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FRANK BRIDGE ist in zwei herausragenden Alben neu zu entdecken: Klangräume wider Krieg und Zerstörung

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Masterpieces among Peers

„Wie der Titel dieser CD andeutet, wollen wir Bridges zweites Klaviertrio neben den etablierten Meisterwerken dieses Genres positionieren und die Komposition ins Bewusstsein von Musikliebhabern und Interpreten gleichermaßen bringen. Aus diesem Grund haben wir uns entschieden, das Bridge-Trio mit Brahms‘ Op. 8 zu verbinden – eine der beliebtesten und meist geschätzten Kompositionen im Klaviertrio-Genre – und eine, die uns sehr am Herzen liegt.“ Misha Namirovsky

Brahms als Zugpferd für wertvolle Musik weniger bekannte Komponisten? Warum nicht. Der englische Komponist Frank Bridge, Lehrer von Benjamin Britten, war selbst als Mitglied des Joachim Quartetts und des English String Quartet (Bratsche) ein glänzender Kammermusiker. Sein Werk misst an die 200 Stücke: Dass er ein eklektischer Konservativer war, muss heftig ins Reich der Mythen verwiesen werden. Überhaupt sind die Urteile vieler Zeitgenossen über Musik und Wesen von Bridges Kunst einfach hanebüchen unsachlich. Eher schon sorgte das sich selbst genügende englische Musikleben lange Zeit dafür, dass der Grad der Bekanntheit nicht mit der Qualität seines Schaffens mithielt. Und seine Musik? Vielleicht kennen Sie ja einige Songs von Frank Bridge, weil Opernstars wie Bryn Terfel oder Ian Bostridge diese frühen Miniaturen eher folkloristischen Zuschnitts für Platten aufnahmen.

Das hier auf dem Prüfstand stehende zweite Klaviertrio des Charles Villiers Stanford Schülers Frank Bridge aus 1928/1929, das ebenso wie seine Quartette, Quintette und Sextette in mehreren Einspielungen vorliegt, ist aus einem ganz andern Holz geschnitzt. Namirovsky sieht in dem posttonalen Werk Einflüsse von Debussy, Skrjabin und Alban Berg, die Frank zu einer ganz eigenen Musiksprache anverwandelte. Seine Charakteristika: „Ein ausgeklügelter Einsatz thematischer Transformation in allen Sätzen, Bogenformen mit Nutzung des Materials aus dem ersten Satz, das im letzten Satz wiederkehrt; Ostinato-Muster. Neu an dem späteren Stil ist die Vermeidung funktionaler harmonischer Progression, die weit verbreitete Verwendung ganztöniger und oktatonischer Skalen, polyakkordische und bi-akkordische Klangfarben und die fortgesetzte Verwendung des sogenannten Bridge Akkords (Klangfülle eines Dur-Dreiklangs über einem Moll-Freiklang, eine Sekunde tiefer).“

Anders ausgedrückt: Der Pazifist Bridge wurde durch die stählerne Faust des Ersten Weltkriegs zu einem schonungslosen Ausdruckskünstler par excellence, zu einem klanglichen Rebellen, der die Verlorenheit der Kreatur nach dem destruktiven Chaos, Trauer und wohl auch persönliche Traumata zu einem nervös blinkenden, sich ständig neu formierenden Klangraum verband. Ich finde die Musik unendlich heutig in ihrer Suche nach Identität, Standort und im ruckelnden Floaten nach vorne. Mit knappen Mitteln beschreibt Bridge keine simple Welt der betäubenden Ekstase. Die Musik rast wie Sekundenlichter der Großstadt aus dem rasenden Zug des Lebens betrachtet vorbei. In ihrem motivischen Mikrokosmos rechnet sie mit einer düsteren Vergangenheit ab und erahnt eine Zukunft, deren verschwommene Konturen keine Zuversicht für das um Orientierung ringende Individuum auslöst. Sanglich sinnliche Abschnitte im Molto allegro und Andante molto moderato mögen ihre spätromantischen Wurzeln nicht leugnen, stehen aber im noblen Dienste einer radikal nach Menschlichkeit und Ausgleich gierenden Sehnsucht.

Das Namirovsky-Lark-Pae Trio (Misha Namirovsky Klavier, Tessa Lark Violine, Deborah Pae Cello) wandelt von der ersten Sekunde an stacheligen Grenzzäunen außerhalb jeder Komfortzone entlang, die Geige, das Cello und die Tastatur im wachen Anschlag. Mit aufgekrempelten Ärmeln steht nicht die Balance der Stimmen, die Harmonie im Ton, sondern die Behauptung der Einzelstimme im Kosmos des Trios, die spontan wirkenden Aktionen und punktgenauen Reaktionen im Vordergrund. Diese durch die heftigen Kontraste ungemein spannende Lesart setzt das Trio auch bei Johannes Brahms berühmten ersten Klaviertrio in B-Dur Op. 8 in der Fassung von 1889 ein. So wenig gemütlich, dafür umso aufwühlender hat Brahms wohl nie geklungen. Diese Interpretation will die volle Aufmerksamkeit und fordert den Zuhörer zu 100 Prozent. Dafür steht ein intensives Musikerlebnis noch dazu in audiophiler Tonqualität ins Haus, das noch lange nachklingt.

Fazit: Das der Mäzenin Elisabeth Sprague Coolidge gewidmete Trio ist eines der gewagtesten und besten der englischen Klaviertrioliteratur des 20. Jahrhunderts.

Masterpieces among Peers
Trios by Frank Bridge and Johannes Brahms
Namirovsky-Lark-Pae Trio
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Cellokonzerte

Der umwerfende Cellist Gabriel Schwabe wird vom ORF Vienna Radio Symphony Orchestra unter Christopher Ward begleitet.

Bei Elgar und Bridge prallen atmosphärische Gegensätze bei inhaltlicher Verwandtschaft der Werke schroff aufeinander. Edward Elgars Cellokonzert in e-Moll Op. 85 entstand 1919. Der pur-romantische Grundton forscht einer längst verlorenen Zeit nach, eine zarte Nachkriegs-Melancholie kontrastiert mit hymnischen Aufschwüngen und energischen Ausbrüchen.

Der Instrumentierungskünstler Elgar vermag es trotz Riesenorchesterapparat, die Tonsprache schlank und beweglich zu halten. Das Cello hat keine Mühe „durchzukommen.“ Gabriel Schwabe (für das Label Naxos ein ebensolcher Glücksfall wie der Pianist Boris Giltburg) singt dieses große englisch-symhonische Lied in vier Teilen auf seinem Cello ähnlich eloquent, glühend und hingebungsvoll, wie dies einst Jacqueline Du Pré so genial vermochte. Frank Bridge stellte sein elegisches Konzert „Oration“ 1930 fertig. 1936 uraufgeführt, geriet das Konzert 40 Jahre lang in Vergessenheit. Inhaltlich handelt es sich bei dieser Musik „um eine vom Solisten gehaltene Trauerrede und einen Protest gegen die Sinnlosigkeit des Krieges.“

Im Vergleich zum schwelgerischen Elgar nutzt Bridge ein deutlich reduzierteres Orchester. Von der Anlage her karger, kommt dem Cello eine noch dominantere Rolle zu. Eine ins Groteske gezerrte Eleganz und viel innere Unruhe prägen das einzigartig euphorisch bis tränenfließend schöne, im Marschduktus voran wankende Werk. Gabriel Schwabe hält den erzählerische Faden trotz der unheimlich bis gespenstischen Tonalität straff gespannt. Einen idealeren Interpreten der eindringlichen musikalischen Botschaft mit dem glockenlauten Hoffnungsschimmer im Epilog vermag man sich kaum vorzustellen. Christopher Ward animiert das ORF Vienna Radio Symphony Orchestra zu einem vulkanischen Farbenrausch. Packend!

Elgar | Bridge: Cello Concertos
Gabriel Schwabe | Cello
ORF Vienna Radio Symphony Orchestra
Christopher Ward | Leitung
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