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Heinz Liepmann „Das Vaterland“: Ein literarischer Weckruf

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Literatur

Der Pendragon Verlag hat mit der Neuauflage von Heinz Liepmans „Das Vaterland“ ein literarisches Juwel wieder ans Licht gebracht, das ebenso erschüttert wie beeindruckt. Ursprünglich 1933 unmittelbar nach Hitlers Machtergreifung in den Niederlanden erschienen, gilt es heute als eines der ersten deutschsprachigen Bücher der Exil-Literatur. Von Barbara Hoppe

Man stelle sich vor: Man ist eine Weile weg, abgeschnitten von jedweder Kommunikation und wenn man zurückkommt, ist alles anders. Was gern Thema in Komödien oder Science Fiction Romanen ist, ist in „Das Vaterland“ bitterer Ernst. Die kleine Besatzung des Dampfers Kulm war vom 26. Dezember 1932 bis zum 28. März 1933 vor Island zum Fischfang. Bei ihrer Rückkehr nach Hamburg finden die neun Männer ein radikal verändertes Deutschland vor: Hitler und seine Schergen haben die Macht ergriffen. Auf den Straßen herrschen Gewalt und Willkür. Statt lustig auf der Reeperbahn zu feiern, geraten die Männer auf ganz unterschiedliche Weise in das Räderwerk der Nationalsozialisten.

Schicksale im Sturm der Geschichte

Heinz Liepman begleitet seine weltanschaulich verschiedenen Protagonisten durch die ersten Tage an Land. Bereits kurz nach der Ankunft verschlägt es den Maschinisten Fretwurst in eine Nazi-Kneipe. Er ist der Typus Mensch, den der Historiker Götz Aly in seinem Essayband „Volk ohne Mitte“ aus dem Jahr 2015 als Archetypen des Mitläufertums mit genau diesem Namen belegt. Der kaisertreue Kapitän hingegen wird Zeuge, wie eine Frau in der Hamburger Hochbahn von der SS zusammengeschlagen wird. Als er sich bei den zuständigen Behörden über das Verhalten der sogenannten Polizei beschwert, ist er schnell aus dem Verkehr gezogen, mit Leib und Leben bedroht. Die sozialdemokratischen und kommunistischen Besatzungsmitglieder schließen sich dem Widerstand ihrer Parteien gegen die neuen Herrscher an und der Jude Arthur trifft seine Jugendliebe Margit wieder, die auf der Straße gelandet ist, nachdem ihr nationalsozialistischer Ehemann sie vor die Tür gesetzt hat.

In verschiedenen, äußerts packenden Episoden springt der Besatzung eine Unmenschlichkeit unermesslichen Ausmaßes geradezu ins Gesicht. Unbarmherzig gerät jeder einzelne von ihr in einen Kampf ums Überleben. Und jedes Besatzungsmitglied hatte sich in keiner Weise vorstellen können, dass es ihn treffen könnte. Denn jeder sieht sich als redlichen Deutschen, strebsam und dem Vaterland treu ergeben. Kämpfer im Ersten Weltkrieg.

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Cover: Pendragon Verlag

Ein Roman auf den Fundamenten der Realität

Heinz Liepman, selbst Jude und kritischer Journalist, schreibt in seinem Vorwort, dass sein Roman auf Tatsachen beruhe. Und er belegt dies mit Ausschnitten aus Zeitungsartikeln ebenso wie mit Zitaten aus Reden von Joseph Goebbels. Tatsachen, von denen er zu berichten weiß aus der Zeit, in der er noch in Deutschland war. Schon im Sommer 1933 floh er zunächst in die Niederlande. Später emigrierte er über England und Frankreich in die USA. Doch die Geschichten, die er in das „Das Vaterland“ kompensierte, geschahen so oder ähnlich, in Hamburg und anderswo in Deutschland, an Menschen, die er kannte.

Damals und Heute

Dabei führt Liepman den Leser ohne Umschweife in das Geschehen ein und lässt ihn die Bedrohung und Verzweiflung der Figuren spüren. Mit den neuen und unvorstellbaren Gegebenheiten konfrontiert, reagieren die Männer zunächst vor allem verständnis- dann zunehmend fassungslos. Als sie in den Hamburger Hafen einlaufen, müssen sie erleben, dass ein Schwerverwunderter lieber freiwillig in den Tod geht, als sich von der „Kulm“ retten zu lassen. Die Beklemmung nimmt zu, bei den Protagonisten ebenso wie beim Leser. Denn Liepman gelingt es meisterhaft, die rasante Geschwindigkeit des Abgleitens in den rechten Terrorstaat literarisch umzusetzen und die Schrecken und Abgründe der nationalsozialistischen Herrschaft eindrucksvoll zu vermitteln. Die Episodenform und der prägnante Schreibstil unterstreichen zusätzlich das Tempo, in dem sich die demokratischen und rechtstaatlichen Strukturen auflösen. „Das Vaterland“ von Heinz Liepmann ist ein erschütternder und zugleich wichtiger Roman, der die Leser wachrüttelt und zum Nachdenken anregt. Ein Werk, das auch heute noch seine Relevanz nicht verloren hat und uns daran erinnert, wie fragil demokratische Strukturen sein können.

Heinz Liepmann
Das Vaterland
Pendragon Verlag, Bielefeld 2025
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‘Das Vaterland’ by Heinz Liepmann: a literary wake-up call

The Pendragon Verlag has reissued Heinz Liepmann’s „Das Vaterland.“ This literary gem, first published in 1933 after Hitler’s rise to power, is an early work of exile literature. The crew of the steamer Kulm returns to a radically changed Germany after three months of fishing. Hitler has seized power, and violence and arbitrariness reign on the streets. The nine men get caught in the gears of the Nazis.

Machinist Fretwurst finds himself in a Nazi pub, the captain witnesses an SS assault, and other crew members join the resistance. The Jewish protagonist Arthur meets his childhood love Margit, who was cast out by her Nazi husband.

Heinz Liepmann vividly describes the characters‘ despair and threat. With episodes from newspaper articles and speeches by Joseph Goebbels, he gives his novel authenticity. Liepmann himself fled from the Nazis into exile in 1933.

„Das Vaterland“ is an important novel that literary depicts the horrors of Nazi rule and the disintegration of democratic structures. Even today, the work has lost none of its relevance and reminds us how fragile democratic structures can be.

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