Von Birgit Koß.
Auf den ersten Blick hat „Sister Spirit“, empfohlen ab 14, alles, was ein spannendes Jugendbuch braucht: Eine Internatsgeschichte, tiefe Freundschaft, die alle Zweifel überwindet, Hass und Eifersucht, Geheimnisse, eine strenge Internatsleiterin, Magie und Mystik und natürlich auch eine zarte Liebesromanze. Doch auf den zweiten Blick geht die Geschichte weit darüber hinaus und widmet sich zwei weiteren Themen: Was bedeutet Adoption, wenn Kind und Eltern einen unterschiedlichen kulturellen Hintergrund haben? Und der Roman gibt Einblicke in einen Teil der Geschichte Nigerias beziehungsweise der Ethnie der Egba, die zu dem Yoruba in Westnigeria gehören – im Ogun Staat.
Ein Jugendroman mit Tiefgang
Die 16-jährige Tara lebt mit ihren Adoptiveltern in England. Sie fühlt sich häufig als Außenseiterin wegen ihres Aussehens – sie ist Schwarz – und hat nur eine einzige Freundin. Es ist bekannt, das ihre leibliche Mutter Ruth sich umgebracht hat, als Tara zwei Jahre alt war, der Vater ist unbekannt. Man weiß nur, dass er aus Nigeria stammte. Seit einiger Zeit quälen Tara nachts fürchterliche Albträume, blutrünstige Geschichten, in denen immer wieder ein bestimmter Felsen auftaucht und die in irgendeiner Verbindung zu ihrer Vergangenheit zu stehen scheinen. Also beginnt sie sich für ihre Herkunftsfamilie zu interessieren, doch da gibt es wenig Information. Ein noch lebender mürrischer Großvater teilt ihr nur mit, dass die Frauen der Familie „verflucht“ seien und fast alle Suizid begangen hätten.
Ein geheimnisvoller Felsen und eine Reise nach Nigeria
Immer wieder taucht ein Felsen in ihren Träumen auf und nach intensiver Internetrecherche findet sie heraus, dass dieser Felsen der Olumo Rock in Nigeria sein muss. Tara überredet ihren Vater, mit ihr in den Sommerferien nach Nigeria zu reisen. Sie fühlt gleich eine starke Verbindung zu diesem Land und noch mehr zu dem Felsen, mit dem es eine mystische Bewandtnis hat. Sie kann sich nicht vorstellen, gleich wieder nach England zurückzukehren und als sie dann noch ein Internat quasi am Fuße des Felsen entdeckt, gelingt es ihr, ihre Eltern zu überreden, dass sie dort für ein Jahr zur Schule gehen darf.
Zwischen Internatsleben und alten Mythen
Tara muss feststellen, dass es doch ein ziemliches Abenteuer ist, auf das sie sich da eingelassen hat. Doch schnell findet sie eine Freundin, Bisi, die ihr hilft sich mit den vielen strengen Regeln des Internatslebens zurechtzufinden. Dagegen versucht ihre Zimmergenossin Lola von Anfang an, ihr Steine in den Weg zu legen und mobbt sie regelrecht. Im Internat nehmen die Albträume immer deutlichere Formen an und Tara beginnt zu verstehen, dass sie weit in die Geschichte der Egba und des heiligen Olumo Rocks zurückreichen und auch direkt mit ihr in Verbindung stehen. Um das Rätsel zu lösen, begibt sie sich in große Gefahr und muss sich entscheiden, wie sie ihren Weg weitergehen will.
Efua Traoré verbindet Geschichte mit Magie
Die deutsch-nigerianische Autorin Efua Traoré hat ihre Kindheit in Nigeria verbracht, wo sie schon viele Ideen für ihre Geschichten bekam und lebt heute mit Ihrer Familie in München. Sie hat bereits mehre Kinder- und Jugendbücher geschrieben. Den Olumo Rock in Nigeria, der in dieser Geschichte eine große Rolle spielt, hat sie selbst besucht.
Die Autorin nutzt Taras Albträume, um viel über die leidvolle Geschichte der Egba im 19. Jahrhundert zu erzählen. Damals hat der Heilige Felsen die Menschen bei den Angriffskriegen der Kriegerinnen aus dem Nachbarkönigsreich Dahomey geschützt, ebenso bei der Ankunft von Missionaren und Kolonialisten. Bis zum Jahr 2002 lebte dort eine Priesterin, die 136 Jahre alt geworden ist. Mythen aus alten Zeiten und die noch immer lebendige Vorstellung von Zauberei verknüpft die Autorin geschickt mit Taras Suche nach ihren Wurzeln und ihrem Platz im Leben. Aber auch sehr aktuelle Probleme wie der Umgang der Nigerianer mit Homosexualität nimmt die Autorin ins Visier. So erzählt sie eine informative und zugleich hoch spannungsgeladene Geschichte, die glücklich in einem Happyend mündet.
Efua Traoré
Sister Spirit
Aus dem Englischen von Dejla Jassim
Karibu, München 2025
bei amazon
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Efua Traoré “Sister Spirit”: More than just a young adult novel
Efua Traoré’s Sister Spirit follows 16-year-old Tara, who lives with her adoptive parents in England. Her birth mother died by suicide, and her father was Nigerian, yet she knows little about her origins. Lately, vivid nightmares of a mysterious rock haunt her.
After online research, Tara identifies the rock as Olumo Rock in Nigeria. She convinces her father to visit, feeling an immediate connection to the country—and the rock. She persuades her parents to let her attend a boarding school there for a year.
Life at the boarding school is strict, but Tara finds a friend in Bisi. However, her nightmares intensify, revealing a deep connection to the history of the Egba people and the Olumo Rock. As she unravels the mystery, she puts herself in danger.
Traoré masterfully blends mythology, magic, and historical events into a gripping tale. Sister Spirit is more than just a thrilling YA novel—it explores identity, cultural heritage, and pressing social issues.