Kolumne von Susanne Falk.
Schlage ich ein Buch auf, finde ich darin eine neue Welt – und zuweilen auch alte Lottoscheine, Ansichtskarten oder vergilbte Blütenblätter. In einem Buch steckt also oft mehr als nur eine Geschichte.
Ein Buch aus der Bücherei auszuleihen ist immer ein kleines Abenteuer. Es sagt einem ja nicht selten, wer es vorher in den Fingern hatte. „Milch, Brot, Kleber, Äpfel, Zahnspange!!!“, stand mal auf einem Zettel, den jemand in einem Liebesroman hinterlassen hatte. Ich vermute eine sorgenvolle Mutter mit Teenager dahinter, die das Kind zum Einkaufen und Abholen der Zahnspange geschickt hat. Der Text dieser Postkarte gab da schon mehr Rätsel auf: „Lieber Helmuth, der Gardasee ist traumhaft schön. A. hat gestern einen kleinen Unfall gehabt, aber es geht schon wieder. Grüße Hilde von uns, Deine Spatzens.“ Was mag A. wohl passiert sein? Wer sind Hilde und Helmuth und warum schickt Herr Spatz eine Karte vom Gardasee, wenn die Briefmarke eindeutig Österreich besagt? Zu spät abgeschickt? Keine Briefmarken mehr gehabt? Ist A. womöglich gar nicht einfach verunfallt, sondern Herr Spatz hat sie die Treppe heruntergeschubst und diese Karte sollte nun sein Alibi untermauern? Und warum finde ich eine Karte aus den 1990ern in einem Buch, dass ich 2023 ausleihe???
Der Lottoschein, der mir neulich aus meinem eigenen Buch entgegen flatterte, brachte leider nur einen Gewinn von 1,10 Euro. Na ja, immerhin! Aber wieso hatte ich den als Lesezeichen benutzt? Und die vielen schönen Ginkoblätter, die sauber gepresst und getrocknet in einem alten Wörterbuch lagen, hat wohl schon jemand eine Generation zuvor dort hineingelegt und vergessen. Der Baum steht noch, das weiß ich, seine Blätter könnten ihn aber überdauern. Und diese Zeichnung meines großen Kindes ist schon ganz verblasst, lässt aber deutlich erkennen, dass es da in einer Dinosaurierphase steckte, als es das Blatt Papier mit grünem Buntstift bearbeitet hat.
Manchmal sind solche vergessenen Erinnerungsgegenstände wertvoller, als das Buch selbst und in einer Bibliothek kann ein ganzes Leben enthalten sein, voller Erinnerungen an Urlaube, frühere und spätere Generationen sowie an die Familie Spatz, von der wir hoffen, dass auch A. heil und gesund aus dem Gardaseeurlaub zurückgekehrt sein möge…
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My books: „Lost and Found“
When I open a book, I find a new world inside – and sometimes also old lottery tickets, postcards or yellowed petals. So there is often more to a book than just a story.
Borrowing a book from the library is always a little adventure. It often tells you who had it in their fingers before. „Milk, bread, glue, apples, braces!!!“, was once written on a note someone had left in a romance novel. I suspect a worried mother with a teenager behind it, who sent the child to shop and pick up the braces. The text of this postcard was more mysterious: „Dear Helmuth, Lake Garda is beautiful. A. had a little accident yesterday, but he’s all right now. Give Hilde our best regards, your Spatzens.“ What might have happened to A.? Who are Hilde and Helmuth and why is Mr. Spatz sending a card from Lake Garda when the stamp clearly says Austria? Sent too late? No stamps left? Is it possible that A. didn’t just have an accident, but that Mr. Spatz pushed her down the stairs and this card was supposed to support his alibi? And why do I find a map from the 1990s in a book I’m borrowing in 2023???
The lottery ticket that fluttered towards me from my own book the other day unfortunately only brought a profit of 1.10 euros. Well, all the same! But why had I used it as a bookmark? And the many beautiful ginkgo leaves that lay neatly pressed and dried in an old dictionary had probably been put there by someone a generation before and forgotten. The tree is still standing, I know that, but its leaves might outlive it. And this drawing by my big child is already quite faded, but it clearly shows that he was in a dinosaur phase when he worked on the sheet of paper with a green crayon.
Sometimes such forgotten mementos are more valuable than the book itself, and a library can contain a whole life, full of memories of holidays, earlier and later generations, as well as of the Spatz family, of which we hope that A. will also have returned safe and sound from his holiday on Lake Garda…
Ein wunderbarer Beitrag, Susanne Falk. Mein Tipp: Die kuriosen Fundstücke sammeln und irgendwann damit eine Ausstellung bestücken. Ich komme gerne.