Kolumne von Susanne Falk.
Mir ist das unangenehm. Ich kann da nicht mithalten und mein ganzes Studium, mein ganzes Autorendasein ist in diesem Moment quasi für den Hugo. Wenn die Intellektuellen anfangen, mit Kanonen zu schießen, zieh ich mich ins Spatzennest zurück. Denn: Ich hab das alles nicht gelesen.
Fünfmal bin ich an den „Buddenbrooks“ gescheitert. Fünfmal! Ich bin Germanistin und komme auch noch aus Schleswig-Holstein. Verdammt, dieses Buch müsste mir doch etwas sagen! Tut es aber nicht. Dabei mag ich Thomas Mann – nur eben nicht die „Buddenbrooks“. Ich kann nur vermuten, dass ich damit nicht alleine stehe, denn so ziemlich jede bzw. jeder hat sein ganz persönliches Buch des Scheiterns im Schrank stehen. Nur gibt man das bei Weltliteratur ja nicht so gerne zu. Sonst heißt es wieder: „Waaas? Das hast du nicht gelesen? Susanne, wie kannst du nur!“
Es sind ja nicht nur die ollen Buddenbrooks, es sind ja in Wahrheit noch viel mehr Bücher, mit denen ich nichts anfangen kann. Ich bin z.B. kein großer Fan überbordener Familienromane. Ich hab selbst eine riesige Familie. Wenn ich mit denen am Wochenende telefoniere, so reihum, dann hab ich schon mindestens einen Roman in der Länge eines mitteldicken Jonathan Franzen intus. Wozu also noch „Die Korrekturen“ lesen? Auch so ein Buch, an dem ich mehrfach gescheitert bin, es aber noch nicht ganz aufgegeben habe. Für manche Bücher braucht es erst das richtige Alter und die richtige Lebensphase. Vielleicht kommt die Zeit für Franzen und mich noch… vielleicht aber auch nicht.
Stattdessen hab ich in meinem Leben eine ganze Menge ziemlich mieser Bücher gelesen, die es garantiert auf keine Kanonliste schaffen. Vertane Zeit? Möglich. Spaß hatte ich trotzdem. Aber Lebenszeit ist nun einmal begrenzt und in der Zeit, in der sich andere durch die Großen der russischen Literatur durcharbeiteten, war ich wohl mit etwas anderem beschäftigt und man kann später nur bedingt nachholen bzw. nachlesen, was einem an Grundwissen fehlt.
Statt mich jetzt aber ständig für all das zu schämen, was ich nicht gelesen habe, bin ich dazu übergegangen, mich über alles zu freuen, was mir Neues aus der Kategorie „Das müsstest du aber eigentlich kennen!“ unterkommt. Da waren mir noch unbekannte Werke von Sándor Márai dabei, den ich wahnsinnig liebe, und auch mal ein sperriger Klassiker wie „Beowulf“. Muss man jetzt nicht unbedingt gelesen haben, hilft aber gegen all diejenigen anzustänkern, die meinen, mit „Herr der Ringe“ den Gipfel der Literatur erklommen zu haben. (Hab ich auch nie freiwillig gelesen und erst jetzt, als Vorleserin meiner Kinder, wirklich kennen gelernt.) Kein Tolkien ohne Beowulf! Den haben Sie auch nie gelesen? Machen Sie sich nichts draus. Wobei, wenn Sie Beowulf nicht kennen, können Sie unmöglich Tolkien richtig erfassen! Und ohne Tolkien ist J. K. Rowling ja quasi aufgeschmissen! Die hat da ja so ziemlich die Hälfte ihrer Ideen her… Harry Potter ohne Tolkien ohne Beowulf? Unmöglich!
Ich kann also auch klugscheißen! Oder einfach nur so tun, als ob. Nicht dass das von Belang wäre… Literatur ist nämlich auch mal einfach nur zum genießen da und wenn Sie den einen oder anderen Klassiker der Literaturgeschichte ungenießbar finden, nun, dann sei’s drum. Schnappen Sie sich stattdessen Sándor Márais „Die Nacht vor der Scheidung“, legen sich aufs Sofa und tauchen Sie ab. Waaas? Sie kennen „Die Nacht vor der Scheidung“ nicht? Da kann ich nur sagen: Herzlichen Glückwunsch! Sie haben eines der großartigsten Lektüreerlebnisse Ihres Lebens noch vor sich! Genießen Sie es!
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