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Auf dem Weg in den Weltstaat

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LiteraturDie Erfahrungen der letzten Wochen zeigen, wie sehr die Staaten zusammenwachsen und noch mehr zusammenwachsen müssen, wenn sie künftigen Herausforderungen gewachsen sein wollen. Ernst Jünger hat dies vorausgesehen. Zwei junge Forscher aus Regensburg, Rainer Barbey und Thomas Petraschka, geben im Klett-Cotta Verlag Interviews mit dem Schriftstsller aus den Jahren 1929 – 1997 heraus. Die Edition bringt viel Bekanntes und das eine oder andere Fundstück. Eine Lektüre von Stephan Reimertz.

Für mich ist ein Schriftsteller jemand, dessen Geist völlig unabhängig ist. Es ist heutzutage schwierig, diese Unabhängigkeit zu bewahren, da es eine unglaubliche Menge an Gemeinplätzen gibt, die unsere Zeit der Technokraten beherrschen. Die Sprache ist geregelt wie der Verkehr. Es ist in unserer Zeit sehr schwierig, eine Sprache zu finden, die unverbraucht ist und die ihre Ausdrucksform vollständig bewahrt.

– Ernst Jünger im Gespräch mit Irmelin Lebeer 1969

Er hatte nichts von einem Deutschen an sich, das zeigt auch die Photographie des Autors von Florence Henri, das den Umschlag des neuen Buches ziert. Zudem ging er stets wie aus dem Ei gepellt. Ernst Jünger wirkte im persönlichen Umgang wie ein Franzose aus der Zeit kurz vor der Revolution. Als Gesprächspartner war er gesucht, besonders in seinen späten Jahren in der Wilflinger Oberförsterei. Er war unkompliziert, immer zu einem Spaß aufgelegt. Sein Erinnerungsvermögen blieb noch im hohen Alter präsent, dann und wann half seine Frau Liselotte aus, sie war Bibliothekarin. Gespräche in der Wilflinger Oberförsterei waren klar und heiter. Davon kann man sich auch in der nun erschienenen Sammlung von Interviews aus siebzig Jahren wieder überzeugen.

Eine weite Spanne

1929 bis 1997; das ist schon eine weites Feld, das der Autor mit Interviews und Gesprächen ausfüllt. Entsprechend weitgespannt sind die Sujets, wobei auffällt, auf welche Themen der Autor und seine so verschiedenartigen Gesprächpartner immer wieder zurückkommen: Die beiden Weltkriege, die Auseinandersetzung mit den Totalitarismen der Moderne, die Ablehnung des Hitlerstaates und die persönlichen Gefahren darin, die Beziehung zu den Männern des Widerstandes, die internationalbolschewistischen Visionen der Monographie »Der Arbeiter« und die ökologische Wende Jüngers und seines Bruders Georg Friedrich, Autor des Buches »Perfektion der Technik«.

Cover: Klett-Cotta

Die Tonart des Autors

Wie steht es aber um den quellenkundlichen Wert dieser Texte? Die Gespräche wurden in verschiedenen Sprachen geführt, sind hier alle in deutscher Übersetzung wiedergegeben. Wer es genau wissen will, weil er z. B. eine Dissertation o. ä. schreibt, ist auf die Bibliographie verwiesen, in der auch Texte aufgeführt sind, die hier nicht wiedergegeben wurden. Leider fehlen bei den durchaus lesenswerten Anmerkungen und Erläuterungen der Herausgeber die Hinweise auf die Seitenzahlen, so heißt es endlos blättern. Man kann nicht den durch den Filter eines Gesprächpartners widergegebenen Worten des Autors dieselbe Bedeutung beilegen wie seinen autorisierten Texten, zumal Gesprächpartnern wie den Dichterkollegen Frédéric de Towarnicki, Julien Hervier, Gertrud Fussenegger und Alberto Moravia auf der anderen Seite Journalisten zweifelhaften Rufes gegenüberstehen. Der Leser Jüngers freilich hat längst ein Ohr für die Tonart des Autors entwickelt.

Ausgedachte Gespräche

So wird er das Interview Jüngers mit Antonio Gnoli und Franco Volpi, bereits vor Jahren auf Deutsch als Buchausgabe erschienen, wohl in die Sphäre der imaginären Interviews verweisen. Das Gespräch wurde in einem deutsch-italienischen Mix geführt und anschließend von den Autoren italienisch verfasst und redigiert. Mehr weiß auch ihr erster Verleger, Peter Weiß vom Karolinger Verlag, nicht. Volpi ist leider tödlich verunglückt. Ob es sich um eine Rückübersetzung handelt oder ob das Gespräch auf italienisch geführt wurde: das Ganze kommt dem Leser spanisch vor. Die Lebensthemen des Autors sind hier mit geradezu parodistischer Dichte zusammengeführt. Es klingt nicht nach O-Ton; eher, als habe ein Hörspielautor eine Figur »Ernst Jünger« auftreten lassen.

Armin Mohlers eigene Version

Liselotte und Ernst Jünger äußern sich ablehnend über Armin Mohler, dessen Erinnerungsbuch an seine Zeit als Privatsekretär bei Jünger in einem eigenen hier nicht wiedergegebenen Band erschienen ist.  Stellt man einen Privatsekretär ein, sollte man nach Möglichkeit einen wählen, der nicht selber schreibt, sonst erscheint irgendwann ein Buch der Kategorie »Gespräche mit…« bzw. »Meine Zeit bei…«. Ernst Jünger erlebte dies mit seinem Sekretär. Armin Mohler war hochbegabt, wollte alles gestalten. In seinen Erinnerungen an die Zeit bei Jünger gestaltete er nach dessen Ansicht zuviel. Gleichwohl ist sein Büchlein eine reizvolle Ergänzung zu dem umfangreichen neuen Band. Mohler zeichnet schöne Seiten schriftstellerischer Geselligkeit.

Was man noch tun kann

Der Jünger-Leser findet viele ihm bekannte Themen wieder und manche von einer anderen Seite beleuchtet. »Gespräche im Weltstaat« allerdings ist ein unrichtiger Titel, da diese Gespräche nicht im Weltstaat stattfinden, sondern auf dem Weg in diesen. Wiederum berichtet Jünger, wie oft er seine Texte neu überarbeitet und an ihnen gefeilt hat. Das erregt des Bedürfnis nach den Texten der jeweiligen Erstausgaben, denn man möchte doch die bekannten Bücher von Ernst Jünger auch als historische Dokumente studieren und nicht allein in Jahrzehnten später angefertigten Überarbeitungen. Eine Gesamtausgabe aller Texte nach den Erstausgaben wäre also eine feine Sache. Ebenso würde es sich lohnen, wenn der Verlag alle verstreuten Texte über Sardinien zusammenfasste, wie in italienischer Fassung unter dem Titel »Terra sarda« geschehen. Was gar nicht geht, sind Titelveränderungen; so hat der Klett-Cotta Verlag Jüngers Schulerzählung »Sp. R.« unter dem Titel »Späte Rache« herausgebracht. Außer der korrekten Wiedergabe könnte man noch viel mehr für dieses Buch tun, das sich, ebenso wie »Die Zwille«, hervorragend als Schullektüre eignet und Schüler beizeiten an den Autor heranführen könnte. Nicht minder warten wir bis heute auf eine Ausgabe der den »Strahlungen« zugrundeliegenden Tagebücher.

Rainer Barbey / Thomas Petraschka
Ernst Jünger. Gespräche im Weltstaat
Interviews und Dialoge 1929–1997
Klett-Cotta, Stuttgart 2019
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