Rezension von Carsten Schmidt.
Derzeit wird viel an die unblutige, friedliche Revolution in Deutschland erinnert. Diejenigen, die sich tiefer erinnern und dabei waren, wissen, dass jede einzelne Demonstration bereits Jahre vorher, jede kleine Aktion dazu beigetragen hat, den Geist und die Wachheit im Land zu beleben. Anders als in der DDR, die wie andere Ostblock-Staaten auch eher über Jahre implodierte, sich langsam öffnete und nicht an einem Tag und durch eine Geste plötzlich verschwand, war diese „Wende“ in Rumänien ruppiger und leider für viele Menschen blutig.
Während in Ostdeutschland viele exaktes Wissen hatten über die westliche Welt, war sowohl der Zugang zum Wissen über die Außenwelt als auch das brutale Festklammern an den Verhältnissen in Rumänien von Staatsseite anders. Im Rahmen dieser Stimmung, dieser Atmosphäre, legt Nadine Schneider, Autorin des in Salzburg und Wien angesiedelten Verlags Jung und Jung, ihre Geschichte an. Sie selbst ist ein Kind dieses Wendejahrs, geboren in Deutschland 1990 als Tochter von Auswanderern aus dem rumänischen Banat.
Sie beschreibt in „Drei Kilometer“ eine Freundesgruppe, in der Misch, Hans und Anna immer wieder über das Abhauen aus Rumänien nachdenken und mal leise, mal laut reden, ob man zum Beispiel die drei Kilometer durchs Maisfeld nahe ihrem Dorf und die Grenze dahinter durchlaufen, oder ob man es lieber nicht wagen sollte, den bedrückenden, von Mangel geprägten Alltag Rumäniens im Sommer ´89 hinter sich zu lassen. Sollen sie lieber schweigen wie so viele?
Wenig ist zu hören über konkrete Möglichkeiten, wenig erfährt man über geglückte Fluchten, und sogar als Annas Vater vier Wochen lang nach Deutschland darf, kommt er mit leeren Händen zurück, obwohl er wegbleiben wollte.
Diese Ohnmacht und das verschwiegene Warten sind Teil einer ganzen thematischen Landschaft, die nicht erst seit Milan Kundera ihren Weg in die Literatur fand. Von daher befindet sich Nadine Schneider natürlich nicht auf ungepflügtem Feld. Es ist aber die minimalistische und zugleich spitze Feder, die sie einsetzt, um die Figuren zu beschreiben, was Leser faszinieren kann.
„Wenn Hans den Mund aufmachte, musste ich in manchmal hassen, doch heute war er so still, dass ich gezwungen war, seine Gedanken zu erraten. Ich riet absichtlich falsch. Anderenfalls hätte ich seine Hand in der Straßenbahn nicht nehmen können, und ich bildete mir ein, dass er das brauchte …“
Es liegt eine ungewöhnliche erzählerische Ruhe für eine junge Autorin darin, sich so neben die Figuren zu stellen und mit ihnen und durch sie zu sprechen. So heißt es beim Begräbnis der Großmutter:
„Die Schuld war der spitzeste Stein an diesem Morgen, an dem wir durch die Straßen schwappten, bis wir am gusseisernen Tor des Friedhofs ankamen.“
Neben der Musikalität und dem sicheren „Einsetzen“ von sprachlichen Bildern ist es die Dialog-Sprache, die ebenfalls besticht. Was sich auf knapp 150 Seiten zeigt, ist ein feines Debüt und macht Lust auf mehr von Nadine Schneider.
Nadine Schneider
Drei Kilometer
Jung und Jung, Salzburg 2019
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Coverabbildung © Jung und Jung
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