Dokumente aus der großen Zeit des deutschen Theaters und der Salzburger Festspiele, Pflichtlektüre für Bühnenbildner, Komponisten, Regisseure, Schauspieler, Sänger und Besucher: Der Briefwechsel von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss mit ihrem Ausstatter und Bühnenbildner Alfred Roller offenbart Geheimnisse des Musiktheaters. Von Stephan Reimertz.
Wer hätte nicht gern Mäuschen gespielt, als Mozart und Da Ponte in der zweiten Hälfte der 1780er Jahre in Wien zusammensaßen und Text, Musik und Dramaturgie ihrer drei gemeinsamen Opern erörterten? Allein wir müssen mit dem Gedankenaustausch von Giuseppe Verdi mit Arrigo Boito oder jenem von Giacomo Puccini mit Luigi Illica Vorlieb nehmen, immerhin, da diese in Briefen festgehalten sind; nicht anders als, – und da kommen wir nah der Jetztzeit – jenem zwischen Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss. Dieser Briefwechsel ist etwas Unvergleichliches; nicht allein gewährt er uns Einblicke in die Opernwerkstatt, wie sie sonst schlechterdings nicht zu haben sind, nicht nur führt er uns zu Sternstunden unserer eigenen Kulturgeschichte; er bietet uns auch das Panorama einer der merkwürdigsten Arbeitsbeziehungen im Reich der Kunst. Denn ein größerer Unterschied zwischen dem hochsensiblen Wiener Dichter und dem schnauzbärtigen bayrischen Komponisten, dessen Lieblingswort »famos« lautete, ist schwerlich vorstellbar. Das Wunder besteht darin, wie die beiden trotz ihrer grundsätzlichen Temperamentsunterschiede die Arbeitsbeziehung über Jahrzehnte lebendig hielten. Sie waren sich im Klaren darüber, was sie aneinander hatten.
Gesamtkunstwerk zwei Generationen nach Wagner
Wenn wir heute angelegentlich über Entstehungs- und Aufführungsgeschichte von Ariadne auf Naxos, Rosenkavalier, Arabella usw. informiert sind und darüber hinaus manch unerwarteten Einblick in die produktivste Opernwerkstatt der Moderne werfen dürfen, verdanken wir dies dem vielgelesenen Band, welcher zuerst, herausgegeben von Willi Schuh, 1952 erschien und mehrere ergänzte Auflagen erlebte. Keine Nacht dir zu lang, in der du diesem einzigartigen Werkstattgespräch lauschst, einer fruchtbaren Quelle auch zu den viel-, ja überdokumentierten Salzburger Festspielen. Eine frappante Ergänzung und Erweiterung erfährt der Dialog zwischen dem Dichter Hofmannsthal und dem Komponisten Strauss nun durch den ebenso umfangreichen Briefwechsel der beiden mit ihrem Bühnenbildner und Ausstatter Alfred Roller. Nicht allein künstlerisch, sondern auch menschlich erfahren wir Neues über drei komplexe Persönlichkeiten und lernen manches über ein entscheidendes Stück Theatergeschichte, das Gesamtkunstwerk zwei Generationen nach Wagner. Aber warum setzen die Herausgeberinnen das Wort »Gesamtkunstwerk« in Anführungszeichen? Also doch kein Gesamtkunstwerk? Und über das Münchner Künstlertheater heißt es: »1909 bis 1910 war das Theater an Max Reinhardt verpachtet, der dort „Festspiele“ veranstaltete.« Also keine Festspiele?
Die Kunst der Sichtbarmachung
Auf dem vielreproduzierten Dresdner Gruppenporträt zur Rosenkavalier-Uraufführung sehen wir die drei in der Mitte: Strauss wie geschminkt, Hofmannsthal nur in sich hineinschauend, nach außen dumpf, und den ihn um einen Kopf überragenden, offenen, umsichtigen Roller. Das kurze Telegramm des Dichters und des Komponisten an den Ausstatter vom 20. März 1909 zur Wiener Erstaufführung der Elektra zeigt die Konstellation der drei: »unter dem eindruck der ersten costuemprobe danken wir ihnen beide von ganzem herzen fuer das unvergleichliche schoene das sie fuer unsere elektra geschaffen haben – strauss hofmannsthal.« Wenn man einige fehlgeschlagene Elektra-Inszenierungen gesehen hat, kann man die Entwürfe Rollers zur Uraufführung der Oper tatsächlich nicht ohne einen gewissen Neid betrachten. So verwöhnt werden wir heutzutage nicht. Bereits das Kunst- und Selbstverständnis dieser Künstler der Klassischen Moderne war ein anderes als heute. Nach ihrem Selbstverständnis hatten sie als Person hinter dem Kunstwerk zurückzutreten. »Für Wort und Gebärde von Dichter und Darsteller den willig mitschwingenden Luftraum herzustellen ist Aufgabe der äußeren Bühnengestaltung«, schreibt Roller 1920 in den Blättern des Burgtheaters. Die Herausgeberinnen Christiane Mühlegger-Henhapel und Ursula Renner bezeichnen als »Kunst der Sichtbarmachung«, was Aristoteles ὄψις (Inszenierung) nennt. Im wohltuenden Gegensatz zu den Interview-Profis und Programmheft-Künstlern unserer Zeit bekennt Roller: »Der Sinn meiner Arbeit enthüllt sich also in der Aufführung, sonst nirgendwo.«
Tres faciunt consilium
Hofmannsthal, Strauss und Roller, deren Zusammenarbeit wir viel verdanken, u. a. die aufgedrehte Elektra, die bezaubernde Ariadne, den unvermeidlichen Rosenkavalier, den leidigen Jedermann, die schwerköpfige Frau ohne Schatten, stehen als Künstler für ein letztes Aufleuchten abendländisch-barocker Theaterkultur und ihrer Überführung in die Wiener Moderne, und sie stehen damit neben Künstlern wie Otto Wagner, Gustav Klimt und Oskar Kokoschka. »Jedes Kunstwerk trägt das Gesetz der Inszenierung in sich«, schreibt Roller und rühmt Gustav Mahlers »Verachtung für jeden bloß äußerlichen Aufputz der Bühne, für alles lediglich dekorative, nicht mit innerer Notwendigkeit aus der großen Konzeption der Inszenierung entspringende schmuckhafte Detail, mochte es noch so prächtig und bestechend sein. […] Die Vision des Bühnenbildes musste ausschließlich aus der Musik empfangen sein.«
Vorzügliche Edition
Vom kunstgewerblichen Vorsatzpapier über die kostbaren Vierfarbdrucke mit Bühnen- und Kostümentwürfen, seltenen Familienphotos und den zweifarbigen Textdruck haben Verlag und Herausgeberinnen dieser liebevoll gemachten Ausgabe keinen Aufwand gescheut. Der umfassende und übersichtliche Anhang gönnt uns u. a. eine bebilderte synoptische Chronologie über die Wege der drei Künstler. Wir halten einen sowohl für den Theaterpraktiker als auch für den Theaterbesucher wertvollen Band in Händen. Zunächst sind die Schriftstücke, soweit ersichtlich, in Originalorthographie wiedergegeben. Sodann folgen die informativen Anmerkungen auf jeden einzelnen Brief; so kann man sich elendes Hin- und Herblättern sparen. Der Benevento-Verlag gehört zu »Red Bull«, dem Hersteller eines Getränks, das nicht unbedingt vom Bildungsbürgertum ästimiert wird. Die Firma will sich mit Initiativen wie diesem Verlag offenbar einen Zugang zur legitimen Kultur verschaffen, wie sich das Unternehmen ja bereits in der Festspielstadt Salzburg eingenistet hat. Man kann dies belächeln, sollte aber die Frage stellen, warum der Briefwechsel nicht schon früher in einem der bekannten Verlage erschien, etwa bei S. Fischer, wo von jeher Hofmannsthals Werk herausgegeben wird. Für diesen Band jedenfalls hat der neue Verlag weder Kosten noch Mühe gescheut. So steht der neue Band gleichberechtigt neben Hofmannsthals Briefwechseln mit Leopold Andrian, Rudolf Borchardt, Rainer Maria Rilke, Stefan George u. v. a., wobei der Reiz des Dreiergesprächs durch ein Ensemble weiterer Briefpartner ergänzt ist, was, wenn man so will, eine eigene kleine Oper ergibt. Es erklingen Quer- und Parallelstimmen, wie etwa in einem anrührenden Brief aus dem Ersten Weltkrieg von Frau Roller an Frau von Hofmannsthal über den Selbstmord des Schwiegervaters. Als Trio mit ergänzenden Solisten kann man diese wertvolle neuerschlossene Quelle bezeichnen, ein theatergeschichtlich, historisch und menschlich wertvolles Dokument.
»Mit dir keine Oper zu lang …«:
Briefwechsel: Hugo von Hofmannsthal, Richard Strauss, Alfred Roller
Benevento Verlag, Elsbethen 2021
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