Rezension von Barbara Hoppe.
Sein Privatermittler Dengler machte ihn berühmt. Und das, obwohl Privatdetektivromane in Deutschland im Vergleich zum angelsächsischen Raum weniger populär sind als bei uns. Georg Dengler funktioniert. Sicher auch durch die aktuellen Bezüge in den Romanen zur neueren deutschen Geschichte.
Nun hat sich Wolfgang Schorlau auf neues Terrain gewagt. Gemeinsam mit dem italienischen Theater- und Drehbuchautor Claudio Caiolo schlägt er den Weg der Urlaubskrimis ein, also Mordgeschichten, die dort angesiedelt sind, wo andere Urlaub machen. Aber anders als viele ihrer Kollegen gelingt den beiden weit mehr als die typischen Landschaftsbeschreibungen gepaart mit einer Vielzahl an Kochrezepten, die als Kulisse für einen mehr oder weniger gelungenen Krimiplot dienen. Wo Schorlau drauf steht, ist eben auch Schorlau drin. Was die Leistung des auf Sizilien geborenen Caiolo nicht schmälern soll. In dem Auftakt dieser neuen Krimireihe ist so viel Aktualität aus dem heutigen Italien, dass keine Zeit für romantische Träumereien bleibt.
Ihre Hauptfigur ist Antonio Morello. Als waschechter Sizilianer liebt er seine Insel und seine Heimatstadt Cefalù noch mehr. Doch Sizilien ohne Mafia ist wie Pasta ohne Tomate. Und so kommt es, dass Morello, nachdem er rund 40 korrupte Politiker hat auffliegen lassen, selbst nur knapp einem Mafiamord entgeht, dem seine schwangere Frau allerdings zum Opfer fällt. Da die Mafia Richter, Staatsanwälte und Polizisten grundsätzlich nicht außerhalb Siziliens ermordet, versetzt die Polizei den Commissario schließlich nach Venedig. Ihm, dem der Ruf als „freier Hund“, als unbestechlicher, unkonventioneller und hartnäckiger Cop vorauseilt, lässt einen auf den ersten Seiten zunächst einmal innerlich aufstöhnen. Bitte nicht noch eine Schimanski-Variante! Mit der italienischen „Scheiße“ – Entsprechung flucht sich der Commissario durch seinen ersten Arbeitstag in Venedig. Und auch mit der Pünktlichkeit und dem Respekt vor den Vorgesetzten nimmt er es nicht so genau.
Kein Wunder, dass diesem neuen Kollegen nicht gerade Begeisterung entgegenschlägt. Ferruccio Zolan hätte den Posten des neuen Vorgesetzten ebenso gern gehabt wie Anna Klotze, die amazonenhafte Blonde mit dem harten Akzent aus Turin. Im Team gärt es und ein Kommissar aus dem verhassten Süditalien macht die Lage nicht besser.
Dem schmeckt die neue Situation allerdings auch überhaupt nicht. Venedig findet er schrecklich. Die vielen Touristen, die stinkenden Kanäle und die riesigen Kreuzfahrtschiffe sind ihm ein Graus. Das Credo von der „schönsten Stadt der Welt“ hängt ihm zum Halse raus. Doch er hat keine Wahl. Ebenso wenig seine Kollegen. Als der junge Francesco Grittieri, Anführer einen Bürgerinitiative gegen Kreuzfahrtschiffe, ermordet wird, muss sich das Team zusammenraufen.
Man mag kaum entscheiden, welcher Plot der eigentlich spannendere ist. Die Todesgefahr durch die Mafia, in der Antonio Morello schwebt, oder der Mord an dem jungen Mann und einer Polizeipräfektur, die in ihren Eitelkeiten und Verquickungen mit der venezianischen Hautevolee ein bisschen an Brunettis Vice Questore erinnert. Denn eines ist auch klar: Die Mafia mordet außerhalb Siziliens vielleicht nicht, aber sie schläft auch nicht. Und als Morello für ein Wochenende zu seiner kranken Mutter nach Cefalù fährt, bekommt er dies auch zu spüren.
Schorlau und Caiolo entwickeln zwei Handlungsstränge, die zwangsläufig zusammenlaufen. Und während die venezianischen Kollegen ihr Heileweltbild der Lagunenstadt gründlich revidieren müssen, freundet sich Morello langsam mit ihr an. Das packende an diesem Krimi ist jedoch vor allem die realistische Darstellung eines Italiens, das zwischen Mafia, Korruption, Rechtspopulismus und den ganz normalen zwischenmenschlichen Eitel- und Nickeligkeiten eine Zerreißprobe bestehen muss, während Venedig im Besonderen durch den Kreuzfahrttourismus in eine Agonie gleitet, die einem Angst und Bange werden lässt.
Wie gut, dass dies erst der Auftakt einer neuen Krimireihe ist. So wird es Venedig wohl noch eine Weile geben, ebenso wie Morello, der sich im wahrsten Sinne des Wortes mit einem Knalleffekt aus dem Fall verabschiedet.
Wolfgang Schorlau / Claudio Caiolo
Der freie Hund
Commissario Morello ermittelt in Venedig
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020
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