Kolumne von Susanne Falk.
Ich fürchte, das wird wehtun. Aber da müssen Sie jetzt durch. Also, bitte ganz tapfer sein! Stellen Sie sich vor, wie jemand mit einem Fingernagel auf einer Tafel kratzt. Schon allein der Gedanke daran ist grauenvoll, nicht? Der Ton, die Vorstellung davon, es wäre der eigene Nagel, der womöglich bei dieser Tortur umknickt oder bricht… Mir stellen sich jetzt schon alle Nackenhaare auf. Und genau so ist es mir ergangen, als ich die Meldung las, jemand habe Paolina Bonaparte zwei Zehen abgebrochen.
Der unbedarfte Tourist, der für ein Selfie mit der hübschen Schwester Napoleons das Gipsmodell der berühmten Canova-Statue beschädigte, deren Marmorausführung als Venus Victrix ich ein gutes Dutzend mal in Roms Villa Borghese bewundert habe, hatte sich wohl wenig bis gar nichts dabei gedacht. Er posierte einfach mit der schönen Nackten in einem Museum in Possagno und setzte sich unabsichtlich auf ihre zarten Füße, woraufhin ihr zwei Zehen wegbrachen. Ob und wie das ganze zu reparieren sein wird, bleibt abzuwarten. Eine Katastrophe ist es allemal. Die Figur ist quasi ein Nationalheiligtum. Stellen Sie sich nur vor, was passieren würde, wenn ein Tourist in Weimar plötzlich den Lorbeerkranz vom Goethe-Schiller-Standbild abbrechen würde…
Das Schlimme ist, dass mir solche Vorfälle, die leider immer wieder vorkommen, physisch wehtun. Das ist eindeutig meiner Déformation professionnelle zuzuordnen. Einmal Museumsaufsicht – immer Museumsaufsicht. Zerstört irgendjemand irgendwo auf der Welt ein Kunstwerk, könnte man mir genauso gut ein Messer ins Herz rammen. Ich leide da ganz furchtbar mit. (Das tue ich allerdings auch bei Bildern von gequälten Menschen und Tieren. Ich bin da wohl außerordentlich sensibel und schaue mir prinzipiell weder Krimis noch Horrorfilme an… Mir reichen schon die normalen Nachrichten.)
Nun hat sich der Mensch beim Museum entschuldigt, ein Strafverfahren steht möglicherweise im Raum, eventuell wird es auch ein Versicherungsfall. Was es nicht ändert, ist die Tatsache, dass Menschen für ein schlechtes Foto mit sich und einem Gegenstand, wahlweise einer schönen Aussicht, oft unglaublich blöde und gefährliche Dinge tun. Sie stürzen beim Selfiemachen von Klippen, vor Züge oder zerstören eben die Füße von Napoleons Schwester. Zwar erreicht man so eine gewisse Unsterblichkeit (eben weil man der Idiot war, der dies und das getan hat), aber wohl nicht im Sinne des Erfinders.
Ein Vorschlag zur Güte (und um meine Nerven sowie die meiner Amtskollegen in den Räumlichkeiten aller Museen weltweit zu schonen): Wir machen einfach nur wieder Fotos von den Gegenständen, die wir schön finden und wir selbst müssen dabei nicht aufs Bild. Besser noch: Wir kehren zu dem zurück, was schon unsere Großeltern taten, nämlich Postkarten der Kunstgegenstände käuflich erwerben, die wir fotografieren wollen. Die können wir dann immer noch ablichten und auf Instagram stellen.
Ha! Hiermit rufe ich, zum Schutze aller Kunstgegenstände dieser Welt (und zum Schutz japanischer Touristen auf alpinen Klippen) die Postcard-Challenge aus! Finde die perfekte Postkarte und fotografiere diese ab, dann stelle das Bild ins Netz. Zum Beweis kann man sich ja mitsamt der Karte fotografieren. Dann sind alle zufrieden und niemand verliert mehr ein oder zwei Zehen.
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