Von Birgit Koß
Mit ihrem preisgekrönten Debüt „Heimkehren“ hat Yaa Gyasi 200 Jahre schwarze Geschichte in ihrem Geburtsland Ghana und in den USA ins Zentrum gestellt. Für ihren zweiten Roman ist die in Brooklyn, New York lebende Autorin von einer befreundeten Neurowissenschaftlerin inspiriert worden. Mit ihr durfte die Autorin ins Labor, um zu sehen, wie Mäuse, die mit Hilfe eines Energydrinks süchtig gemacht werden, auf den Entzug reagieren. Das Gehirn der Mäuse wird in bildgebenden Verfahren festgehalten, um zu erforschen, warum einige dauerhaft süchtig bleiben, während andere problemlos davon loskommen.
Für ihren Roman hat Yaa Gyasi die rationale schwarze Wissenschaftlerin Gifty geschaffen, geboren in Alabama in einer Einwandererfamilie aus Ghana. In sachlichem Tonfall lässt sie ihre Protagonistin erzählen. Gifty sucht ihr Heil – oder „Königreich“ als Erwachsene in der nüchternen Wissenschaft, nachdem sie als Kind tiefgläubig in einer evangelikalen weißen Gemeinde in Alabama Mitglied war. Diese hatte ihre Mutter sich nach ihrer Einwanderung ausgesucht und zu ihrem Lebensinhalt gemacht. Dabei leugnete sie den stark vorhandenen Rassismus innerhalb dieser Gemeinde. Die kleine Gifty spürte zwar die Auswirkungen, konnte sie aber Aufgrund des Verhaltens ihrer Mutter weder benennen, noch in irgendeiner Form begreifen und damit auch nicht verarbeiten. Diese Erfahrungen schildert die Autorin bildstark, prägnant und eindrucksvoll. Yaa Gaysi verrät im Gespräch, dass die kirchlichen Szenen und die Darstellung des kindliche Glaubens stark autobiographisch geprägt sind, während die weitere Familiengeschichte von Gifty auf reine Fiktion beruht.
Der Roman beginnt damit, dass Giftys schwer depressive Mutter zu ihr reist, weil sich sonst niemand mehr um sie kümmert. Die Mutter verbringt Tage und Wochen reglos im Bett. Schon mit elf Jahren hatte Gifty diesen Zustand erlebt. Damals hatte der Vater die Familie verlassen, weil er das Leben in den USA nicht mehr ertragen konnte. Giftys älterer Bruder, ein vielversprechendes Basketballtalent war nach dem Verlust des Vaters und einer Verletzung, die seine Sportkarriere abrupt beendete, an einer Überdosis Heroin gestorben. Die äußerst gläubige Gifty verstand die Welt und ihren Gott nicht mehr. Sie war doch immer brav und gottesfürchtig gewesen – hatte dem lieben Gott lange Briefe geschrieben. Warum wurde sie nicht erhört und stattdessen für ein halbes Jahr zu ihrer ihr fremden Tante nach Ghana geschickt?
Nachdem Gottes Königreich für Gifty unerreichbar scheint, wendet sie sich komplett der Wissenschaft zu, will der Ursache für Depression und Sucht mit den Mäuseexperimenten auf die Spur kommen. Auch stilistisch stehen die beiden Seiten, die klaren naturwissenschaftlichen Schilderungen mit den kühl realistischen Schlussfolgerungen der erwachsenen Wissenschaftlerin, den bildreichen Schilderungen der Geschichte von Giftys Familien gegenüber. Lange bleiben die beiden Gegensätze Glauben und Wissenschaft für die Protagonistin unvereinbar.
„Ich hatte die Pfingstbewegung meiner Kindheit gegen diese neue Religion ausgetauscht, diese neue Suche, wohlwissend, dass ich nie alles wissen würde.“ Schließlich zeigt sich, dass es bei aller Suche immer wieder um die Frage geht, wie wir mit Trauer und Verlust umgehen können. Auch wenn ein Happyend aufgrund der vielen traumatischen Erfahrungen von Gifty nicht möglich erscheint, so findet sie doch ihren Weg, um „Ordnung zu schaffen, einen Sinn zu finden, eine Bedeutung in dem ganzen Durcheinander.“
Yaa Gyasi
Ein erhabenes Königreich
Aus dem Englischen von Anette Grube
DuMont Buchverlag, Köln 2021
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