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„Kennen wir uns? Eine syrisch-deutsche Begegnung“

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In ihrem Buch „Kennen wir uns? Eine syrisch-deutsche Begegnung“ sprechen der syrische Journalist Yahya Alaous, der seit 2015 mit seiner Familie in Berlin lebt, und der Autor, Kulturkritiker, Lehrer und Feuilletonscout-Autor Carsten Schmidt übers Ankommen, sich Kennenlernen, Fremdheit und Vertrautheit. Was ist Integration, und wie kann sie aussehen?

Am Freitag, dem 13.10.2023 lesen Yahya Alaous und Carsten Schmidt in Berlin aus ihrem Buch. (Informationen hier). Barbara Hoppe sprach im Vorfeld mit den beiden Autoren.

Feuilletonscout: Wie habt ihr euch kennengelernt?
Yahya: Wir trafen uns zum ersten Mal bei einem Kaffee. Carsten wurde von seiner Frau Annett und unserer gemeinsamen Freundin Carolin begleitet. Für mich war es ein wichtiges Treffen, denn ich war die ersten Monate in Deutschland und ehrlich gesagt auf der Suche nach neuen Freunden. Ich hatte weder Freunde noch Bekannte. Ich hatte alle meine Freunde in Syrien zurückgelassen, einige von ihnen starben und andere wurden verhaftet. Carsten war kultiviert, aufgeschlossen und sprach gut Englisch, so dass wir uns leicht verständigen und Freunde werden konnten.
Carsten: Was ich besonders fand, war in Yahya jemanden zu sehen, der offen erzählte und der ganz stark versuchte, sich die Stadt, das Land zu erschließen. Neugierig mit vielen Fragen.

Feuilletonscout: Und wie entstand daraus die Idee zu dem Buch?
Yahya: Carsten hatte einige Bücher auf Deutsch veröffentlicht und ich las, was er auf seiner Facebook-Seite gepostet hatte, und das gefiel mir. Er wiederum las gelegentlich meine Artikel in der Süddeutschen und kommentierte oder diskutierte mit mir darüber, was ich geschrieben hatte. In unseren Gesprächen kamen wir oft gedanklich einen Schritt weiter. Die Idee eines gemeinsamen Buches ist alt, aber die Möglichkeit hat sich erst im letzten Jahr konkretisiert, als Carsten die Idee vorschlug und wir sofort mit dem Schreiben begannen.
Carsten: Eigentlich ist es herausfordernd, seine Umwelt wahrzunehmen und sie ohne großen intellektuellen Anspruch zu beobachten. Wir sind beide, haben wir festgestellt, Beobachter und schreiben gern über Dinge, die wir in Straßenbahnen etc. sehen. Darin können schöne Geschichten stecken und es sagt auch viel aus, ohne weite gesellschaftliche Essays.

Cover: KLAK Verlag

Feuilletonscout: Was hat euch an dem anderen am meisten überrascht?
Yahya: Für mich gab es keine große Überraschung, aber ich erinnere mich, dass ich bei unserem ersten Treffen der Einzige war, der Bier trinken wollte, während Carsten, Annett und Caro heiße, zuckerfreie Getränke tranken. Für einen Moment war es erstaunlich, dass der Mann, der gerade aus einem islamischen Land kam, Alkohol trank, während die drei anderen Deutschen heißen Tee tranken.
In Ernst, was mich überrascht hat, war die Entscheidung von Carsten und Annette, Berlin zu verlassen und nach Görlitz zu ziehen. Ich hatte erwartet, dass sie in ein paar Monaten zurückkommen würden, aber sie sind immer noch da und genießen ihre Zeit. Denn im Moment ist das Gegenteil der Fall: Alle wollen in die großen Städte ziehen.
Carsten: Aber es gibt ja auch andere Bewegungen. Tatsächlich stimmt es aber, dass viele meiner Bekannten und auch Freunde den Umzug nicht so nachvollziehen konnten und man muss ehrlicherweise sagen, dass ich z. B. auch schon Autoren und Autorinnen eingeladen habe, die mir sagten, dass sie freiwillig nicht im Leben einen Fuß nach Ostsachsen setzen werden.

Feuilletonscout: Was hat euch besonders gefreut und was besonders betrübt?
Yahya: Was mich glücklich macht, ist, dass ich mich jetzt bei meiner Familie sicher fühle und weiterhin meiner Arbeit als Journalistin und Schriftstellerin nachgehen und von den Erfahrungen meiner Freunde hier wie Carsten lernen kann. Was mich traurig macht, ist, dass meine Großfamilie in Syrien weit weg von mir ist und ich ihr nicht helfen kann.
Carsten: Solche Erinnerungen kamen beim Schreiben und beim Festhalten der eigenen Worte. Ich habe sehr ernste Fragen gestellt über Syrien, auch über die Rolle der Türkei und Russlands und dem IS. Viel davon hat nicht seinen Weg ins Buch gefunden, aber zwischen den Zeilen haben wir uns gegenseitig viele Extra-Fragen gestellt, damit wir wirklich so tiefgründig wie möglich verstehen, was der andere meint. Also der eventuell manchmal leichte Ton im Buch täuscht dahingehend, es ist tiefer, aber genau so organisch entstanden, wie es nun fertig da liegt.

Feuilletonscout: Wann musstet ihr gemeinsam so richtig lachen?
Yahya: Wir lachten über mehrere Stellen im Buch, aber ich erinnere mich noch daran, wie Annett und Caro und später Carsten lachten, als sie mir von dem Brauch der Menschen im Osten erzählten, nackt in der Ostsee zu baden, von der sogenannten Freikörperkultur (FKK). Ich sagte ihnen damals etwas erstaunt: „Ganz nackt?“ Sie antworteten „Ja… absolut, vollständig…“ und brachen in Gelächter aus.
Carsten: Ich habe an einer Stelle gelacht, wo Yahya beschreibt, wie er in ewig gleichen Veranstaltungen die ewig gleichen Fragen beantworten sollte, warum er Deutschland toll findet und was ihn am meisten überrascht hat – und er irgendwann mit „Weizenbier“ geantwortet hat, was einerseits die komische Selbstverliebtheit oder Obsession mancher Fragesteller zeigt, wie andere sie sehen, aber auch Yahyas Humor.

Feuilletonscout: Was habt ihr voneinander gelernt?
Yahya: Ich persönlich habe viel von Carsten gelernt, seine persönlichen Erfahrungen sind reichhaltig und anders für mich, das Bild, das er vom Osten zeichnete, war meiner Meinung nach sehr logisch, seine kurze Erfahrung mit Krankheit und die Lehren, die er daraus zog, seine Wertschätzung für die Bedeutung von Psychotherapie ermutigten mich, eine ähnliche Erfahrung zu machen.
Carsten: Ich habe einiges von Yahya und seinem Blick auf uns gelernt. Ich denke, dass man an seiner Geschichte merkt, wie sehr es Menschen in zerrissenen Gesellschaften prägt und fordert, Widersprüche auszuhalten. Zum Beispiel die Zeit im Gefängnis, die Yahya einerseits als gestohlene Jahre bezeichnet, andererseits ihm Wissen und Erkenntnisse geschenkt hat.

Feuilletonscout: Hat das gemeinsame Gespräch eure jeweilige Sicht auf Deutschland und Syrien verändert?
Yahya: Viele Diskussionen haben mich dazu gebracht, vieles zu überdenken, was ich vorher nicht wusste. Diese Erfahrung hat mich dazu gebracht, tiefer in das tägliche Leben der Deutschen einzutauchen und zu verstehen, wie sie die Welt sehen: Die Einstellung der Migranten, die Religionen, das soziale Leben und viele andere Aspekte. Carstens Sicht auf die deutsche Gesellschaft im Allgemeinen half mir, mir ein besseres Bild von ihm zu machen.
Carsten: Ich glaube, dass es gut ist, die Vielfalt und die breit gefächerten Erfahrungen vieler Menschen nicht immer zu kategorisieren, wie wir Deutschen es gern beamtenmäßig tun. Natürlich gibt es nicht DAS Syrien und DAS Deutschland, aber beim Zusammentreffen erkennt man Unterschiede wie etwa die Zurückhaltung zu fremden Kindern, die wir Deutsche hegen – also nicht fremde Kinder hochzuheben oder zu knuddeln – was aber gar nicht so kühl gemeint ist, wie es bei Syrern ankommen kann.

Feuilletonscout: Welches Feedback würde euch am meisten freuen?
Yahya: Ich bin sehr offen für Kritik, aber der Satz „Mach weiter“ hat eine große Wirkung auf mich. Carsten: Bildlich haben wir uns wie auf einer langen Zugreise gegenübergesetzt und einen ersten Aufschlag gemacht. Absichtlich keine große Welterklärung, sondern ein Kennenlernen auf Augenhöhe. Wenn wir mehr Menschen anstecken, dass sie die Tür öffnen und sich ihrerseits in Dialoge mit „Nachbarn im weitesten Sinne“ begeben, dann ist das toll.

Feuilletonscout: Danke für das schöne Gespräch!
Yahya und Carsten: Danke für die Möglichkeit, mit Dir zu sprechen, liebe Barbara!

Kennen wir uns? Eine syrisch-deutsche Begegnung
Carsten Schmidt / Yahya Alaous
KLAK Verlag, Berlin 2023
bei amazon
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