Helene Bukowski schreibt über die Klimakatastrophe und Fremdenfeindlichkeit düster und packend. Von Barbara Hoppe.
Irgendwo in einer Einöde leben ein paar Menschen. Sie wollen unter sich bleiben. Die letzte Brücke über den Fluss, die sie noch mit dem Rest der Welt verbunden hat, haben sie vor Jahren gesprengt. Das Leben ist nicht einfach. Von irgendwoher kommt Strom, auch Benzin gibt erstaunlicherweise noch. Was man zum Leben braucht wird selbst hergestellt. Hin und wieder tauscht man Waren aus. Hier leben Skalde und ihre Mutter Edith. Aus der einst innigen Mutter-Tochter-Beziehung ist eine Wohngemeinschaft geworden, in der Abneigung voreinander dominiert. Nicht einfacher wird es, als auch noch das Klima kippt. Jahrzehntelang lag die Landschaft unter Nebel und Feuchtigkeit. Nun scheint jeden Tag die Sonne von einem wolkenlosen Himmel. Es ist brütend heiß. Möwen fallen tot vom Himmel.
Trotzdem gelingt es immer wieder einzelnen Lebewesen, den Weg in die abgeschottete Welt zu finden. Dann und wann tauchen Rehe auf, die vom fernen Meer jenseits des Flusses zu kommen scheinen, denn ihr Fleisch schmeckt salzig. Und eines Tages steht Meisis vor Skalde. Ein kleines Mädchen mit roten Haaren. Die junge Frau nimmt das Kind zu sich, und damit nimmt das Unheil seinen Lauf. Im Ort geschehen Dinge, für das die ängstlichen und fremdenfeindlichen Bewohner das Kind als Ursache sehen. Dem Wechselbalg, wie sie es nennen. Geschickt vom Teufel, um Unheil über die Menschen zu bringen. Es wird gefährlich für die kleine Gemeinschaft in Skaldes Haus. Denn sie und ihre Mutter, ebenfalls eine „Zugelaufene“, sind im Ort nicht wohlgelitten. Doch Weggehen ist nicht einfach. Der Fluss ist eine Grenze, die Landschaft die Heimat. Und was die Fremde bereithält, ist mehr als ungewiss.
Der jungen Autorin Helene Bukowski, Jahrgang 1993, gelingt mit ihrem Debütroman ein beklemmender Blick in die Natur des Menschen. Angst ums eigene Wohlergehen in einer begrenzten Welt mit endlichen Ressourcen ebenso wie Verteidigung der Heimat und Abwehr von Fremden gipfeln in einen Aberglauben, der durch mangelnde Bildung und fehlenden Austausch mit anderen Menschen und Kulturen hervorgekrochen kommt. „Uns geht es doch gut“ ist das Credo einer nicht klar umrissenen Gemeinschaft, die täglich ums Überleben auf dem kargen Land schuftet und keine Veränderung zulässt. Schonungslos berichtet Skalde von Brutalität, Gefühlskälte und einer unbestimmten Gefahr. Die Figuren krallen sich in einem fest und lassen erschauern. Sie scheinen unendlich fern und sind doch so nah. Angesichts heutiger Fremdenfeindlichkeit in Regionen, in denen es diese kaum gibt, bohrt Helene Bukowski ihren Pfeil treffsicher in die Wunde.
Man kann in vielen Formen über den beängstigenden Wunsch allerorts nach Abschottung und Ausgrenzung schreiben. In Helene Bukowskis Roman spricht man darüber mit einer Selbstverständlichkeit, die erschreckt. Die Botschaft dahinter kommt dadurch indes noch klarer hervor. Nicht zuletzt auch Dank der Menschlichkeit einiger weniger Couragierten.
Helene Bukowski
Milchzähne
Aufbau Verlag, Berlin 2019
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