Kolumne von Susanne Falk.
Die Briten haben ja bekanntlich nicht nur einen großartigen Humor, sie verbinden diesen auch nicht selten mit sexuellen Anspielungen aller Art. Entsprechend gibt es den besten aller Literaturpreise auch nur in Großbritannien: den „Bad Sex in Fiction Award“!
Es ist vielleicht der einzige Preis, bei dem der Autor bzw. die Autorin sich weniger über die Auszeichnung freut als das Publikum. Vergeben wird er jährlich von der Literary Review und ausgezeichnet wird die schlechteste Sexszene des literarischen Jahres. Nur um das klar zu stellen: Unter den Preisträgern und Preisträgerinnen (ja, auch die gibt es, wenn auch deutlich in der Unterzahl) sind so große Namen wie Tom Wolfe, Norman Mailer oder John Updike. Im Normalfall holt man sich den Preis persönlich ab, es gibt eine Zeremonie, bei der u.a. die entsprechenden Szenen vorgelesen werden. Man braucht hier als Autorin bzw. Autor Humor, wenn man zur Preisverleihung anreist – und eventuell das ein oder andere Glas Bier, an dem man sich festhalten kann.
Dass dieser Preis nur für englischsprachige Literatur existiert, ist ein Jammer! Wie viele deutschsprachige Autorinnen und Autoren hätten ihn verdient! Und ich rede hier nicht von den Supermarktbüchern, deren Cover recht eindeutig darauf schließen lassen, dass der Roman um die entsprechenden Sexszenen herumgebaut wurde. Nein, es geht um die so genannte E-Literatur. Von Lutz Seilers Roman „Kruso“ bis zu Martin Walsers Spätwerk: Literaturkritiker im deutschsprachigen Raum nennen da immer wieder mal Beispiele, die eine solche Auszeichnung verdienen würden. Wobei ich die Frauen nicht unbedingt ausnehmen würde, wie das männliche Kritiker aus falscher Rücksichtnahme durchaus tun. Meine Freude über von deutschsprachigen Autorinnen verfasste sexuelle Gewaltszenen, die von vorneherein besonders abstoßend wirken sollen, ist enden wollend. Oder ergeben die Frage: Wieso ist das eine Kunst und das andere Sebastian Fitzek? Wobei der, zugegeben, nicht zur E-Literatur zählt.
Gemüsesex, Tiersex, Gegenstände aller Art: Kommt so etwas sprachlich zum Einsatz, kann man sich in der Regel auf etwas gefasst machen, was die Grenzen des guten Geschmacks überschreitet. Denn: Gute Sexszenen zu schreiben ist in der Tat nicht leicht. Deshalb versuchen es viele Autorinnen und Autoren erst gar nicht. Da heißt es dann schlicht: „Wir schliefen miteinander. Am nächsten Morgen…“ Kein Wunder, dass Leserinnen und Leser hier auf die Trivialliteratur zurückgreifen, wenn sie mal etwas Expliziteres lesen möchten, ohne gleich im Pornofach zu landen.
Und genau da liegt das Problem: Weil es so wenig gute Sexszenen in der gehobenen Literatur gibt, greifen Autorinnen und Autoren hier mangels Vorbilder nicht selten auf Triviales zurück. Da sind „Glieder“ dann „steif“, sie haucht ihm irgendeinen Blödsinn ins Ohr und am Ende explodiert immer irgendetwas, wahlweise in Kopf oder Körper. Kurz gesagt, das geht besser.
Eine gute Sexszene schreibt sich nicht anders, als jede andere gute Szene in einem Buch. Es braucht hier dieselben Zutaten: Empathie für die eigenen Figuren, eine klare Sprache (d.h. wir lassen mal alle Penisvergleiche mit Gemüsesorten jedweder Art beiseite) und den Willen, die Szene nicht ironisch zu brechen, sondern die Lustfähigkeit seiner Figuren ernst zu nehmen. Wobei Humor in Sexszenen keinen Widerspruch darstellt, er sollte nur nicht die Figur der Lächerlichkeit Preis geben. Ein Beispiel: Wenn wir die Trauer unseres Helden bei der Beerdigung seiner Mutter ernst nehmen, dann können wir das auch bei der anschließenden Sexszene mit der verheirateten Kusine im Hinterzimmer des Gasthauses, wo der Leichenschmaus stattfindet. Wir überführen die Ernsthaftigkeit des Moments der Trauer einfach auf den Sex. Der wiederum muss weder grotesk, noch albern, noch pervers sein, sondern schlicht zur Figur passen. Wer das nicht hinbekommt, nun, der bediene sich gerne weiter im Gruselkabinett abgedroschener Phrasen und Anspielungen. Am Ende führt das dann ja vielleicht zu einer Auszeichnung…
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