Die in Köln lebende Pianistin Aliya Turetayeva ist bekannt für ihre lyrische Interpretation der romantischen Klassiker. Die 38-jährige Musikerin ist Preisträgerin zahlreicher internationaler Wettbewerbe und hat bereits mehrere CDs aufgenommen. Ihre jüngste Einspielung ist die CD „Credo“ mit Werken von Bach, Schubert und Schumann. Doch ein Schicksalsschlag habe ihr Leben in neue Bahnen gelenkt, erzählt die Künstlerin im Gespräch mit Birgit Koß.
Feuilletonscout: Aliya, auf Ihrer Webseite steht, dass Sie durch den traurigen Verlust ihres Pudel-Mischlings Snoopy im Frühjahr letzten Jahres entschieden haben, nicht mehr zu spielen und sich ganz der Musikwissenschaft zu widmen. Jetzt hatte ich das große Glück, Sie kürzlich zu hören und es gibt auch eine neue CD und weitere Konzerttermine. Was ist passiert, dass Sie die Kraft gefunden haben weiterzumachen?
Aliya Turetayeva: Die CD und die Veröffentlichung waren seit einiger Zeit geplant und Snoopy ist auf tragische Weise während der Aufnahmen gestorben. Weil er krank war, habe ich schon ein Jahr davor beschlossen, mich mit der Musikwissenschaft zu beschäftigen. Snoopy starb aber ganz plötzlich – das war ein sehr großer Schmerz für mich und da ich keine Kraft mehr fand, wollte ich erstmal nicht öffentlich spielen. Doch dann habe ich weitere Anfragen für Konzerte bekommen. Das Musikwissenschaftsstudium fordert mich als ausführende Künstlerin sehr heraus. Es war am Anfang nicht einfach, sich mit den musikwissenschaftlichen Texten auseinanderzusetzen.
Spiel und Schmerz
Feuilletonscout: Was bedeutet das Spielen für Sie? Ziehen Sie daraus Kraft für sich als Person?
Aliya Turetayeva: Nach dem Verlust ist es sehr schwierig, auf der Bühne zu sein, aber Spielen war immer der Inbegriff des Ausdrucks für mich. Man teilt seine Emotionen und die Verbindung zu den Werken der Komponisten mit dem Publikum. Im Laufe der Zeit habe ich trotzdem weitere Konzerte zugesagt, wie zum Beispiel ein Konzert bei Bochum, wo ich die Stücke von Louis-Claude Daquin, Jean-Philippe Rameau, Wolfgang Amadeus Mozart und György Ligeti spielen werde – darauf freue ich mich sehr.
Feuilletonscout: Ihre neue CD heißt „Credo“ – ich glaube. Sie kommen aus Kasachstan, einer Gesellschaft, in der der Glaube keine große Rolle gespielt hat. Wie sind Sie zu diesem Titel gekommen oder was bedeutet er für Sie?
Aliya Turetayeva: Es geht um das künstlerische Credo, darum, was Musik für mich bedeutet. Besonders die Musik von Johann Sebastian Bach war immer von besonderer Bedeutung für mich. Sie hat mir Kraft und Glaube gegeben, weiterzugehen und nicht aufzugeben. Ich bin in Kasachstan aufgewachsen und Religion spielte nie eine Rolle bei uns zu Hause. Die Verbindung zur geistlichen Welt bestand für mich durch die Musik von Bach, deswegen ist seine Musik für mich sehr wichtig. Ich höre es normalerweise jeden Tag.
Von Bach bis Busoni
Feuilletonscout: Auf der CD haben Sie aber nicht Bach im Original gespielt, sondern in der Bearbeitung von Busoni.
Aliya Turetayeva: Die Chaconne aus der Partita Nr. 2 für Violine in d-Moll, BWV 1004 ist eines meiner Lieblingsstücke. Bach hat das Stück für Violine solo als finalen Satz der Partita komponiert. Die Version von Ferruccio Busoni für Klavier ist sehr anspruchsvoll, sie wird unter Pianisten sehr geschätzt und ist sehr beliebt. Busonis Transkriptionen von den Choral-Vorspielen sind mir genauso wichtig, die sind ein Teil vom Repertoire, aber auch von meiner musikalischen Welt.
Feuilletonscout: Und wie ist es dann zu der Kombination mit Schuberts Sonate gekommen?
Aliya Turetayeva: Franz Schuberts Sonate in A-Dur, D 664, Op. posth. 120 und „Drei Fantasiestücke“ Op. 111 von Robert Schumann wurden auch auf der CD eingespielt. Da mir die romantische Musik am nächsten ist, wollte ich diese Stücke unbedingt hinzufügen. Robert Schumann ist mein Lieblingskomponist, sehr nah ist mir auch Franz Schubert. Es war mir wichtig, dass auch die anderen Facetten vom Leben mit darin sind, denn die romantische Musik gehört ebenfalls zu meinem musikalischen Leben.
Studien statt Konzertstress
Feuilletonscout: Sie haben gesagt, Sie hatten schon vor Snoopys Tod die Idee, sich auch dem Studium zu widmen, was machen Sie da genau?
Aliya Turetayeva: Im Studium der Musikwissenschaft lernt man auf unterschiedliche und vielfältige Weise zu forschen. Ich war im Projekt „Istanbul in Köln“ dabei und gerade haben wir das zweite Jahr von diesem Projekt. Das Studium ist ergänzend, das hilft mir, die Werke, die ich spiele, historisch einzuordnen und besser zu analysieren.
Feuilletonscout: Verändert diese theoretische Beschäftigung mit der Musik Ihren Blick auf das Spielen?
Aliya Turetayeva: Eine direkte Verbindung gibt es da nicht. Ich habe aber immer viel gelesen und jetzt im Studium wird es systematisiert. Ich bin eine neugierige Person und mag es sehr zu lernen und Neues zu entdecken.
Feuilletonscout: Lassen Sie uns nochmal zu ihrer Lebensgeschichte zurückkehren. Sie sind in Kasachstan geboren und haben da auch schon angefangen, Klavier zu spielen?
Aliya Turetayeva: Ja, ich bin in Kasachstan geboren und habe mit fünf Jahren angefangen, Klavier zu spielen, da ein Klavier zu Hause stand. Mit 18 Jahren wurde ich in die Meisterklasse von Professor Pavel Gililov an der Hochschule für Musik und Tanz Köln aufgenommen und da begann meine gründliche musikalische Ausbildung. Am Anfang war es überhaupt nicht leicht. Anschließend habe ich einen postgradualen Studiengang in Klavier solo an der Universität Mozarteum in Salzburg absolviert.
Klang und Stille
Feuilletonscout: Sie haben inzwischen viele Preise gewonnen und mehrere CDs veröffentlicht. Sie haben gesagt, Sie wollen sich ein bisschen breiter aufstellen, also auch ein bisschen mehr theoretisch arbeiten und Konzerte geben, aber nicht mehr nur diesem Konzertbetrieb ausgeliefert sein, denn es ist ja heute auch sehr schwierig, denke ich.
Aliya Turetayeva: Ja, damit das Leben ein bisschen ruhiger wird, habe ich diese Entscheidung getroffen. Das hatte ich für Snoopy geplant, damit ich mehr Zeit für ihn habe, aber dann ist er frühzeitig an Krebs gestorben und das war ein sehr großer Schmerz und tiefe Trauer für mich.
Feuilletonscout: Die russische Klavierschule ist bekannt als sehr streng, wo man wirklich an seine Grenzen geht. Ich habe Sie im Konzert erlebt mit einem sehr schmerzlich verletzten Daumen und Sie haben trotzdem von Liszt „La Campanella“ – eins der zehn schwierigsten Klavierstücke der Welt laut Google, gespielt. Warum?
Aliya Turetayeva: „La Campanella“ (No. 3) aus „Grandes Études de Paganini“ von Franz Liszt gehört zu meinem Repertoire. Ich mag das Stück sehr und als Zugabe ist es ein sehr schönes Schmuckstück. Mein Professor, Pavel Gililov (geboren in Donezk, Ukraine) ist ein universeller Musiker, der ganz unterschiedliche und wunderbare Qualitäten des Klavierspielens besitzt. Ständig war er bemüht, uns Studierenden Cantabile und Legato-Spielen auf dem Flügel beizubringen, damit man auf dem Klavier singt, die Virtuosität und Technik dagegen als emotionalen Ausdruck nutzt. Ich war sehr glücklich, dass ich in seiner Klasse aufgenommen wurde und dass ich diese Ausbildung genießen durfte, das bedeutet mir sehr viel.
Snoopy und die Sinnfrage
Feuilletonscout: Ihr Leben scheint ein bisschen im Umbruch, gibt es jetzt Pläne für die nächsten Jahre, Ziele?
Aliya Turetayeva: Momentan finde ich es schwierig zu sagen. Ich werde weitere musikwissenschaftliche Projekte machen, aber auch weitere Konzerte spielen. Geplant sind Konzerte in Berlin, in Cambridge, in London und im Ruhrgebiet. Ich plane momentan nicht so viel, nach dem Tod von Snoopy ist es sehr schwierig, nach vorne zu schauen.
Feuilletonscout: Gibt es trotz allem einen großen Traum für Sie – als Pianistin oder auch einfach als Mensch?
Aliya Turetayeva: Der Traum war, dass Snoopy länger lebt und eigentlich habe ich alle meine musikalischen Träume verwirklicht. Ehrlich gesagt, ich habe keine musikalischen Träume, ich habe viel gespielt, auch weltweit, in den USA, in Japan, in Skandinavien.
Feuilletonscout: Aber Sie sind noch jung, das hört sich jetzt fast so an, als sei Ihre Karriere schon fertig?
Aliya Turetayeva: Ich hätte Lust auf ein ruhigeres Leben. Als Musiker bist du von Musik umgeben und in einem oder in zwei Jahren kommen vielleicht auch die Wünsche, neue Stücke und Werke zu entdecken. Jetzt ist die Stille angesagt.
Feuilletonscout: Und der Wunsch, nochmal einen Hund zu haben?
Aliya Turetayeva: Nein, der Snoopy bleibt der Einzige. Er war mir sehr nah, er bleibt unersetzlich und wird jeden Tag schmerzlich vermisst. Außerdem habe ich ihm vor seinem Sterben versprochen, dass ich keinen anderen Hund haben werde, damit er ruhig schlafen kann. Es ist momentan eine stille, traurige Zeit mit vielen Wegen in der Zukunft. Ich bin mir sicher, ich bleibe mit der Musik zusammen, natürlich, denn meine Identität ist Musik. Mein Leben ist mit der Musik verbunden, als Künstlerin schaue ich die Welt durch die Musik an. Auch meine Umgebung ist absolut musikalisch geprägt, Freunde und privates Leben. Wegen Snoopy habe ich mich dennoch entschieden, eine Ausbildung zur Sterbebegleitung zu machen. Das ist auf ehrenamtlicher Basis in einem Hospiz in Köln und die Teilnehmer sind wunderbare Menschen.
Feuilletonscout: Ich wünsche Ihnen viel Kraft für Ihren weiteren Weg und hoffe noch viele wunderbare Konzerte von Ihnen genießen zu dürfen.
Aliya Turetayeva | Piano
Credo
Bach – Schumann – Schubert
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Aliya Turetayeva: Music as consolation
Pianist Aliya Turetayeva blends musical depth with personal reflection. Her latest CD “Credo” features works by Bach, Schubert, and Schumann, recorded during a time of profound loss: her beloved poodle mix, Snoopy, passed away. This led her to study musicology, contributing to projects like “Istanbul in Cologne.” Despite grief, she slowly returns to the stage, performing works by Daquin, Rameau, Mozart, and Ligeti. Busoni’s piano transcription of Bach’s Chaconne is among her favorites; Schumann’s Fantasy Pieces and Schubert’s Sonata in A major express her romantic credo. Turetayeva connects with the spiritual through music rather than religion—especially via Bach. She studied under Pavel Gililov in Cologne and at Salzburg’s Mozarteum, won international awards and released several CDs. Her future, she says, will be quieter—with music, but also volunteer work in hospice care. Snoopy remains irreplaceable; she promised him there will be no new dog.





