Das legendäre Marionettentheater im Augsburger Heilig-Geist-Spital zeigt die ganze Spanne seiner choreographischen Möglichkeiten. Von der pointierten Kabarettszene über gespielte Kalauer und akrobatischen Affentanz bis hin zu Kuh-Orchester und Big Band ist in der Augsburger Puppenkiste alles möglich. Von Stephan Reimertz
Politische Satire auf der Puppenbühne
Neben dem seit Generationen bundesweit via TV verbreiteten Kinderprogramm ist das Kabarett, das seinen Ausgangspunkt jeweils am Silvesterabend nimmt, eine feste Größe im Repertoire der Puppenkiste. Ähnlich wie bei Ansprache und Singspiel ein paar Wochen später auf dem Münchner Nockherberg werden jedes Jahr von dieser Veranstaltung nicht zuletzt zündende kabarettistische Einsichten in das politische Geschehen erwartet. Nun, ganz so zündend und sprühend war die Ampel-WG, in der uns die Puppenkiste die abgewählte Regierung soeben noch einmal präsentierte, allerdings nicht. Dabei überzeugte die physiognomische Ähnlichkeit von Gesundheitsminister Lauterbach und Außenministerin Baerbock durchaus. Das Problem, nicht nur für ein Puppentheater, sondern auch für politisches Kabarett schlechthin, ist bei solchen Politikern, dass sie ihr eigenes Kabarett sind und in ihrer – allerdings unfreiwilligen – Komik von berufsmäßigen Komikern einfach nicht zu überbieten. Außer bei dem Rheinländer Lauterbach waren die Stimmimitationen zudem nicht sehr treffend. So wurde die Norddeutsche Baerbock eher in der berlin-brandenburgischen Sphäre verortet. Ihre unüberbietbare Komik – ich sage nur: »ebent« – konnte freilich auch das legendäre Puppentheater nicht toppen.
Zwischen Steppenreitern und Goldfischen – ein Bestiarium aus Holz
Zwischen den kurzen Szenen werden Kalauer aus dem Off geflüstert. Welche Nationalität hat der Weihnachtsmann? Nordpole! Ebenso zeitlos sind die gespielten Kalauer selbst. Moderiert vom Kasperl tritt in liebevollen und virtuosen Verpuppungen das ganze Bestiarium auf, Steppenreiter, schlaue Füchse, Holzwürmer, Affenbande, Goldfische und Leitwölfe. Der gestalterischen und choreographischen Phantasie sind in diesem zurecht berühmten Puppentheater keine Grenzen gesetzt.
Im Vergleich zum Salzburger Marionettentheater, das 1913 mit einer Aufführung von Mozarts »Bastien und Bastienne« von Anfang an als Operntheater auftrat und sich bis heute mit englischen Obertiteln vor allem an ein internationales Festspielpublikum wendet, behalten die Augsburger auch ihr Heimatpublikum im Blick. Innerdeutsche und innerschwäbische Witze sind nicht für jeden verständlich, das macht aber nichts. Den Puppentheatern von Salzburg und Augsburg ist ihre schöpferische Vielfalt, der Charme ihrer Puppen und Szenerien gemein.
Augsburger Puppenkiste: Neuer Schwung
In Augsburg hat man in der Pause zudem Gelegenheit, Kasperl, das Krokodil, die fleißigen Bienchen und all die anderen im Bühnenraum zu besuchen. Manch ein Zuschauer mag die Kalauer als zu abgestanden empfinden und den bedeutenden Kontrast zur virtuosen figurativen und szenischen Umsetzung bedauern. Aber auch hier weist die Augsburger Puppenkiste selbst einen Weg zur Weiterentwicklung: Das Ende des ersten Teils bildet eine ulkige Choreographie zum Rhabarber-Barbara-Song von Bodo Wartke. Der virtuose Wortkünstler, Dichter und Pianist wäre der richtige Mann, die teilweise etwas lahmen Witze des Marionettentheaters mit seiner Sprachakrobatik aufzupolieren.
Augsburger Puppenkiste / Die Kiste
Spitalgasse 15
D-86150 Augsburg
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Augsburger Puppenkiste: Cabaret full of surprises
The Augsburger Puppenkiste surprises with a diverse cabaret program. Sharp satire, puns, and acrobatic marionette performances provide entertainment.
The annual political cabaret, premiering on New Year’s Eve, tackled the outgoing government with puppet likenesses. Some voice imitations were less convincing, but the real issue: politicians like Lauterbach and Baerbock are already unintentionally satirical.
Beyond politics, the Puppenkiste presents a colorful cast of characters—steppe riders, foxes, woodworms, and goldfish—complemented by witty wordplay. Some jokes charm, others feel outdated.
Still, the Puppenkiste seeks renewal. A standout moment is a lively choreography to Bodo Wartke’s “Rhabarber-Barbara-Song.” Perhaps he could bring fresh linguistic finesse to the marionette theater’s humor.