Rezension von Barbara Hoppe.
Der Teufel steckt im Detail, in des Pudels Kern oder in der Schublade. So auch im aktuellen Roman des italienischen Autors Paolo Maurensig. Das schmale literarische Werk des 77-jährigen – insgesamt sind bisher nur vier Romane von ihm in deutscher Übersetzung erschienen – begeistert seit seinem Erstling 1993 die Kritiker.
Mit „Der Teufel in der Schublade“ präsentiert der Italiener nun Nummer fünf auf Deutsch. Ein kleiner Roman, der in zweifacher Hinsicht lesenswert ist. Zum einen wäre da das Thema, die verschmitzte Variante des Faust-Stoffes. Hier verzweifelt zwar kein Gelehrter an der Welt, aber doch ein ganzes Dorf an seinem verhinderten literarischen Erfolg. Denn der kleine Ort Dichtersruh rühmt sich damit, vor rund 200 Jahren Johann Wolfgang von Goethe beherbergt zu haben. Und seitdem sind die Einwohner Vielschreiber, die ihre Ergüsse in der Verlagswelt anbieten – und stetig scheitern. Doch eines Tages scheint ein Heilsbringer das Blatt zu wenden. Dr. Fuchs vom gleichnamigen Verlag entdeckt das literaturaffine Dorf und möchte es groß herausbringen. Ein Literaturwettbewerb wird ausgerufen. Dem Verleger wird der rote Teppich ausgerollt. Das Dorf verfällt in einen Schreibrausch. Nur der Vikar ahnt Schlimmes. Der aalglatte, hinkende Dr. Fuchs, der zeitgleich mit einer die Füchse der Umgebung befallenen Tollwutplage im Ort auftaucht, scheint Übles im Schilde zu führen. Mit aller Macht und allem Gottesglauben stemmt sich der Geistliche gegen den gefährlichen Einfluss des vermeintliches Teufels, der Neid, Missgunst und Chaos nach Dichtersruh bringt.
Doch das alles wird nicht einfach so heruntererzählt. Paolo Maurensig bedient sich dem altbewährten Schachtelprinzip der Geschichte in der Geschichte. Ausgangspunkt ist ein Autor, der beim Aufräumen auf ein Manuskript stößt, das ihm einst anonym geschickt wurde. Geschrieben wurde es von einem Verlagsmitarbeiter, der auf einer Konferenz besagten Vikar traf, der ihm wiederum von den unglaublichen Ereignissen in dem kleinen Ort erzählte. Welche Wahrnehmung hier die richtige ist, macht die eigentliche Spannung dieses kurzen Romans aus.
Zum anderen ist „Der Teufel in der Schublade“ auch eine Abrechnung mit einem immer häufiger auftretenden Literaturphänomen: Ein gewisses Maß an Mittelmäßigkeit, Einfallslosigkeit, Gefälligkeit und Banalität bei Neuveröffentlichungen. Da werden Jungautorinnen und Jungautoren gelobt, bei denen man darüber streiten kann, ob hier wirklich Experimentierfreude und innovatives Schreiben am Werke sind oder einfach nur Bequemlichkeit, mitreißende Geschichten und echte Charaktere zu entwickeln. Der Klage des Vikars, als Juror des Literaturwettbewerbs nur langweilige Familien- und Dorfgeschichten zu lesen, möchte man sich mitunter auch im realen Literaturbetrieb anschließen. Da werden Tagebücher und Fotoalben der Großmutter herausgekramt und Geschichten darum herumgestrickt, die jeder erzählen könnte, der Großeltern hat. Die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit, Berufserfahrung oder irgendwelcher Krisenzeiten sind mitunter so wenig interessant und mitreißend wie die abgelehnten Manuskripte der Dorfgemeinschaft von Dichtersruh.
So schafft es Paolo Maurensig tatsächlich auf mehreren Ebenen, nicht nur eine irrwitzige Parabel über die Eitelkeit des Menschen zu erzählen, sondern auch mit elegantem Schwung und Knalleffekt dem Literaturbetrieb einen Klaps zu geben.
Paolo Maurensig
Der Teufel in der Schublade
Übers.: Rita Seuß
Nagel & Kimche, München 2020
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