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Bayerische Staatsoper: Kosky inszeniert „Die Fledermaus“

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Internationales Stars und eine hintergründige Inszenierung von Barrie Kosky machen die Fledermaus an der Bayerischen Staatsoper zu einem Erlebnis. Komische Oper oder Operette? Johann Strauss schuf hier sein eigenes Genre. Countertenor Andrew Watts begeisterte als der beste Prinz Orlofksy seit Ivan Rebroff. Von Stephan Reimertz.

Barrie Kosky: Ein Regisseur zwischen den Welten

Wer erinnert sich noch an die Bayreuther Probenzeit 2017? Ein lustiger Australier bereicherte den Grünen Hügel mit Sommerhütchen, Shorts, Turnschuhen und kleinem Hund. Als jüdischer Intellektueller, bekennender Schwuler und witziger Kreativer bringt sich Barrie Kosky, inzwischen Intendant der Komischen Oper in Berlin, stets voll und ganz in seine Inszenierungen ein. Etwas irritierend wirkte vor acht Jahren die Überschrift einer Provinzzeitung: »Erstmals inszeniert ein Jude am Grünen Hügel«. Der Pressespiegel lag in jedem Bayreuther Café aus. Was dabei ein wenig unter den Tisch fiel, war die Tatsache, dass Kosky auch der erste außerhalb der Familie Wagner ist, der die Meistersinger in Bayreuth inszeniert hat. Seine Produktion freilich geriet ein wenig in den Bereich der Belehrungsregie. Ahnte der Australier nichts von der Über-Rezeption des »Dritten Reiches« in Deutschland? Im stärksten Kontrast dazu steht seine poetische Inszenierung des Schlauen Füchsleins von Leoš Janáček, das die Bayerische Staatsoper zum Glück wieder auf den Spielplan gesetzt hat. In seiner Münchner Fledermaus wiederum geht der Regisseur einen dritten Weg.

Barrie Kosky und seine künstlerische Handschrift

Kommen Opernkomponisten oder –regisseure aus den USA, Kanada, neuerdings sogar von den Britischen Inseln und jetzt auch aus Australien nach Europa, ergreift sie offenbar ein unwiderstehliches Verlangen, uns zurückgebliebene Kontinentalen über unsere eigene Kultur und Geschichte aufzuklären. Steigt die ganze Chose auf hohem Kunstanspruch, geht es vielleicht noch und kann eine gewisse Originalität für sich beanspruchen, wie z. B. das Projekt Europeras von John Cage, erstmals präsentiert 1987 an der Oper Frankfurt, (die kurz darauf niederbrannte…). Hier konnte man noch sagen, man hat als Europäer etwas gelernt, etwas erfahren; wenn es in diesem Fall auch nur das fröstelnde Befremden eines US-Amerikaners vor dem europäischen Phänomen Oper war. Haarig wird es dann allerdings, wenn ein Thomas Adès daherkommt, der es als Brite besser wissen müsste, und uns 2015 an der Wiener Staatsoper das zauberhafte Lustspiel The Tempest seines Landsmanns Shakespeare als nervig-schrille Pseudo-Oper präsentiert und uns allen Ernstes einen echten Spiegel vorhält. Wie sinnig! Wie beziehungsreich! Oper als Spiegel der europäischen Gesellschaft – wer hätte das gedacht? Und nun wird uns die Fledermaus als Spiegel unserer eigenen Geschichte vorgeführt, auf dass wir diese endlich einmal begreifen.

Europäische Oper unter amerikanischer Belehrung

Was uns Barrie Kosky als Neuheit auftischt, wurde uns schon tausendmal unter die Nase gerieben. Dass die Dokumente über die jüdische Herkunft des Johann Strauß während des »Dritten Reiches« verschwanden, frei nach Görings Motto: »Wer Jude ist, bestimme ich!«, weiß bei uns jedes Kind, auch wenn die Fledermaus nicht wie in Koskys Inszenierung am Judenplatz in Wien beginnt und uns über geschlagene zwei Akte die Wiener Synagoge vor Augen hält, um uns daran zu erinnern, dass Johann Strauß eine Gesellschaft am Abgrund porträtierte, der Regisseur aber bereits einen Schritt weiter ist.

Dies ist eine, wenn man so will: journalistische Inszenierung, d. h. der Regisseur findet nur eine rein oberflächliche Beziehung, nicht einmal zur Musik, sondern allenfalls zum Stoff. Die vorwiegend kulturhistoriographische Art und Weise, wie er sich dem Werk nähert, bleibt Assoziation und Illustration. Und die ganze zweite Hälfte über wird dann nur noch herumgeulkt. Die rein von außen kommende journalistische Inszenierung einerseits und der unbezähmbare Drang, seine Privatpassionen mit hineinzubringen andererseits hindern den Regisseur daran, wahrzunehmen, was eigentlich der, wenn man so will, magische Kern dieses einzigartigen Werkes ist. Er will ein Lehrstück über Antisemitismus in Wien und zugleich eine Homoepopöe veranstalten und verliert darüber die Fledermaus von Johann Strauß, die ein Schatzkästlein der magischen Innenräume ist, vollkommen aus dem Blick. Er hat kein Ohr für sie übrig.

Mit Holzhammer und Karikatur durch die Partitur

Der Holzhammer ist auch probates Werkzeug, mit dem primitive Witze und simples Chargieren der Akteure ins Publikum hineingehämmert werden. Das schließt wiederum subtile Zwischentöne nicht aus. Wahrscheinlich dachte sich der Regisseur, à la Thomas Mann: »Ich brauche auch den Beifall der Dummen.«

Rebecca Ringst schuf ein Bühnenbild, das auf kürzlich ausgesprochen unschön abfotografierten Wiener Wohnhäusern (inkl. Thermopenfenstern) basiert, die in fleißiger Kulissenschieberei variiert werden und uns das Bobo-Wien der unter dem Bürgermeister Helmut Zilk (Ehemann von Dagmar Koller) gereinigten Fassaden Wiener Altbauten präsentiert. Ja, darüber kann man philosophieren, was sich hinter den glatten Fassaden alles an Antisemitismus findet. Immerhin passt diese Inszenierung von 2023 perfekt in die derzeitige österreichische Szene mit ihrer schmierigen Hinterzimmerpolitik, die dem Land ihre gewählte Regierung immer wieder vorenthält, wie sie auch vollkommen nach Deutschland passt, wo immer größere Teile der Bevölkerung ausgegrenzt werden. Die Fassaden der Fledermaus-Inszenierung in München jedenfalls werden am Ende des zweiten Akts heruntergerissen.

Große Stimmen – die musikalische Krönung

Das Gefängnis im dritten Akt ist in nackten Stahlgerippen vergegenwärtigt. Komödiant Martin Winkler fackelt als Gefängnisdirektor Frank ein Feuerwerk von Witzen mit Publikumsbeteiligung ab. Deutscher Humor. Leider kann ich nicht im Rhythmus klatschen, ich habe es mir beim XX. Parteitag der KPdSU abgewöhnt. Gefängnisdiener Frosch tritt hier gleich in sechsfacher Ausführung auf. Schriller und outrierter Kehraus einer Inszenierung, die bewusst mit Crossdresser-Klischees spielt. Georg Nigl erweist sich als perfekt vertrottelter Eisenstein. Das ist nicht nur der ideale Sänger dieser denkwürdigen Rolle, sondern auch ein nonchalanter, stets ein wenig stutzender, Komödiant der Kortner-Paryla-Tradition. Die sängerisch-schauspielerische Krönung des Abends aber verdanken wir dem Countertenor Andrew Watts, der wunderschön gurrend singt und dabei die geheimnisvolle Figur des Prinzen Orlofsky in virtuoser Drag-Queen-Tradition zuverlässig zwischen den Geschlechtern balanciert. Kein Wunder, kommt er doch aus der englischen Grafschaft Middlesex. Kapellmeister Wladimir Jurowskij komplettiert die Reihe der internationalen Stars dieser Co-Produktion mit der holländischen Nationaloper Amsterdam. Mit dem Bayerischen Staatsorchester musiziert er die einzigartige Partitur voller Schmiss und Verve und gönnte uns im Fasching sogar noch einen Radetzkymarsch als Kehraus.

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Bavarian State Opera: Kosky stages ‘Die Fledermaus’

Barrie Kosky stages Johann Strauss’ Die Fledermaus at the Bavarian State Opera with grand gestures and sharp social commentary. The Australian director, known for his pointed style, relocates the piece to Vienna’s Judenplatz, confronting the audience with historical and political themes.

Kosky employs caricature and satire, yet often remains superficial. Rebecca Ringst’s set design features sterile Viennese facades, dramatically collapsing in Act II. While the production tackles antisemitism and social hypocrisy, the opera itself sometimes fades into the background.

Comedian Martin Winkler, as prison director Frank, delivers a whirlwind performance, while Georg Nigl excels as Eisenstein with impeccable comedic timing. The evening’s musical highlight is Andrew Watts as Prince Orlofsky, his countertenor navigating effortlessly between genders.

Conductor Vladimir Jurowski leads the Bavarian State Orchestra with verve, rounding off the evening with a playful Radetzky March encore. A production balancing artistic ambition and divisive symbolism.

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