Kolumne von Susanne Falk.
Ist Literatur per se immer politisch? Und gibt es so etwas wie unabhängige Jurys überhaupt? Die Literaturwelt Deutschlands ist sich da gerade ziemlich uneinig. Ich mir auch. Und führe seit Tagen ein Streitgespräch mit mir selber, das durchaus noch andauert.
Zugegeben, meine erste Reaktion war ein laut und deutlich zu vernehmendes „Endlich!“, als ich den ZEIT-Artikel „Die Jury“ von Juliane Liebert und Ronya Othmann las. Darin warfen die zwei Autorinnen der Jury des HKW-Literaturpreises, der sie selbst angehörten, vor, die Shortlist zum letztjährigen Preis mehrheitlich aus politischen Gründen und nicht aufgrund von literarischen Kriterien zusammengestellt zu haben. Endlich, so war meine erste Reaktion, spricht es jemand offen aus: In den letzten Jahren vergeben Jurys Preise mitnichten aufgrund von literarischer Qualität, sondern weil sie gesellschaftspolitischen Strömungen Rechnung tragen wollen. Kurz und böse gesagt: Wer migrantisch, queer und darüber hinaus womöglich noch behindert ist, bekommt aktuell gerne Preise zugeschanzt, wurscht in welcher Kunstrichtung. Aber ist das wirklich so? Und, noch viel wichtiger, wäre das eigentlich so schlimm?
In dem Gedankengang stecken so viele Ressentiments, Rassismen und postkoloniales Denken drin, dass mir beim Entwirren schwindelig wird und ich mich im Spiegel nicht mehr sehen kann. Darüber hinaus, schimpft mich mein Gewissen, habe ich als mittelschichtige Mitteleuropäerin eigentlich gar kein Mitspracherecht, wenn es um Diskussionen wie diese geht. „Ja, aber!“, schreit die innere Gegenseite und leckt sich ihre Wunden, die die vielen Preise und Stipendien geschlagen haben, die ich selbst nie bekam, eben weil man andere Autorinnen oder Autoren mir vorgezogen hatte, durchaus nicht immer aus Gründen der Qualität. Mein Schädel brummt vor gekränktem Ego und vom versuchten Durchstoßen der Gläsernen Decke, durch die ich doch noch gar nicht hindurch war.
„Ja, aber!“ ist allerdings kein gutes Argument und mit dem Finger auf Kolleginnen und Kollegen zu zeigen, weil die, ob vermeintlich oder tatsächlich, aufgrund ihrer Biografie für etwas ausgezeichnet werden, ist unfair.
„Na schön, bin ich eben unfair“, brummle ich vor mich hin. „Schuld sind ja auch nicht die anderen Autorinnen oder Autoren, sondern die Jurys. Die Autorenschaft tut mir eh leid. Niemand will einen Preis nur wegen seines Geschlechts oder seiner Hautfarbe bekommen, sondern weil sie oder er eben gut ist.“ Dafür watsche ich mich im Geiste dann gleich mal selbst ab, weil daran auch wieder so Einiges falsch ist, etwa die Tatsache, dass die anderen Autorinnen und Autoren kein Mitleid, sondern faire Vergaberichtlinien brauchen und verdienen. Und weil ich Frauenquoten in der Wissenschaft durchaus immer befürwortet habe und diese Quoten in der Kunstförderung jetzt nicht mehr zulassen möchte, weil ich hier plötzlich ganz persönlich das Nachsehen haben könnte, eben weil „nur Frau“ und sonst nichts Besonderes…
Was mich zu der Frage bringt: Ist es denn so schlimm, Literaturpreise politisch zu vergeben? Haben denn all die queeren, migrantischen Autorinnen und Autoren nicht auch mal eine Chance verdient, weil sie es eben über Jahrzehnte hinweg wirklich schwer hatten?! „Ja, schon“, mault es in mir, „aber irgendwann müssen die doch alle mal ausgezeichnet worden sein und dann dürfen vielleicht auch wir anderen wieder drankommen…“ Dafür trete ich mir innerlich gegens Schienbein. Nützt aber nichts, denn Neid hat mit Gerechtigkeit nichts zu tun.
Es geht hier nämlich gar nicht darum, ob Jurys woke oder nicht woke Entscheidungen treffen dürfen, sondern bloß um reinen Neid und darum, wer welches Stück vom Kuchen abbekommt. Vielleicht wäre „Gönnen Können“ da das Gebot der Stunde. Ich orte hier Nachholbedarf bei meiner mauligen Persönlichkeitshälfte und gelobe Besserung.
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My Books! “Priceworthy, Part 2”. Column by Susanne Falk.
Is literature inherently always political? And do truly independent juries even exist? The literary world in Germany is quite divided on this issue right now. So am I. I’ve been having an ongoing argument with myself for days.
Admittedly, my first reaction was a loud and clearly audible „Finally!“ when I read the ZEIT article (https://www.zeit.de/2024/22/literaturpreis-jury-abstimmung-insider-macht-weltanschauung) „The Jury“ by Juliane Liebert and Ronya Othmann. In it, the two authors, who themselves were part of the HKW Literature Prize jury, accused the jury of compiling last year’s shortlist mostly for political reasons rather than literary criteria. My first reaction was: Finally, someone is saying it out loud. In recent years, juries have been awarding prizes not based on literary quality but to align with socio-political trends. Put bluntly and cynically: anyone who is migrant, queer, and possibly also disabled is currently favored for awards, regardless of the artistic field. But is that really the case? And more importantly, would it be so bad if it were?
This thought is riddled with so many prejudices, racisms, and post-colonial thinking that I get dizzy trying to untangle it and can’t face myself in the mirror. Moreover, my conscience scolds me, as a middle-class Central European woman, I really have no right to participate in such discussions. „Yes, but!“ screams the inner opposition, licking its wounds from the many awards and scholarships I never received because others were preferred over me, not always for reasons of quality. My head aches from a bruised ego and from trying to break through a glass ceiling I haven’t even fully encountered yet.
„Yes, but!“ is not a good argument, and pointing fingers at colleagues who, whether seemingly or actually, are awarded for their biography is unfair. „Fine, I’m being unfair,“ I grumble to myself. „But it’s not the fault of the other authors; it’s the juries. I actually feel sorry for the authors. No one wants to receive an award just because of their gender or skin color; they want it because they are good.“ I mentally slap myself again because there’s a lot wrong with that statement too, like the fact that these other authors don’t need pity but deserve fair awarding criteria. And because I’ve always supported gender quotas in science but now resist them in art funding, because personally, I might miss out, simply because I’m „just a woman“ and nothing special…
Which brings me to the question: Is it really so bad to award literature prizes politically? Don’t queer, migrant authors also deserve a chance because they’ve had a tough time for decades? „Yes, sure,“ I grumble internally, „but eventually, they all must have been awarded, and then maybe we others can get a chance again…“ I mentally kick myself in the shin. It doesn’t help because envy has nothing to do with justice.
It’s not about whether juries make woke decisions; it’s purely about envy and who gets a piece of the pie. Perhaps the order of the day should be „the ability to appreciate others‘ success.“ I see a need for improvement in my grumbling side and pledge to do better.
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