ich erinnere mich, nach eine Pressereise auf die Philippinen 1991 „Noli me tangere“ von José Rizal gelesen zu haben. Der Nationalheld veröffentliche sein Epos, ein Jahrhundertroman über Liebe, Mut und leidenschaftliche Ideale 1877. Hier war das Buch lange Zeit vergriffen und wurde in diesem Jahr wieder aufgelegt im Insel Verlag. Auf den Philippinen gehört dieser Roman nach wie vor zur Pflichtlektüre in den Schulen und ist wirklich für jeden ein Begriff.

Erinnerungen, Rebellion und Realität

Sehr viele philippinische Autoren beschäftigen sich mit der wechselvollen, oft sehr blutigen Geschichte ihres Landes, die sich über die spanische und amerikanische Kolonialzeit, die japanische Besetzung im zweiten Weltkrieg und diverse Diktaturen und Bürgerkriege erstreckt. Dazu gehört auch Jose Dalisay, der in Frankfurt zu Gast sein wird. Zwei seiner Romane hat der Transit Verlag dankenswerter Weise bereits in den letzten beiden Jahren herausgebracht.

Frankfurter Buchmesse 2025 Killing time in a warm place Jose Dalisay Transit Verlag
Cover: Transit Verlag

„Killing Time in a warm Place” ist ein sehr persönliches Buch des Autors über seine Zeit der Inhaftierung 1973. Er beschreibt darin ehrlich und fast lakonisch, wie er und seine Freunde sich mit dem kommunistischen Untergrund anfreunden und während der Marcos-Diktatur mit Polizeigewalt und Korruption umgehen – müssen – und wie er sich schließlich anpasst, um zu überleben und später in die USA auswandert. In dem Nachwort der Neuauflage von 2024 schreibt Jose Dalisay: „Ich begann 1986, diesen Roman zu schreiben, kurz nach dem Sturz des Marcos-Regimes. Dieser Sturz war Folge massenhafter Proteste in den Straßen Manilas, die überall Schlagzeilen machten und weltweit zu einem Modell für friedliche, antiautoritäre Bewegungen wurden. Ich war stolz, Teil dieser Revolte zu sein“, doch dann fährt er ernüchtert fort: „Knapp vierzig Jahre später ist das eigentlich Undenkbare geschehen, die Rechte ist zurück, nicht nur auf den Philippinen auch in vielen anderen Ländern die wir für stabile Demokratien hielten ….  Mein Roman sollte eigentlich von der Vergangenheit handeln. Warum ist er plötzlich wieder so aktuell?“

Frankfurter Buchmesse 2025 Jose Dalisay Last Call Manila Transit Verlag
Cover: Transit Verlag

Sein zweiter auf Deutsch vorliegende Roman „Last Call Manila“ aus dem Jahr 2008 ist ein Kriminalroman, der mit einer Leiche in einem Zinksarg beginnt, mit einer junge Philippina, die als Hausmädchen bei einer wohlhabenden saudischen Familie in Dschidda gearbeitet hat. Laut Sarg-Etikett heißt sie Aurora Cabahug. Doch Polizist Walter Zamora weiß sofort, dass etwas nicht stimmen kann, denn noch am vorherigen Abend hat er Aurora in einer Bar gesehen als Sängerin – quicklebendig. Doch Jose Dalisay erzählt die Kriminalgeschichte nicht gradlinig weiter. Es gibt Vor- und Rückblicke in die Lebenswelten der handelnden Personen, so dass ein eindrucksvolles, sehr lebendiges Kaleidoskop über die teilweises verstörenden Lebensbedingungen auf den Philippinen kurz nach der Jahrtausendwende und davor entsteht. Dieser Roman kann genauso gut als Sozialreportage verstanden werden.

Zeitlose Aktualität

Ein besonderes Augenmerk wirft der Autor auf die Situation der Arbeitsmigranten oder Wanderarbeiter. „Da waren Haushaltshilfen, Köche, Fahrer, Tänzer, Klempner, Konstrukteure, Schweißer, kräftige Seeleute und andere Vertreter aller möglichen Dienstleistungen und Gewerbe, die ihre Küche, Ställe, Klassenzimmer, Fruchtstände, Videoke-Bars, Schuh- und Gummifabriken verlassen hatten auf der Suche nach besseren Jobs – auf tobender See oder brennendem Sand, von Singapur bis Stockholm, London bis Lagos, Riad bis Reykjavik, in zwielichtigen Kaschemmen und auf Bohrinseln, in Pflegeheimen und Konservenfabriken, Welle um Welle über all die Meere Und Ozeane hinweg, die ihre Inseln umschlossen.“ Treffender als in diesem einen Satz kann man die Situation der über 8 Millionen „Oversea Workers“ wohl kaum umreißen.

Und auch dieser Roman von Jose Delisay ist immer noch so aktuell wie bei seiner Entstehung – auch wenn es damals kaum Handys und PCs gab, die heutzutage einige Recherche vereinfachen würden, aber letztendlich am Schicksal der Betroffenen auch nichts ändern. Ein absolut lesenswerter Roman, der trotz des schwergewichtigen Themas oft mit einem Augenzwinkern und humorvollen Wendungen daherkommt.

Some people need killing Patricia Evangelista CultureBook Frankfurter Buchmesse 2025
Cover: CulturBook

Die Rückkehr der Gewalt in der Literatur

Frisch zur Buchmesse vom CultureBook Verlag herausgebracht wurde das Buch „Some poeple need killing – eine Geschichte der Morde in meinem Land“ von Patricia Evangelista. Die Autorin ist ebenfalls zu Gast in Frankfurt. In ihrer Reportage hat die international gefeierte philippinische Journalistin die staatlich angeordneten und sanktionierten Drogenmorde unter Präsident Rodrigo Duarte verfolgt, die tausenden Bürgern der Philippinen das Leben kostete – als oft vermeintliche Drogendealer und- abhängige denunziert und von sogenannten Volksmilizen hingerichtet. Sie sprach mit Angehörigen der Opfer und Tätern häufig den sogenannten „Todesschwadronen“, recherchierte akribisch und war irgendwann nicht mehr sicher in ihrem Land. Im Oktober 2018 bekam sie ein dreimonatiges Stipendium für die USA, das den Grundstock für dieses Buch legte. „In diesem Buch geht es um die Toten und die Menschen, die zurückblieben. Aber es ist auch eine persönliche Geschichte, erzählt in meiner eigenen Stimme, die Bürgerin einer Nation, die ich nicht als meine anerkennen kann. Die vielen Tausend, die starben, wurden mit der Erlaubnis meines Volkes getötet. Ich schreibe dieses Buch, weil ich mich weigere, meine zu geben.“

Patricia Evangelista beschreibt nicht nur die einzelnen Morde und ihre Hintergründe und gibt damit den von Duarte und den Tätern zu „Nichtmenschen“ erklärten Opfern ihre Menschlichkeit zurück, sondern erzählt auch von der allgemeinen Verrohung des Volkes und der Sprache, die dieses Ausmaß an Gräuel erst möglich machte und bis heute Nachwirkungen hat. So endet das Buch: „Am 11. März 2025 wurde der ehemalige Präsident Rodrigo Duarte festgenommen und nach Den Haag überstellt, wo ihn vor dem internationalen Strafgerichtshof (StGH) ein Prozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit erwartet. Am 12. Mai.2025 wurde er (in Abwesenheit) mit überwältigender Mehrheit (zum achten Mal) zum Bürgermeister von Davao City gewählt.“ Damit ist dieses aufrüttelnde und für mich immer nur in kleinen Dosen verträgliche Buch nicht nur eine wichtige Beleuchtung der philippinischen Gesellschaft, sondern auch eine eindrückliche Warnung vor gewaltbereitem Populismus, der überall – auf der ganzen Welt- stattfinden kann.

Caroline Hau Stille im August Wunderhorn Verlag Frankfurter Buchmesse 2025
Cover: Wunderhorn Verlag

Zerrissene Welten, suchende Frauen

Auch der Roman von Caroline Hau bezieht die aktuelle Geschichte, die Kolonialgeschichte der Philippinen und das Schicksal der Wanderarbeiterinnen in seine Handlung mit ein. Im Zentrum stehen zwei Frauen: Racel und Lia, die als Kinder miteinander gespielt haben, trotz des großen Klassenunterschiedes. Racels Mutter Alma war Lias Kindermädchen, das seine Tochter mit in das Herrenhaus holte, um dafür zu sorgen, dass Racel eine bessere Schulbildung bekäme. Doch trotz der Ausbildung zur Lehrerin schlug Racel letzten Endes den gleichen Weg wie ihre Mutter ein, nur dass sie nicht für die seit zwei Jahrhunderten als Zuckerbarone auf ihrer eigenen – fiktiven – Insel Bwana lebende Familie Agalon arbeitete, sondern für etwas mehr Geld in Singapur als Dienst- und Kindermädchen. Als Alma nach einem Taifun, der die Insel weitgehend zerstört hat, spurlos verschwunden ist, beginnen beide Frauen nach ihr zu suchen. Dazu kommt, dass Lia, die in eine reiche, chinesischstämmige Familie in Singapur eingeheiratet hat, nach einem Seitensprung, der zu einem gesellschaftlichen Skandal führt, in ihre Heimat zurückkehren muss. Die beiden Frauen nähern sich bei ihrem Aufeinandertreffen auf Bwana vorsichtig wieder an und die Suche nach der verschwundenen Mutter wird letztendlich zur Suche nach einem selbstbestimmteren, gewaltfreieren Leben jenseits des Diktats von Klasse und gesellschaftlichen Zwängen.

Die Geschichte wird in abwechselnden Kapiteln von Racel und Lia erzählt: Dabei tritt Racel als Ich-Erzählerin auf. Die Autorin erzählt sehr bildhaft, beschreibt präzise die Landschaft, die Lebensumstände der Familien auf der Zuckerrohrplantage und die lange Familiengeschichte der Agalons, aber auch Mythen und Spuckgeschichten. Es fließen viele Originalausdrücke aus verschiedenen philippinischen Sprachen und dem Spanischen mit ein, die in einem ausführlichen Glossar am Ende des Buches erklärt werden, den Lesefluss allerdings manchmal etwas bremsen.

Caroline Hau ist in Manila geboren und Professorin für südostasiatische Literatur. Ihre gelingt in diesem Roman ein eindrucksvolles, sozialkritisches Gegenwartspanorama von Singapur, Manila und ihrer fiktiven Insel, anhand derer die Autorin auch die Spannungen und Wandelungen von der Zuckerrohrplantage zum Luxustouristenressort beschreibt. Auch sie wird als prominenter Gast auf der Buchmesse mit Lesungen und Veranstaltungen vertreten sein.

Feiern auf Philippinisch Evasco Atienza Franfurter Buchmesse 2025 Edition Orient
Cover: Edition Orient

Kinderliteratur als kulturelles Fenster

Der Verlag Edition Orient hat es sich zur Aufgabe gemacht, Kinderbücher aus fernen Ländern in vielen Sprachen für Kinder im Kita- und Grundschulalter herauszubringen. Und natürlich gibt es jetzt druckfrisch „Feiern auf philippinisch“ von Eugene Evasco und Pepot Atienza. In schönen bunten Bildern hat Joffrey Zamoro Atienza, ein bekannter Kinderbuchillustrator und Künstler aus der Provinz Quezon, den Vorabend des Pahiyas-Festivals – eines Erntedankfests – auf den Philippinen dargestellt. Dazu nutzte er 3D-Sets, Tonfiguren und Requisiten, die er eingehändigt fertigte und daraus Szenen für den Photographen herstellte. Die Geschichte dazu von einem Jungen aus dem Städtchen Lucban, der mit seiner kleinen Schwester die Vorbereitungen beobachtet, stammt von Eugene Y. Evasco, der als Professor für Kreatives Schreiben und Kinderliteratur an der Hochschule der Künste und Literatur der philippinischen Universität Diliman arbeitet. Der Junge erklärt seiner kleinen Schwester und damit auch den Lesern das, was er sieht und was zu dem traditionellen Fest gehört. Besonderen Wert legt er dabei auf das Schmecken, Riechen, Hören, Fühlen und Staunen. Doch ganz besonders hervorzuheben und lobenswert ist die dreisprachige Aufmachung in Deutsch, Englisch und Filipino. Wenn man das Buch aufschlägt hat man ein zweiseitiges Bild vor sich, auf der rechten Seite mit dem deutschen Text. Die linke Seite lässt sich aufklappen. Das weggeklappte Bild erschein dann nochmals links und auf dem ausgeklappten Teil ist der Text in Englisch und Filipino, sowie teilweise zusätzliche Erklärungen in Deutsch wie beispielsweise das „Kiping“, eine Art dünne essbare Reiswaffeln, die traditionell beim Pahiyas-Festival zu kunstvollen Gehängen arrangiert werden – was dann natürlich auf den Bildern zu sehen ist. Somit hat dieses Kinderbuch alle Zutaten zu einem besonderen Genuss: wunderschön anzusehen, eine kindgemäße Sprache und viele Informationen für Klein und Groß.

Vielfalt auf der Frankfurter Buchmesse 2025

Allein diese kleine Auswahl der philippinischen Literatur schafft ein buntes Kaleidoskop des Landes, wobei bestimmte Themen immer wieder auftauchen und sich so der Kreis schließt. In Frankfurt werden über 100 philippinische Autoren und Autorinnen und Künstler und Künstlerinnen erwartet. 777 Literaturveranstaltungen sind geplant, die von Ausstellungen, Performances und Filmen ergänzt werden. Der Ehrengast-Pavillon auf der Buchmesse umfasst 2000 Quadratmeter. Wer dem Messetrubel fernbleiben möchte, kann in den vielen Neuerscheinungen gemütlich auf dem Sofa schwelgen.

Was die Frankfurter Buchmesse 2025 besonders macht:

  • Gesellschaftskritik zwischen Geschichte und Gegenwart
  • Vielfalt, Sprache und Identität auf der Buchmesse
  • Authentische literarische Stimmen aus Südostasien
Jose DalisayKilling time in a warm place
Aus dem Englischen von Niko Fröbe
Transit Verlag, Berlin 2024
bei amazon
bei Thalia

Last call Manila
Aus dem Englischen von Niko Fröbe
Transit Verlag, Berlin 2023
bei amazon
bei Thalia
Patricia EvangelistaSome people need killing. Eine Geschichte der Morde in meinem Land.
Aus dem Englischen von Zoe Beck
CultureBooks Verlag, Hamburg 2025
bei amazon
bei Thalia
Caroline HauStille im August
Aus dem Englischen von Susann Urban
Wunderhorn Verlag, Heidelberg 2025
bei amazon
bei Thalia

Eugene Y. Evasco und Pepot Atienza
Feiern auf Philippinisch. Ein Erntedankfest auf den Philippinen
Aus dem Englischen von Birgit Mader
Edition Orient, Berlin 2025
bei amazon
bei Thalia

Bei Verwendung des Textes bitte Quelle angeben bzw. verlinken.

Frankfurt Book Fair 2025: Voice of the Philippines

Since 1988, the Frankfurt Book Fair has featured a guest country each year. In 2025, the Philippines take the spotlight – the second Southeast Asian nation after Indonesia. More than 100 authors present a panorama of history, colonial legacy, and contemporary life.
Jose Dalisay’s „Killing Time in a Warm Place“ recounts survival under the Marcos dictatorship, while „Last Call Manila“ blends crime story and social portrait of migrant workers. Patricia Evangelista’s „Some People Need Killing “ documents Duterte’s drug war with striking honesty, confronting the moral decay of society. Caroline Hau’s novel portrays two women seeking freedom across class divides and cultural boundaries.
Children’s literature also joins the stage: „Feiern auf philippinisch“ celebrates the Pahiyas Festival in a trilingual edition in German, English, and Filipino.
Philippine literature reflects a nation between tradition, colonial past, and global modernity. At the Frankfurt Book Fair, it forms a vibrant mosaic of voice, history, and identity – a powerful new presence in world literature.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert