Rezension von Martin Schmidt.
Früher Ruhm, der durch großes Talent und dessen nicht immer uneigennützige Förderung generiert wird, birgt die Gefahr einer existenziellen Verunsicherung, die sich aus schnell wachsender Popularität und einem damit verbundenen immensen Erwartungdruck speist. Viele halten diesem Druck nicht stand. Auch der Maler Jean Michel Basquiat (1960-1988) reiht sich mit seinem frühen Tod in den sogenannten „Klub 27“ ein, der all jene Begabten versammelt, deren Leben mit 27 Jahren endete – nicht aufgrund einer numerologischen Mystik, die dieser Zahl zugeschrieben wird, sondern wegen eines gesundheitszehrenden Lebensstils, der ein früheres Ableben ohnehin wahrscheinlich macht.
Basquiat war ein selbstbewusster wie labiler Künstler, der den unstreitigen Zumutungen einer medial aufgeputschten Ruhmesmaschinerie mit der Haltlosigkeit exzessiven Drogenkonsums begegnete und letzten Endes an der Gier des Kunstmarkts zerbrach, die er auch selbst mit einem ungeheuren Ausstoß an Werken befeuert hatte. Basquiat fiel mit seinem Schaffen in genau jene Übergangszeit der 1980er Jahre in New York, in denen Galeristinnen und Galeristen wie Mary Boone und Larry Gagosian mit forcierten Werbemaßnahmen und teilweise aggressivem Konkurrenzdruck die Preisschraube für die Werke der von ihnen vertretenen KünstlerInnen immer schneller nach oben drehten und für dieselben einen Starstatus etablierten, der bis dahin beispiellos war und mittlerweile zur Normalität geworden ist.
Der Züricher Midas Verlag setzt mit Paolo Parisis Graphic Novel über Jean Michel Basquiat eine Reihe fort, in der bereits die Künstler Hokusai und Jackson Pollock ins Bewusstsein einer comicaffinen Leserschaft zurückgeholt wurden. Parisi selbst hat u.a. schon Bilderzählungen über John Coltrane und Keith Haring geschaffen und bringt somit breite Erfahrung für dieses „Format“ mit.
Wer das Buch aufschlägt, wird mit prägnanten bis grellen Signalfarben geflutet, die das fortsetzen, was das Cover verspricht. Diese starke optische Reizung ist inhaltlich begründet und versucht, der Hektik und Lebensgier des kulturell so überaus dynamischen New York eine visuelle Entsprechung zu geben. Das ist eine kluge Entscheidung Parisis , der hier die Vorteile digitaler Kolorierung nutzt und gar nicht erst versucht, die verwirrend chaotische Bildwelt Basquiats im Comic zu reproduzieren. Die leuchtenden Farben liegen so wie ein pulsierender Beat unter der Erzählung und ziehen die Leserinnen und Leser hinein in die inspirierende wie verstörende Atmosphäre des großstädtischen Molochs, der tagtäglich die Wünsche und Träume von Millionen Einzelschicksalen aufeinander prallen lässt.
Jean Michel Basquiat wirft sich hinein in den Strudel eines New York, das noch genug Freiräume im doppelten Wortsinn birgt, aber auch beginnt, von hemmungslosem Spekulantentum und Existenzen zerstörender Profitgier heimgesucht zu werden. Die Familien seiner Eltern stammen aus Puerto Rico und Haiti, und er hat früh das Gespür für die mal mehr, mal weniger graduellen Differenzen, die das Leben als schwarzer Mensch und Künstler beschweren. Er beginnt mit seinem Freund Al Diaz ab 1977 unter dem Kürzel Samo© kritische Textbotschaften an Häuserwände zu bringen. SAMO steht für “same old shit“ und ist gleichzeitig Künstlername und Ausdruck des Bewusstseins für den weiterhin bestehenden Rassismus in den USA, der vor allem für dunkelhäutige Menschen Teilhabe auf Augenhöhe nicht zulässt. Basquiat weiß, dass die Graffitikunst vor allem als Ausdrucksform benachteiligter Bevölkerungsgruppen gesehen wird und weigert sich deshalb von Anfang an, als Graffitimaler klassifiziert zu werden, der er auch gar nicht ist, weil er Textbotschaften in den öffentlichen Raum bringt. Basquiat möchte als „ernsthafter“ Künstler zum Star werden und den Festlegungen rassistischer Sichtweisen entkommen. Mit der Band Gray, die im Mudd Club in Manhattan auftritt, macht er Musik und legt auch als DJ auf. Dort treibt sich damals die ganze Underground-Szene herum, und Basquiat trifft auf Musiker wie Debbie Harry, Nico, Madonna oder Klaus Nomi und andere Künstler, die später zu großer Berühmtheit gelangen werden.
Sein Ruhm beginnt mit der Teilnahme an der 1981 von Diego Cortez, einem der Mitgründer des Mudd Club, kuratierten Ausstellung New York/New Wave im Moma PS1.
Als erste Kunsthändlerin nimmt sich daraufhin Annina Nosei seiner an. Sie stellt ihm die Kellerräume ihrer Galerie als Atelier zur Verfügung und organisiert seine erste Einzelausstellung im März 1982. Schnell jedoch wechselt Basquiat zu dem Galeristen Bruno Bischofberger, später zur Galerie Mary Boone, und allein die Fülle seiner Einzel- und Gruppenausstellungen in den Jahren 1982/83, auf denen viele seiner Bilder verkauft wurden, belegt die immense Schaffenswut, deren Ertrag sich am Ende seines kurzen Lebens auf gut 3.000 Werke in Malerei und Zeichnung belaufen wird.
Doch der manische Ausstoß und der Druck der Galeristen, die wie etwa Mary Boone Käufer auf Wartelisten für Bilder setzen, die noch nicht gemalt sind, setzt dem sensiblen Künstler zu, der mit dem schnellen Ruhm nicht so abgeklärt umgehen kann wie sein Mentor Andy Warhol, den er 1982 durch Bischofberger kennengelernt hat. Basquiat konsumiert täglich Drogen verschiedenster Art bis hin zum Heroin, und die unheilvolle Melange aus Rauschmitteln und den Zumutungen eines sich immer schneller drehenden Kunstmarkts kostet ihn das Leben.
Paolo Parisi lässt auf der Folie seines bereits erwähnten Farben-Beats Basquiat und seine wichtigsten Weggefährten zu Wort kommen. Suzanne Mallouk, seine Partnerin für einige Zeit, schildert das intensive und aufreibende Leben an der Seite des manisch malenden Künstlers. Diego Cortez äußert sich als derjenige, der dem jungen Basquiat einen Platz in der legendären Gruppenausstellung verschafft, während Annina Nosei, Mary Boone und Larry Gagosian ihre Interessen als Galeristen artikulieren. Basquiat selbst kommt zu Wort, als Stimme aus dem Off gewissermaßen, sowie als jemand, der seine Gedanken auf linierten Zetteln schriftlich fixiert und zunehmend im Dissens mit seiner Umwelt steht.
Parisi verdeutlicht durch die unterschiedlichen Sprecher das Beziehungsgeflecht, in dem sich Basquiat befand, und der Leser bekommt eine Ahnung von dessen Verlorenheit, die sich dem Bewusstsein verdankte, als Schwarzer nie wirklich zur von Weißen dominierten Kunstwelt dazuzugehören. Die Diskrepanz zwischen seinem Aufstieg als erstem farbigen Künstler an die Spitze der Gegenwartskunst und der Zumutung, von vielen als Maskottchen Andy Warhols wahrgenommen zu werden, also mit einer zugeschriebenen Identität des Inferioren konfrontiert zu sein, hat Basquiat zerrissen.
All dies thematisiert Parisi in seiner durchdachten Bilderzählung auf überzeugende und gekonnte Weise. Die bewusst plakative Gestaltung mit der signalhaften grellen Farbgebung, die auf differenzierte Binnenzeichnung weitgehend verzichtet, illustriert in adäquater Weise eine Crux des überdrehten Kunstmarkts – dass nämlich die Etablierung eines Stils die Individualität des Künstlers, der darauf reduziert wird, über kurz oder lang untergraben kann. Alles wird dabei zur glatten Projektionsfläche, die Kanten werden abgeschliffen und die Marke wird wichtiger als die Person, die immer weiter liefern muss. Das Widerständige, das zur Ware wird, verliert alles Rebellische. Basquiat wurde sich dieses Zwiespalts mit der Zeit sehr bewusst und verzweifelte letztendlich am hohen Preis des Ruhms.
Parisi inszeniert seine biographische Erzählung selbst als Marke und ist damit nah dran am Zeitgeist der 1980er Jahre, diesem exzentrischen, überdrehten und auf seltsame Weise dennoch unterkühlten Jahrzehnt.
Er vermittelt dabei sehr gut die Stimmung des Entgrenzten, die Schaffensrausch und Popularität mit sich brachten, ohne sich in Details des Lebens und überbordenden Werks zu verlieren. Wer Jean Michel Basquiat noch nicht kennen sollte, wird hier auf suggestive Weise animiert, selbst noch mehr über den Künstler und dessen Bildwelt herauszufinden.
Paolo Parisi
Basquiat – Ein Leben in Extremen
Midas Verlag, Zürich 2021
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