Kolumne von Susanne Falk.
Ich habe immer gedacht, dass alle so denken wie ich. Nicht inhaltlich – mir ist schon klar, dass nicht jeder Mensch dieselben Vorstellungen von dem hat, was mir vielleicht gut und richtig erscheint. Ich meine die Art und Weise, wie Menschen denken. Mir kam nie der Gedanke, dass diese im Kopf nicht so ticken wie ich. Dann traf ich auf Mathematiker und lernte: Da draußen gibt es eine Welt, von der ich keine Ahnung hatte.
Muster erkennen. Im Grunde genommen geht es mehrheitlich genau darum. Erkenne das Muster und wende dann die passende Lösung an. So funktioniert angewandte Mathematik. Leider funktioniert mein Kopf vollkommen anders. Darin ist ein Heidenchaos. Wege, die eigentlich sauber im Kreis begangen werden sollten, beginnen an einem beliebigen Punkt, nur um dann an einem vollkommen anderen, weit außerhalb des Kreises, zu enden, ohne dabei irgendwelchen Gesetzmäßigkeiten zu folgen.
Autoren fürchten sich ja stets ein bisschen vor der Frage ihrer Leserschaft, wie sie denn nun auf diese oder jene Idee gekommen seien. Denn dann steht man da und muss den Lesern verklickern, dass assoziatives Denken leider so etwas von gar nicht nachvollziehbar für Außenstehende ist und dass man es auch gleich lassen kann, einen Erklärungsversuch zu unternehmen. Weil es beim assoziativen Denken eben auch kein Richtig und kein Falsch gibt, maximal ein Unplausibel.
In der Wiener Hofburg steht die Statue von Franz I. Der wird, damaliger Bildhauermode folgend, im antiken Gewandt dargestellt. Damit sieht er aus wie Gaius Iulius Caesar. Denkt man an Caesar, ist eine Frau nie weit: Kleopatra. Ist es dazu heiß und man schwitzt beim Vorbeispazieren an der vermeintlichen Caesar-Statue sehr, dann denkt man an Rom im Sommer (obgleich man sich in Wien vor dem Denkmal eines Habsburgers befindet). Alles klar, soweit? So kommt man auf assoziativem Wege zu einer Geschichte über Kleopatras Sommer in Rom (zu finden in meinem Buch „Fast ein Idyll“). Logisch nachvollziehbar ist an der Ideenfindung zum Text nichts, zumal diese in der Realität eigentlich noch viel kruder war. Aber genau so entstehen kreative Ideen: Man sieht etwas, denkt das Falsche, spinnt den Gedanken weiter und landet im Herzen einer Erzählung.
Das ist schlicht und ergreifend das Gegenteil von Mathematik. Und wenn ich jetzt gleich erneut mit meinem großen Kind über Vektorenrechnungen brüten muss, was dauern kann, weil wir das passende Muster nicht erkennen, dann sehne ich mich zurück an die Stadt am Tiber, die im Sommer so unerträglich ist und doch ihren ganz eigenen Reiz hat, genauso wie New York im Sommer, wo soeben (irgendwo in meinem Kopf) aus einem gelben Taxi ein Mann aussteigt, einen Aktenkoffer eng an sich gepresst, weil er darin ein Geheimnis mit sich herumträgt, das den Lauf der Welt verändern kann… Und jetzt sagen Sie mir mal, wie ich das meinen Lesern erklären soll? „Ähm, also, die Idee zum Roman über den New Yorker Anwalt, der die Welt rettet, kam mir beim Lösen von Vektorenrechnungen…“
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My Books! “Associative Thinking”. Column by Susanne Falk
I have always thought that everyone thinks like I do. Not in terms of content – I’m aware that not every person has the same ideas about what may seem good and right to me. I mean the way people think. It never occurred to me that their minds don’t tick the way mine does. Then I met mathematicians and learned: There is a world out there of which I had no idea.
Recognizing patterns. Basically, that’s what it’s mostly about. Identify the pattern and then apply the appropriate solution. That’s how applied mathematics works. Unfortunately, my mind works completely differently. It’s a chaotic mess. Paths that should be cleanly circled start at any point, only to end up at a completely different point, far outside the circle, without following any laws.
Authors are always a bit afraid of their readers‘ question about how they came up with this or that idea. Because then you stand there and have to explain to readers that associative thinking is unfortunately so not understandable for outsiders and that attempting to explain it is futile. Because associative thinking also has no right or wrong, at most implausible.
In the Vienna Hofburg, there is a statue of Franz I. Following the fashion of that time, he is depicted in ancient attire. This makes him look like Gaius Julius Caesar. Thinking of Caesar, a woman is never far: Cleopatra. If it’s hot and you sweat passing by the supposed Caesar statue, then you think of Rome in the summer (although you are in Vienna in front of the monument of a Habsburg). Clear so far? This is how you associatively come up with a story about Cleopatra’s summer in Rome (found in my book „Almost an Idyll“). The idea-finding process for the text is logically incomprehensible, especially since it was actually much crazier in reality. But that’s how creative ideas are born: you see something, think the wrong thing, spin the thought further, and end up in the heart of a narrative.
This is simply the opposite of mathematics. And if I have to wrestle with vector calculations again with my eldest child, which can take a while because we don’t recognize the appropriate pattern, then I long back to the city on the Tiber, unbearable in summer yet with its own charm, just like New York in summer, where just now (somewhere in my mind) a man steps out of a yellow taxi, tightly clutching a briefcase because he carries a secret that can change the course of the world… And now tell me how I should explain that to my readers? „Um, so, the idea for the novel about the New York lawyer who saves the world came to me while solving vector calculations…“