Es gibt keine österreichische Literatur, es gibt eine deutsche Literatur in Österreich. Ihr König heißt Hugo von Hofmannsthal. Gesalbt war er mit humanistischer Bildung, und mit allen Wassern des modernen Marktes war er gewaschen. Neben Franz Grillparzer ist er der Lieblingsautor der adeligen Jugend Österreichs. Ein neues Handbuch resümiert das Werk des charismatischen Dichters. Von Stephan Reimertz.
In den späten siebziger Jahren ereilte uns eine Renaissance von »Wien um 1900«. Verlage, Buchhandlungen, Museen, Fernsehanstalten und Opernhäuser in aller Welt profitierten. Maler wie Egon Schiele wurden der großen Menge bekannt, nicht zuletzt aufgrund zweier skandalheischender Spielfilme. Gustav Klimt fuhr endgültig in den Himmel der Postkarten und Kalender auf. Für Studenten und Intellektuelle stand im Verlag Zweitausendeins für hundert Mark der Nachdruck der gesamten Zeitschrift Die Fackel von Karl Kraus bereit wie zwölf rote Backsteine. Auch bisher weniger bekannte Künstler konnten im Fahrstuhl zum Weltruhm mitfahren. Richard Gerstl etwa wurde in der großen Retrospektive Experiment Weltuntergang in der Hamburger Kunsthalle, organisiert von dem Österreicher Werner Hoffmann, ebenso ausgestellt wie Alfred Kubin, Hans Markart und Oskar Kokoschka. Zudem lernte man den Komponisten Arnold Schönberg als Maler kennen, sollte man seine egomanischen Gemälde bisher übersehen haben.
Hofmannsthal als Opernlibrettist
Hugo von Hofmannsthal war durch seine Operntexte für Richard Strauss beim Publikum präsent. Doch bevor Mitte der neunziger Jahre in den Opernhäusern die ersten Übertitel aufleuchteten, war es mit der Kenntnis seiner Libretti nicht weit her, obgleich die Textbücher an Orten wie München und Salzburg stets zum Verkauf ausliegen. Beim gebildeten Publikum wurden einige Stellen aus Hofmannsthals Opern gleichwohl zu geflügelten Worten, etwa: … der Richtige – wenn’s einen gibt … (Arabella); oder: … mit mir keine Nacht dir zu lang … (Rosenkavalier). Es gab eine Aufführung des Rosenkavaliers ohne Musik, mit Käthe Gold als Marschallin und Helmut Qualtinger als Ochs, die auf Schallplatte zu haben war. Die Gedichte, die Hofmannsthal als siebzehnjähriger Schüler des Akademischen Gymnasiums in Wien geschrieben hatte, standen in allen Lyrikanthologien. Als ich im Freien Deutschen Hochstift in Frankfurt die Handschriften des gleichalten Schülers in der Hand hielt, musste ich feststellen, dass die Druckfassungen oft von den Originalen abwichen. Ich schrieb einen empörten Brief an den S. Fischer Verlag. Auf die Antwort warte ich bis heute. Der Bankier Hermann Josef Abs setzte sich für eine historisch-kritische Gesamtausgabe des Dichters ein, die Abhilfe schuf. Als die umfangreiche Edition erschien, gestand mir Hofmannsthals Tochter Christiane, ihr Vater wäre von dem Unternehmen wenig begeistert gewesen.
Ein faszinierendes Panorama
Mathias Mayer und Julian Werlitz, die beiden Herausgeber des neuen Hofmannsthal-Handbuchs im Metzler Verlag, haben sich dafür entschieden, die mehr als hundertfünfzig Artikel zu unterschiedlichen Aspekten und Werken von Hofmannsthal bei einigen Dutzend Literaturwissenschaftlern in Auftrag zu geben und in acht Kapitel zu ordnen, um dieses umfangreiche Werk aufzufächern. Bei diesem Ansatz kommt die Persönlichkeit des Dichters etwas kurz. »Wenige Menschen sind so fassungslos vergöttert, so ungemessen geliebt worden wie er von seinen Nächsten« schrieb Rudolf Borchardt über Hugo von Hofmannsthal. »Er war nur mit sich selber zu vergleichen. Hätte er nichts geschrieben, es hätte an der Wirkung, die er tat, nichts geändert.« Als notwendige Ergänzung, um sich ein Bild von diesem Dichter zu machen, sei daher das Buch Hugo von Hofmannsthal. Der Dichter im Spiegel seiner Freunde empfohlen, das Helmut Fiechtner 1949 herausgab. Den Herausgebern Mayer und Werlitz sowie ihren zahlreichen Autoren gelingt allerdings ein umfassendes und differenziertes Bild vieler Aspekte von Hofmannsthals Werk. Ihr Handbuch geriet zum wertvollen Nachschlagewerk für alle, die sich schnell und kompakt über ein einzelnes Werk oder einen bestimmten Werkkomplex informieren wollen. Man kann das Hofmannsthal-Handbuch freilich auch von Anfang bis Ende lesen. Dann durchschreitet man das faszinierende Panorama eines einzigartigen dichterischen Werkes aus den letzten Tagen des alten Österreichs.
Hofmannsthal-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung
Mathias Mayer und Julian Werlitz (Hrsg.)
J.B. Metzler Verlag, Stuttgart 2016
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Coverabbildung © J.B. Metzler Verlag