Endlich liegt das letzte Werk der Schriftstellerin auch auf Deutsch vor. Der Roman gehört zu den schönsten dieses Literaturherbstes. Rezension von Barbara Hoppe.
Selten findet man die Gabe, mit Worten eine vergangen Zeit wiederzuerwecken, so herausragend wie bei Goliarda Sapienza. Die 1924 geborene Schauspielerin, Kind einer kommunistisch-anarchistischen Familie, widmete sich ab 1958 ganz dem Schreiben. Doch einen großen Durchbruch hatte sie nie, was umso mehr erstaunt, weil ihr Stil so zauberhaft poetisch ist, so zartfühlend und sehnsuchtstrunken, dass man sich fragt, warum uns „Wiedersehen in Positano“ erst 25 Jahre nach ihrem Tod auf Deutsch vorliegt. Ihr Ton ist so schmerzhaft schön, dass jeder Satz eine Mischung aus Nostalgie, Poesie und Trauer über das Verlorene wie von selbst hervorbringt
Verloren in Zeit und Raum
In ihrem autobiographischen Roman setzt sie nicht nur einer Freundin ein Denkmal, sondern auch einer Zeit und einem Ort, die unwiederbringlich verloren sind. Die klassische Geschichte einer tiefen Freundschaft zweier Frauen zueinander ist auch gleichzeitig die Geschichte einer Zeitenwende. Bis in die fünfziger Jahre hinein war Positano nur ein kleines Fischerdorf an der Amalfiküste. Seine genügsamen Bewohner nahmen die vielen Künstler, Bohémiens, Filmschaffenden und Kommunisten freundlich auf. Licht und Farben taten ihr Übriges, um eine Traumsphäre zu schaffen. Die Tage verliefen im Rhythmus des Meeres. Sich der Muße selbst im Tun hinzugeben, fiel leicht. Die Strände waren menschenleer und kam man vom Wasser, legte man nur dort an, wo noch niemand war. So sind die schönsten Passagen dieses Romans die Beschreibungen des pittoresken Positano. Auf der Stelle wünscht man sich in die fünfziger Jahre zurück, um als Mischung aus Grace Kelly und Anna Magnani in den schmalen Gassen und an den leeren Stränden dem Laissez-faire zu frönen.
Kurz nach dem Krieg trifft Goliarda hier auf Erica, die alle in Positano nur „die Prinzessin“ nennen. „Ihr Gang zog alle Blicke auf sich, wenn sie die wenigen Stufen zum Strand hinunterging“ ist der erste Satz und er katapultiert den Leser von einem Moment auf den anderen in eine Welt voller Anmut, Grazie und Schmerz. „Ich kann nicht umhin, an die Galionsfigur eines Seeräuberschiffs zu denken“, schreibt Goliarda. Und ähnlich wie bei der Schiffsdame, lauert dahinter das Verderben. Denn Erica hütet ein Geheimnis, das sie Goliarda nach und nach anvertraut. Die sphärische Frau hat ein tragisches Schicksal, das eine verhängnisvolle Parallele zum Verlust der Unberührtheit Postianos ist. Der Ort und seine Prinzessin teilen das Los einer gebrochenen Existenz, die – so selbstbewusst beide auch sind – am Ende aus der Zeit fallen.
Denn mit dem Nachkriegswohlstand und der Aufbruchstimmung kommen die Straßen nach Positano und mit ihnen die Autos und die Touristen. Schon zwanzig Jahre später reiht sich Sonnenschirm an Sonnenschirm, „durch die kleinen Gassen, die früher still und leer waren, wälzt sich ein ohrenbetäubendes Gewimmel von Stimmen und Körpern und behindert die positanische Art zu gehen, barfuß und mit dem Gefühl, zu fliegen.“ Der Zauber des kleinen Ortes mit seiner Leichtigkeit des Seins ist gebrochen.
In seinem Nachwort schreibt der italienische Schriftsteller und Schauspieler Angelo Pellegrino „Niemand kann uns die Gerüche der fehlenden Gärten zurückgeben, den Himmel, der jetzt fast zugebaut ist, die verzauberte Stille, das ursprüngliche Leben, das ruhige Beobachten verrinnender Zeit, das damals die happy few so sehr genossen und das für viele etwas Ursprüngliches hatte.“ Aber – und das ist ein große Trost – wir können „Wiedersehen in Positano“ lesen und die schönste Reise machen, die man sich denken kann: Die Reise zum Reichtum unserer Vorstellungskraft.
Goliarda Sapienza
Wiedersehen in Positano
Thiele Verlag, München 2019
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