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„Cavalleria Rusticana“ & „Pagliacci“: Eins in München

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Das beliebteste Double Feature der Operngeschichte als Gastarbeiterdrama in München. Von Stephan Reimertz.

„Cavalleria rusticana“ von Pietro Mascagni und „Pagliacci“ von Ruggero Leoncavallo sind zwei Opern, die inhaltlich so wenig miteinander zu tun haben wie ein Weißwurstfrühstück mit einem sizilianischen Mandelgebäck. Aber durch ihre Kürze und ihre italienische Herkunft verbindet sie eine gewisse Seelenverwandtschaft.

Bahnhofstrubel statt Opernmagie

Regisseur Francesco Micheli hatte die ambitionierte Idee, diese beiden Kurzopern inhaltlich zu verweben und in ein Gastarbeiter-Drama zwischen Palermo und München zu verwandeln. Ein Konzept, das so vielversprechend klingt wie ein Espresso mit Grappa. Aber die Umsetzung ist leider etwas fad geraten. Da wird mit Zeitsprüngen hantiert, dass einem schwindelig wird, und die Bühne verwandelt sich in einen geschäftigen Münchner Hauptbahnhof der 70er-Jahre, komplett mit Schlaghosen, Capri-Eis und einem VW-Käfer. Man möchte fast meinen, Micheli wollte nicht nur Regie führen, sondern auch noch einen Heimatfilm drehen.

Drehbühne im Ausnahmezustand

Das Bühnenbild von Edoardo Sanchi tat sein Übriges, um die Verwirrung komplett zu machen. Eine tonnenschwere Drehbühne und ständig hin- und hergeschobene Eisenbahnwaggons erzeugten eine Hektik, die eher an eine missglückte Modelleisenbahnvorführung erinnerte als an eine Operninszenierung. Man hatte zeitweise die Sorge, die Sänger könnten unter die Räder kommen.

Große Stimmen, akustische Herausforderungen

Musikalisch wurde der Abend von Daniele Rustioni geleitet, der sich redlich mühte, dem Orchester Feuer und Leidenschaft einzuhauchen. Doch die Akustik der riesigen, offenen Bühne erwies sich als Spielverderber. Die Stimmen verhallten im Raum als sängen die Protagonisten in einen Eimer Ricotta. Da half auch Rustionis Emphase nichts, und so mancher Chorsänger dürfte sich gewünscht haben, er hätte Ohropax statt Noten bekommen.

Kraftvolle Solisten, fragwürdige Inszenierung

Jonas Kaufmann, der Mädchenretter von der Isar, gab den Canio mit einer Melancholie, die man ihm abnahm; vielleicht, weil er im wahren Leben ja auch schon den ein oder anderen Sonnenuntergang zu viel gesehen hat. Seine berühmte Arie „Vesti la giubba“ sang er mit einer Intensität, die fast schon wieder versöhnlich stimmte. Wolfgang Koch als Tonio und Alfio überzeugte mit seinem realistischen Spiel und seinem unerschrockenen Bariton. Yulia Matochkina und Ailyn Pérez gaben Santuzza und Nedda mit Bravour. Warum die Pagliacci in eine Trattoria verlegt und der Clown zum Koch mutiert ist, bleibt das Geheimnis des Regisseurs.

Große Stimmen, kleine Wirkung

Am Ende bleibt ein zwiespältiger Eindruck. Da waren großartige Sänger, ein bemühter Dirigent und ein Regisseur mit einer interessanten, wenn auch etwas überfrachteten Idee. Doch irgendetwas fehlte. Vielleicht war es das Feuer, die Leidenschaft, das vulkanische Temperament, das diese Opern eigentlich ausmacht. So war es ein Abend, der zwar nicht wehtat, aber auch nicht wirklich ins Herz traf.

Immerhin, das Programmbuch ist eine wunderbare Lektüre. Da kann man sich über den Unterschied zwischen literarischem und musikalischem Verismus informieren und darüber, dass Pietro Mascagni bei der Uraufführung seiner „Cavalleria“ den Beifall der Königin höchstpersönlich einheimste. Das ist doch auch was.

Man sollte nicht vergessen, das Regieteam dafür zu loben, dass es uns ausnahmsweise weder mit Mafia-Klischees noch mit Videoeinspielungen behelligt, sieht man von der kurzen Reminiszenz an das Halbfinalspiel zwischen Deutschland und Italien bei der Fußballweltmeisterschaft in Mexiko 1970 ab. Man erkennt Maier, Vogts, Müller, Beckenbauer, Overath, Seeler und Grabowski sowie Albertosi, Cera, Bertini, Rosato und Mazzola. Das Opernduo eignet sich allerdings besser fürs Gärtnerplatztheater und eine 1:1 Inszenierung ohne Fisimatenten, damit man auch Kindern und Opernneuligen diese Werke empfehlen kann.

Zwischen Verdi und Puccini – eine Gratwanderung

Pietro Mascagni und Ruggero Leoncavallo haben an einem überaus reich gedeckten Tisch Platz genommen. Glück und Pech zugleich, dass sie zwischen Verdi und Puccini sitzen. Ihre tastende und mutige Musik ist Teil der Brücke von der italienischen Oper des neunzehnten Jahrhunderts hinüber zum modernen Musiktheater; ein starker, spannender, retardierender Moment – kurz bevor sich der Vorhang hebt für die größte musikdramatische Begabung, die die Welt je gesehen hat.

Bayerische Staatsoper
Max-Joseph-Platz 2
80539 München


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‘Cavalleria Rusticana’ by Mascagni and ‘Pagliacci’ by Leoncavallo at the Bavarian State Opera

Pietro Mascagni’s Cavalleria rusticana and Ruggero Leoncavallo’s Pagliacci share brevity and Italian roots, not plot. Director Francesco Micheli sets them in a 1970s migrant-worker drama between Palermo and Munich. Promising on paper, the staging drowns in time jumps, rotating sets, and visual overload.

Conductor Daniele Rustioni fights against echoing acoustics. Jonas Kaufmann delivers a melancholic Canio, Wolfgang Koch adds baritone strength, and Matochkina and Pérez shine. Yet, the clown becoming a cook remains unclear.

Despite fine voices and intent, the evening lacks passion. The operas’ raw verismo spirit is missing. A bright spot: the program booklet offers insights into Verismo and Mascagni’s early fame.

At least Micheli avoids Mafia clichés and video distractions, with only a brief nod to the 1970 World Cup. A more traditional staging would better serve the Gärtnerplatztheater and new audiences alike.

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