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„Fledermaus“ und „Pompeo Magno“ in Wien

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Stefan Herheims „Fledermaus-Dämmerung“ zum 200. Geburtstag von Johann Strauss (Sohn) und Cavallis vorbarocke Glanz-und-Gloria-Karnevalsoper „Pompeo Magno“ in einer konzertanten Version am MusikTheater an der Wien

Hat er. Oder hat er nicht? Dieser Slibowitz scheint verdammt gut zu sein und regt diesen Kaiser-Franz-Joseph-Verschnitt – pardon: Stefan Herheims neuen Gefängniswärter Frosch aus der „Fledermaus“ – zum Plaudern an. Das tut er unablässig, dauerbeslibowitzt mit vorvorgestriger Standhaftigkeit.

Fokus im Federtiernebel

Zweihundert wäre er heuer am 25. November geworden: Johann Strauss (Sohn). Die Jahrtausendoperette „Die Fledermaus“, das walzernde Nationalheiligtum der Österreicher, muss neu gesichtet, inszeniert und in die Jetztzeit transportiert werden. Diesem Versuch erliegt Regisseur und Hausherr des MusikTheaters an der Wien, Stefan Herheim, grandios. Herausgekommen ist ein zerrupftes Federtier, ein überladenes Sammelsurium uncharmanter, grotesk überdrehter Regie-Baukasten-Einfälle, die nicht nur das Kaiserreich samt Sissi-Kult, die Uraufführung von Beethovens „Fidelio“ (1805) und das Musical „Elisabeth“ (1992) fokussieren, sondern auch den Beginn der Naziherrschaft in Österreich heraufbeschwören.

Dreamteam Meilhac und Halévy

Die Keimzelle der Ideen zur „Fledermaus“ war das Vaudeville „Le Réveillon“ des französischen Autorenduos Henri Meilhac und Ludovic Halévy, deren Opernparodien, Farcen und Satiren – von der „Schönen Helena“ bis zur „Périchole“ – allesamt von Jacques Offenbach vertont, im Zweiten Kaiserreich in Paris für Amüsement sorgten. Auch Bizets Carmen-Libretto (1875) stammte von Meilhac und Halévy. Die Oper „Carmen“, die fast zeitgleich mit der „Fledermaus“ aufgeführt wurde, avancierte jedoch erst viel später – nach ihrem Premieren-Fiasko – zum Welthit. Die „Fledermaus“ von Johann Strauss (Sohn), seine dritte Operette von insgesamt fünfzehn, war dagegen sofort nach der Uraufführung im April 1874 am Theater an der Wien ein Dauerbrenner und wurde nach ihrem Berliner Erfolg 1875 zum Welterfolg.

Fledermaus Theater an der Wien Wunderlin Kurucovà Arnold Schoenberg Chor
Theater an der Wien: Fledermaus (c) Karl Forster
Alina Wunderlin (Adele), Jana Kurucová (Prinz Orlofsky), Arnold Schoenberg Chor

Operette im Schatten der Geschichte

Beim Öffnen des Vorhangs blicken wir in ein Gefängnis. Beethovens „Fidelio“-Ouvertüre erklingt, der jene der Fledermaus folgen wird. „Fidelio“ spielt bekanntlich ja auch im Gefängnis. Kaiser Franz Joseph (Alexander Strobele) – wir haben ihn ja schon oben erwähnt – schlurft und lächelt uns entgegen. Er ist Dauergast, Grantler und Stefan Herheims Fledermaus-Kultfigur Frosch in allen Akten seiner Neuinszenierung des Operettendramas. Dieser „Kaiser-Frosch“ ist „Verzweiflungsvirtuose“, ewig Gestriger, ja Vorgestriger, und bedient alle Klischees der Donaumonarchie. Verortet ist die Fledermaus-Spaßgesellschaft-Szenerie am Vorabend des Anschlusses Österreichs an Hitler-Deutschland 1938. Die Tage des Kaisers sind gezählt. Da hilft auch sein Traum von der glücklichen Zeit mit Sissi – war sie denn so glücklich? – nicht.

Prinz Orlofsky – ein wenig blass dargestellt von Jana Kurucová – hängt derweilen gelangweilt über die Logenbrüstung und sinniert mit Dr. Falke. Beide gleichen Statler und Waldorf aus der legendären Muppet-Show. Nur: Diese waren tiefgründig komisch! Juchzende, Geige spielende Strauss-Ratten, die in Glanzlack und Leder mit Hitlerbärtchen Tanzeinlagen auf das Parkett legen, sollen Schwung in den illustren Orlofsky-Palast bringen. Die Musik ist turbulent,

Die Musik ist turbulent, so wie die Zeit, in welche sie von Herheim verlegt wurde. Nein, der „Schani“, Spitzname des Donauwalzer-Königs Strauss, und sein kongenialer Co-Autor Genée wären nicht amused.

Fledermaus Theater an der Wien Sabirova Kosavic
Theater an der Wien: Fledermaus (c) Karl Forster
Statisterie, Hulkar Sabirova (Rosalinde), Leon Košavić (Dr. Falke)

Bühnenbilder ohne Herz und Hirn

Das fidele Fidelio-Gefängnis verwandelt sich im ersten Akt in die Plüschsofa-Wohnstätte der Eisensteins, die als von jüdischer Herkunft stammend markiert werden: Ein siebenarmiger Leuchter weckt die Aufmerksamkeit. Im Ballsaal-Akt bei Orlofsky spiegelt Bühnenbauer Herheim die Logen des ehemaligen Theaters an der Wien. Rot-goldener Prunk, Champagnerlaune und Luxusgesellschafts-Allüren. Am Ende des ganzen Verwechslungschaos in der „Fledermaus“ sind – wie üblich – der Champagner oder der Slibowitz, die Kaiser-Frosch in sich hineinkippt, die Übeltäter. Der Slogan in der Show Herheims lautet: Lass uns lieber noch einmal walzen, bevor der Börsenkrach den Bankrott heraufbeschwört, der Krieg proklamiert wird oder der Anschluss an das Dritte Reich gewiss ist.

Doch das „Für die Ewigkeit – immer so wie heut!“ (Zitat aus der Fledermaus) bleibt vielen aufmerksamen Zuhörerinnen und Zuhörern im Brustkorb stecken. Seröse und würdige Erinnerungskultur mit Tiefgang und Respekt geht anders, ganz anders! „Nicht immer so wie heut!“ sollte das Motto lauten. Herheims Fledermaus-Champagner-Potpourri schmeckt fade, stößt böse auf, versinkt in Klischees. Seine Fledermaus-Adaption ist eine ohne Herz und Hirn.

Theater an der Wien Fledermaus Strobele Fischer Strazanac
Theater an der Wien: Fledermaus (c) Karl Forster
Alexander Strobele (Frosch), David Fischer (Alfred), Krešimir Stražanac (Frank)

Strauss unter Hochspannung

Dirigent Petr Popelka eilt derweilen ruhe- und rastlos durch die Partitur. Er gönnt dem Pulsschlag und der Fledermaus kaum Atem. Es tönt ein wenig hemdsärmelig und kantig. Die Wiener Symphoniker spielen lust- und effektvoll, aber charmegebremst – ganz im Sinne der Inszenierung.

Thomas Blondelle als Eisenstein versprüht fidel-famose Tenor-Raffinessen. Er liebt diese ihm auf den Leib geschriebene Partie des Draufgängers und Lebemanns Eisenstein. Hulkar Sabirova (Rosalinde) singt nicht immer textverständlich. Sie liefert sich mit David Fischer (Alfred) ein sprühendes Opern-Potpourri mit fein eingestreuten Zitaten aus „Butterfly“, „Andrea Chénier“, „Aida“, „La Traviata“ sowie „Tristan und Isolde“. Alina Wunderlin lässt als Adele mit ihrem spritzig-wohlklingenden, champagnersüffigen Koloratursopran aufhorchen. Leon Košavić überzeugt als Dr. Falke alias Hitler-Imitat, mit guter baritonaler Figur. Er agiert in einem bösen, makabren Spiel im Spiel, das 1938 so gar keines war. Das gut aufeinander abgestimmte vokale Ensemble mit Krešimir Stražanac (Frank, Gefängnisdirektor), Alexander Kaimbacher (Dr. Blind), Ines Hengl-Pirker (Ida) sowie der Arnold-Schoenberg-Chor singen und schauspielern espritgeladen.

Barocke Karnevalswucht

Einen Tag zuvor erlebte das MusikTheater an der Wien – dieser Tage wurde es in Athen zur besten internationalen Opern-Company mit dem Internationalen Opera Awards 2025 gekürt – die überdreht komische Karnevalsoper Francesco Cavallis „Pompeo Magno“. Sie ist eine Produktion von Bayreuth Barock mit seinem künstlerischen Leiter Max Emanuel Cencic.

Francesco Cavallis „Pompeo Magno“, 1666 in Venedig uraufgeführt, ist ein ganz und gar vollbepacktes Opern-Spektakel. Auf ARTEConcert ist diese Super-Show auch nachzuerleben. Semi-konzertant wirkt diese mit fantastisch guten Sängern besetzte Neu-Ausgrabung des Intendanten, Regisseurs und Super-Machers Max Emanuel Cencic – er selbst singt natürlich den Pompeo Magno – aber recht überzeichnet. Die Kostüme und Bühneneffekte fehlen halt. Schauspielerisch gebärden sich die Sängerdarsteller sehr, sehr komisch, und es scheint, als seien die herausragenden Sänger zu sehr damit beschäftigt, eine imaginäre Szenerie abzuspulen. Was im grandiosen Markgräflichen Opernhaus Charme und Witz hat, kann semi-konzertant nur bedingt funktionieren. Es braucht schon sehr viel Aufmerksamkeit, um die komplizierte Geschichte von Pompeo Magno zu verfolgen.

Macht, Liebe und sieben Countertenöre

Doch hier in aller Kürze: Der römische Feldherr Pompeo hat die Gebiete von König Mitridate erobert und zelebriert seinen Sieg in Rom. Mitridate, Issicratea, seine Gattin, und sein Sohn Farnace sind beteiligt. Mitridate selbst ist geflohen und kommt unerkannt in Pompeos Wirkungsstätte. Er will Rache für die verlorene Schlacht und den missglückten Sieg. Pompeo selbst will Giulia, Tochter Cäsars, die aber Servilio liebt, erobern. Sesto, Sohn des Pompeo, begehrt die Frau Mitridates, Issicratea.

Am glücklichen Ende erhalten Mitridate und seine Familie die Freiheit. Giulia avanciert zur Gattin Pompeos. Die Macht ist also wichtiger als die Liebe! Allerhand Bedienstete, Soldaten und verrückte Personnage mischen die lustgetränkte, komödiantische vorbarocke Oper auf. Sie ist ein karnevalesker, kruder, anzüglicher Cocktail, der ab und zu ins Grelle und Burleske rutscht. Cencic zeigt eine Cavalli-Opern-Posse, die vielleicht gar keinen Tiefgang braucht und musikalisch ein großartiges Ensemble bietet. Allein sieben Counter-Tenöre waren bei diesem schimmernden Spektakel involviert.

RE-LIVE: Bayreuth Baroque Opera Festival | Cavalli – Pompeo Magno | Max Emanuel Cenčić | BR-KLASSIK

Stimmen als Feuerwerk

Max Emanuel Cencic verkörperte den weisen, innerlich abgeklärten Pompeo. Cencics ruhender Blick, gesangliche Biegsamkeit und Gelassenheit gaben dem Abend einen besonderen Glanz. Alois Mühlbacher bot als Farnace und Amor jugendlichen Esprit mit schönster Counter-Eleganz. Der belgische Counter-Tenor Logan Lopez Gonzalez ergoss herzerwärmenden, lyrischen Schöngesang als verliebter Sesto im Werben um die Gunst von Königin Issicratea. Von Valer Sabadus, der musikalisch einen glaubhaften Servilio präsentierte, hätte man gerne mehr gehört. Die Sopranistin Lucía Martín Cartón verkörperte als Giulia eine liebreizende, kecke Heiratswillige. Sie hat eine silbrig funkelnde Stimme, die besondere Beachtung verdient. Der Handlungsbogen beleuchtete auch Mitridate, seine Eifersucht, Rachepläne und die Rückgewinnung der Ehre. Der Tenor Valerio Contaldo verleiht seinem Mitridate alle psychologischen Facetten, die dieser Herrscher braucht. Mariana Flores sang als seine Gemahlin Issicratea mit glutvoller Verve. Als überdreht komisches Paar zeigten Dominique Visse (Delfo) und Marcel Beekman (Altrea), dass überbordender Spaß ihr Metier ist. In kleineren Rollen agierten spielfreudig Kacper Szelazek (Arpalia), Nicholas Scott (Claudio), Victor Sicard (Cesare) und Jorge Navarro (Crassus).

Barock im Klangrausch Leonardo García Alarcón, der die musikalische Leitung und Einrichtung der Oper bewerkstelligte, bot ein ausgewogenes, dem besonderen Barockklang huldigendes Dirigat. Drei Posaunen und Zinken des farbenprächtigen musizierenden Orchesters Cappella Mediterranea zogen die auditive Aufmerksamkeit auf sich. Ebenso müssen die brillant aufspielende erste Geige und die flexibel anmutend musizierende Basso-Continuo-Gruppe erwähnt werden.

Was die Opernabende besonders machte

  • Strauss’ „Fledermaus“ im Schatten von Anschluss und Sissi-Mythos
  • Kontrast von überdrehtem Regietheater und kantigem Strauss-Klang
  • Cavallis „Pompeo Magno“ als barocke Karnevalsexplosion mit sieben Countertenören

Bei Verwendung des Textes bitte Quelle angeben bzw. verlinken.

„Fledermaus“ and „Pompeo Magno“ in Vienna

At the MusikTheater an der Wien, Stefan Herheim relocates Johann Strauss’s “Die Fledermaus” to a prison, where a grumpy Kaiser lookalike as Frosch haunts all three acts. Set on the eve of the 1938 “Anschluss”, Sisi nostalgia clashes with quotations from “Fidelio”, the musical “Elisabeth” and early Nazi imagery. Screeching Strauss rats in patent leather with Hitler moustaches and the explicitly Jewish-coded Eisenstein family create a dense, overdetermined tableau that ultimately lacks genuine depth. Herheim’s champagne collage leaves an aftertaste of remembrance culture without heart or mind, sharpened by Petr Popelka’s breathless, rather angular reading and an otherwise strong but charm-reduced ensemble.

The following day, the house presents Cavalli’s carnival opera “Pompeo Magno” in a semi-staged version by Bayreuth Baroque. Max Emanuel Cencic unleashes a baroque whirlwind: seven countertenors, a tightly woven web of intrigue around Pompeo, Mitridate, Issicratea and Giulia, and the vividly coloured playing of Cappella Mediterranea. The exaggerated acting style demands considerable focus in this concert format, yet Cencic’s calm, inward Pompeo together with Alois Mühlbacher, Logan Lopez Gonzalez and Valerio Contaldo provide strong vocal anchors. The result is a shimmering, sometimes unruly baroque spectacle whose musical splendour often outweighs its dramaturgical excess.

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