Von Barbara Hoppe
Berge, Seen, klare Luft – das Salzkammergut in Österreich am nördlichen Rand der Alpen ist ein wahres Idyll. Wenn mit dem Wörtchen „Idyll“ nicht auch immer das Wort „trügerisch“ einherginge. Mit diesen Gegensätzen aber hochamüsant zu jonglieren, das gelingt der österreichischen Autorin Dominika Meindl in ihrem Debütroman „Selbe Stadt, anderer Planet“ ganz hinreißend.
Zurück in die Heimat – Hallstatt erleben
Mitten hinein ins hübsche Städtchen Hallstatt mit seinen denkmalgeschützten Häusern aus frisch getünchtem Holz, das von oben immer ein bisschen so aussieht, „als klammerte es sich an den Berg, um nicht in den See zu rutschen“ führt die Autorin ihr Lesepublikum. Hierher kehrt die Ärztin Johanna nach dem Tod des Vaters zurück. Die Wiener Wohnung liegt hinter ihr, stattdessen muss sie nun mit dem vollgerümpelten Elternhaus und der zu übernehmenden Praxis nebst eigenwillig-exzentrischer Landbevölkerung fertig werden. Mit der Rückkehr in die Heimat nähert sie sich auch wieder ihrer Zwillingsschwester Doris an. Die Tischlerin hat den „finsteren Gebrauchsteil der Stadt“ nie verlassen und die unsichtbare Linie zum „renovierten Freilichtmuseum“ nur für Ihre Ausbildung überquert. Warum, wird klar, wenn man Johanna auf ihrem Ausflug in die Stadt folgt. Unzählige Busse voll mit chinesischen Touristen durchrollen den kleinen Ort, bieten Sightseeing in Minutenlänge, perfektes Berg-Seen-Panorama für die Selfies und zum Abschluss der Tour einen Zwischenstopp in chinesischen Restaurants an den Ausfallstraßen.
Hallstatt in China
Unter den Besuchern ist auch Ren. Der Chinese wuchs in Österreich auf, arbeitet inzwischen als Tourismusberater für die chinesische Regierung und soll dafür sorgen, dass eine exakte Kopie des österreichischen Bilderbuchortes im Reich der Mitte entsteht. Was Dank seiner detaillierten Dokumentation schließlich auch geschieht und für einen Aufschrei der Empörung unter den Hallstättern sorgt. Kurz entschlossen packen die Zwillingsschwestern ihre Koffer und reisen nach China, um sich die Kopie ihrer Heimat anzusehen. Ein bisschen zu glatt, in den Details etwas verrutscht und jede Tür nur Fassade – die Hallstatt-Kopie ist ein Erlebnispark, der nur als Kulisse für exklusive Eigentumswohnungen am Rande des Areals dient. Was übrigens der Realität entspricht: Die Eröffnungszeremonie fand unter Beisein des Hallstätter Bürgermeisters 2012 statt.
Skurrile Figuren und feiner Humor
Wenngleich Dominika Meindl mit ihrem Roman den Overtourism ins Visier nimmt und kritisiert, dass malerische Orte zu übervölkerten Disneylands mit freiem Eintritt und teuren Caféhauspreisen werden, so gelingt ihr dies immer auf höchster Unterhaltungsstufe. Der Charme der Geschichte liegt vor allem in der liebevollen Zeichnung der Charaktere, in ihren Eigenheiten und Schwächen. Und diese sind, wie es das Markenzeichen guter österreichischer Literatur ist, herrlich kurios und voll schrägem Humor.
Dominika Meindl
Selbe Stadt, anderer Planet
Picus Verlag, Wien 2024
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Der Artikel erschien ebenfalls als Literarisches Reiserätsel in Das WOCHENENDE! (Frankfurter Neue Presse, Frankfurter Rundschau und FAZ Rhein Main Zeitung), 2. März 2024.
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Domenika Meindl: Satirical debut novel from the Salzkammergut region
Mountains, lakes, and fresh air: The Salzkammergut is idyllic—or deceptive? Dominika Meindl’s novel Same Town, Different Planet masterfully juggles these contrasts. The story follows Johanna, a doctor returning to picturesque Hallstatt after her father’s death. She takes over his practice, deals with a cluttered family home, eccentric locals, and reconnects with her sister Doris, who stayed in the town’s “dark functional area” as tourists overrun the “open-air museum.”
Among the visitors is Ren, a Chinese-born Austrian. As a consultant, he plans a replica of Hallstatt in China, sparking outrage. The sisters travel to see it—perfect, yet soulless.
Meindl’s novel critiques overtourism with wit and charm. Quirky characters and dark humor make the story unique. A book to ponder themes of home, culture, and change.
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