Kolumne von Susanne Falk
In seiner Sendung „Last Week Tonight“ vom 4. Oktober 2020 fand John Oliver die Zeit, auf ein Problem hinzuweisen, das ihm, neben einer weltweiten Pandemie mit vielen Toten, einem erkrankten US-Präsidenten und einer bevorstehenden US-Wahl, so wichtig erschien, dass er dafür einige Minuten Sendezeit einräumte: Die fatale wirtschaftliche Situation, in der sich die amerikanischen Museen dank der Coronakrise derzeit befinden.
Zwangsschließungen, Besucherschwund und dadurch stark reduzierte Einnahmen setzen den US-amerikanischen Museen so zu, dass über kurz oder lang ein Drittel aller landesweiten Einrichtungen schließen wird. Es fehlt an staatlichen Förderungen und privaten Geldgebern. Der einzige Ausweg, zu retten was zu retten ist, scheint im Verscherbeln des Tafelsilbers zu liegen. Nicht wenige Museen haben damit begonnen, Werke auf dem Kunstmarkt zu veräußern. Das bedeutet nicht weniger als eine Katastrophe für den gesamten öffentlichen Kultursektor, denn, einmal auf den Markt geworfen, verschwindet dieses kulturelle Allgemeingut in Oligarchenvillen oder Banktresoren, womöglich für eine sehr, sehr lange Zeit. Das gefährdet das ohnehin fragile gesellschaftliche Gleichgewicht auf eine dramatischere Weise als mancher wahrhaben will.
Museen bedeuten eine Demokratisierung der Kunst. Was früher dem (europäischen) Adel bzw. Geldadel oder der Kirche vorbehalten war, konnte seit der Einrichtung öffentlicher Sammlungen dem gesamten Volk zugänglich gemacht werden. Kunst bedeutet Kunst für jedermann. Sehen sich öffentliche Einrichtungen jetzt gezwungen, ihre besten Stücke zu veräußern, um wenigstens die Institution als solche zu erhalten, sagt das alles über den Stellenwert der Kunst in der öffentlichen Debatte aus und über den Stellenwert, den wir der Bildung ärmerer Bevölkerungsschichten einräumen.
Sicher, Europa ist anders. Es gibt staatliche Förderungen und Kulturgüter, einmal in die staatlichen Sammlungen aufgenommen, dürfen nicht so einfach auf dem privaten Markt zu Geld gemacht werden. Das ist richtig und sinnvoll. Anders sieht es bei Privatsammlungen aus. Auch hier gibt es Statuten und Vorgaben, doch gänzlich auszuschließen ist es nicht, wenn unter dem aktuellen finanziellen Druck Vorstände nachgeben und damit beginnen, über die Erschließung neuer Finanzquellen nachzudenken. Das ist legitim, aber gefährlich. Es zementiert auf eine stille Weise die Unterschiede zwischen denen, die sich im Vorbeigehen einen Pollock für ihre Privatsammlung zulegen und denen, die sich vielleicht kaum noch eine Eintrittskarte leisten können für das Museum, in dem dieser Pollock dann nicht mehr hängen wird.
Darauf zu hoffen, dass die Superreichen dieser Welt Kunstwerke erwerben, um sie dann als Dauerleihgaben an Ort und Stelle zu belassen, ist reichlich blauäugig. Die Mehrheit sollte nicht auf den Goodwill einer Minderheit angewiesen sein, die von der Lebensrealität der Mehrheit nicht die leiseste Ahnung hat.
Wer hier tatsächlich einschreiten müsste wäre der (amerikanische) Staat. Der ist aber gerade anderweitig beschäftigt und lässt die Hilferufe seiner Kunstbetriebe ungehört verhallen. Dabei hat der Ausverkauf gerade erst begonnen. Die Folgen der Coronakrise im Kunstsektor sind also unabsehbar, dürften aber verheerend werden. Und Europa schaut zu.
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