Ihre Geschichte ist melancholisch-schön, wie man es sich für einen Roman aus dem viktorianischen Zeitalter wünscht, und doch ist sie wahr: Elizabeth Barrett Browning galt als „alte Jungfer“, schlimmer noch, als gebildete „alte Jungfer“. Geboren 1806 in Durham, England, erkrankte sie bereits als Jugendliche, was ihr zeitlebens eine schwache Gesundheit, eine Rückgratverletzung und ein Lungenleiden hinterließ. Ihrer literarischen Produktivität tat dies jedoch keinen Abbruch. Als 1844 der sechs Jahre jüngere Dichter Robert Browning auf ihre „Poems“ aufmerksam wurde, war dies der Beginn einer großen Liebe. Über die Strenge des Vaters, der eine Eheschließung verbot, setzen sich beide hinweg. Elizabeth und Robert heirateten heimlich und gingen nach Florenz, wo sie bis zu Elizabeths Tod 1861 glücklich lebten. Dort drängte Robert seine Frau, die vielen Liebesgedichte, die sie für ihn geschrieben hatte, zu veröffentlichen. Und da es damals einer Frau unmöglich war, ihr Seelenleben derart offenzulegen, gab man die Werke als Übersetzung aus dem Portugiesischen heraus.
Diese wiederum wurden dann aus dem Englischen von Rainer Maria Rilke ins Deutsche übertragen.
FAZ net hält fest: „Die Überzeugungskraft dieser Verse beruht aber nicht nur auf ihrem Inhalt und ihrer teils ungewöhnlichen Metaphorik (die Trauben!). In der altbewährten Form des Sonetts lässt die geübte Lyrikerin die Sprache selbst die Vereinigung stiften, nämlich durch den Zeilensprung, das Enjambement.“
Elizabeth Barrett Browning: „Sonette aus dem Portugiesischen. Das sechste Sonett“
Geh fort von mir. So werd ich fürderhin
in deinem Schatten stehn. Und niemals mehr
die Schwelle alles dessen, was ich bin
allein betreten. Niemals wie vorher
verfügen meine Seele. Und die Hand
nicht so wie früher in Gelassenheit
aufheben in das Licht der Sonne, seit
die deine drinnen fehlt. Mag Land um Land
anwachsen zwischen uns. So muss doch dein
Herz in dem meinen bleiben, doppelt schlagend.
Und was ich tu und träume, schließt dich ein:
so sind die Trauben überall im Wein.
Und ruf ich Gott zu mir: Er kommt zu zwein
und sieht mein Auge zweier Tränen tragend.
Aus dem Englischen von Rainer Maria Rilke
***
„Sonnets from the Portuguese VI.“
Go from me. Yet I feel that I shall stand
Henceforward in thy shadow. Nevermore
Alone upon the threshold of my door
Of individual life, I shall command
The uses of my soul, nor lift my hand
Serenely in the sunshine as before,
Without the sense of that which I forbore,
Thy touch upon the palm. The widest land
Doom takes to part us, leaves thy heart in mine
With pulses that beat double. What I do
And what I dream include thee, as the wine
Must taste of its own grapes. And when I sue
God for myself, He hears that name of thine,
And sees within my eyes, the tears of two.
Eilzabeth Barrett Browning
„Sonette aus dem Portugiesischen“.
Übertragen durch Rainer Maria Rilke
Ulan Press, 2012
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