Rezension von Barbara Hoppe
Frei nach Leonardo da Vincis „In der Einfachheit liegt die höchste Vollendung“ gelingt Frank Flöthmann eine amüsante Auseinandersetzung mit den Werken des englischen Dramatikers.
Jeder, der schon einmal ein Shakespeare-Drama im Theater gesehen hat, weiß, wie lange so etwas dauern kann. Und jeder Theaterregisseur, der nur ein Fünkchen Erbarmen mit den Beinen, dem Rücken und dem Sitzfleisch seines Publikums in den meist viel zu engen Stuhlreihen hat, kürzt seinen Shakespeare auf ein erträgliches Theaterabend-Maß zusammen.
Aber nun Shakespeare ganz ohne Worte? Auf rund 20 großzügig gestalteten Seiten? Nach dem Überraschungserfolg „Grimms Märchen ohne Worte“, „Männer ohne Worte“ und „Stille Nacht – Die Weihnachtsgeschichte ohne Worte“ hat sich Illustrator Frank Flöthmann nun sechs große Dramen des Engländers vorgenommen und erzählt sie als Comic, ohne ein Wort zu schreiben.
Ein optischer Augenschmaus
Was hält man in der Hand, wenn man sich dieser ungewöhnlichen Shakespeare’schen Werksammlung widmet? Ein großes Buch, 24 x 29,5 cm in Grün, Schwarz, Weiß und Gold. Auf dem Cover fragt Hamlet „|/O?“ und kneift dabei eines seiner Knopfaugen zu. Der Vorhang hebt sich auf den ersten Umschlagseiten, die Vorstellungen beginnen. Treu bleibt sich Frank Flöthmann bei den Farben, den runden Augen, Körpern und Köpfen. Nur die Herren ziert mitunter eine markige Ponyfrisur.
Die Dramen
Mal eben so daherlesen lassen sich „Macbeth“, „Hamlet“, Romeo und Julia“, „Der Sturm“ und „Othello“ nicht. Wer denkt, Frank Flöthmann präsentiert hier Shakespeare light für Dummies irrt. Kennt man die Dramen, steigt der Genuss des Comics um ein Vielfaches. Denn Flöthmann zeigt bei seiner Interpretation der Werke auch eine gehörige Prise Humor. Den versteht man aber nur, wenn man das Original kennt. Da benimmt sich Othello auch schon einmal wie ein actiongeladener Blade Runner auf dem Weg, die Welt zu retten, und prügeln sich die Helden in bester Slapstick-Manier bei Macbeth. Und gern malt sich Flöthmann ein „Was wäre, wenn“ aus. Wenn nämlich die Helden der Dramen sich ganz normal verhalten würden, vernünftig miteinander redeten und Frieden schlössen. Dann wäre die Geschichte schon früh zu Ende. Aber da dies ja nie vorkommt, führt uns Flöthmann weiter durch die Irrungen und Wirrungen der Shakespeare’schen Heldengefühle. Um nicht den Überblick zu verlieren, dirigiert er seine Leser mit Hilfe eines Pfeil-Leitsystems durch die Bilderflut. Und immer – und das ist das Wohltuende – bleibt er seinen vier Grundfarben treu. Genau hinschauen muss man, um die Figuren zu unterscheiden, doch Flöthmann hat auch hier jedem Männlein und Weiblein kleine Merkmale hinzugefügt. Akribie ist das Gebot der Stunde, will man nicht durcheinanderkommen. Nur wenn einer tot ist, wird’s einfach: Aus den Knopfaugen werden zwei kleine „X“.
Reduktion = Genuss
Manchem Shakespeare-Puristen mag dies zu weit gehen. Darf man so mit dem Grandseigneur des englischen Dramas umgehen? Man darf. Wo wäre die Literatur, die Kunst ganz allgemein, wenn wir ihre Motive, ihre Stile nicht spielerisch aufnähmen? Sie auf vielfältigste Art und Weise erfahrbar machten? „In der Einfachheit liegt die höchste Vollendung“, sagte einst Leonardo da Vinci. Mit der Reduktion auf die Hauptstränge der komplexen Dramen eines William Shakespeare gelingt Frank Flöthmann ein kleines Meisterstück, bei dem auch mal herzlich gelacht werden darf.
Frank Flöthmann
Shakespeare ohne Worte
DuMont Buchverlag, Köln 2016
Frank Flöthmann: Shakespeare ohne Worte
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