Così fan tutte unter der Leitung von Kapellmeisterin Joana Mallwitz geht ins zweite Jahr. Im vollbesetzten Großen Festspielhaus hat Bariton Michael Nagy seinen großen Auftritt als Don Alfonso. Wie im wirklichen Leben fliegen aber auch hier die meisten Herzen der Kammerzofe zu. Von Stephan Reimertz.
Die Geschichte von dem Mann, der seinen besten Freund bittet, seine Geliebte zu verführen, um deren Treue zu testen, ist sehr alt. Ihre härteste Version erfährt sie in der Novelle El curioso impertinente, welche Cervantes in den Don Quixote einrückte. Damit verglichen ist Così fan tutte ein Schäferspiel. Allein, wie lange werden wir diese subtile und reife Frucht aus der Zeit des Ancien Régime noch genießen dürfen, bevor die graue Winterzeit eines neuen Puritanismus unsere Kultur vollends abwürgt? Vielleicht wird Mozart überhaupt verboten. Wird man als patriarchalisch und frauenfeindlich abqualifizieren, was in Wirklichkeit menschenskeptisch, welterkennend, menschenfreundlich ist? Die gekappte Covid-Così vom letzten Jahr verkörpert in ihrer szenischen Puritanisierung schon einmal den halben Weg von einer duftigen, vollblütigen Inszenierung dieser schönen Blüte von 1789 zu einer sterilen, schulmäßigen Herrichtung dieser erotischen Oper, deren Erotik dann auf der Strecke bleibt.
Inszeniert oder nicht inszeniert – das ist hier die Frage
Die Inszenierung vor weißer Wand mit zwei Flügeltüren (Bühnenbild: Johannes Leiacker) in den Alltagskostümen (Barbara Drosihn) auf der viel zu breiten Bühne des Großen Festspielhaues ödete einen schon im vergangenen Jahr an; wäre da nicht die perfekte Personenregie von Christof Loy. Der Regisseur schafft es, für jeden Moment die optimale Konstellation auf die Bühne zu stellen, die Handlung wird so ebenso deutlich wie die subtilen Veränderungen in den Beziehungen der sechs Protagonisten. Was der Aufführung an kultureller und sozialer Atmosphäre fehlt, wiegt sie durch psychologischen Genauigkeit auf. Allein, das ganze bietet doch etwas wenig fürs Auge. Meine kultivierte französische Sitznachbarin fragte ich nach der Aufführung, wie ihr die Inszenierung gefallen habe. »Welche Inszenierung?«
Auf Teufel komm raus modernisiert
Es stellt sich als arge Tour de Force heraus, Pontes und Mozarts dramma giocosa in das Prokrustesbett des modernen Musiktheaters zu zwängen und ihm die überstehenden Extremitäten abzuzwacken. Achtzigerjahre-Purifikation, weiße Wände, ein Hauch von Ikea, ein Hauch von hygge; schlimm genug, wenn man dergleichen im realen Leben sieht. Will der Regisseur es kritisieren? Das wird nicht ganz klar. Offenbar ist, er hat keine Vorstellungen, keine Bilder für ein erotisches Drama des Ancien Régime und will es dennoch vergegenwärtigen. Aber dies tut der Zuschauer sowieso. Ein Mangel an Kultur, an Bildung, an Phantasie, Delikatesse, ästhetischem Empfingen und Vorstellungskraft enthüllt sich hier.
Ein Nicolaus Sombart seiner Zeit
Auch durch Verzicht auf die Pause und durch Kürzungen wird das Stück einem modernen Einakter angeglichen, erweist sich indes mit seinen zweieinhalb Stunden dann doch als zu lang. Brillant wie die Personenregie sind indes auch die Darsteller selbst: Elsa Dreisig (Fiordiligi) und Marianne Crebassa (Dorabella) als betrogene Betrügerinnen, André Schuen als männlich-kräftiger Guglielmo und Bogdan Volkov als interessanter Ferrando, das ist ein Glücks-Kleeblatt. Wir besuchten die Vorstellung am 9. August, in welcher der Bariton Michael Nagy für Johannes Martin Kränzle einsprang, der seit vierzehn Tagen an einem Infekt laborierte. Nagy gab stimmlich und darstellerisch einen erfahrungsgesättigten Don Alfonso, eine Art Nicolas Sombart des achtzehnten Jahrhunderts, dem man den Strippenzieher dieses erotischen Tauschexperimentes voll und ganz abnimmt.
Mitreißende Kapellmeisterin
Doch wie schon im letzten Jahr heimste Lea Dessandre als Despina die größte Begeisterung des Publikums ein. In der Rolle der komödiantischen Zofe, die nach Belieben auch als Arzt oder Advokat kostümiert auftritt, erwies sie sich erneut als großartige Sängerin und gewitzte Komödiantin in einer Person. Diese auf Molière und die Commedia dell ‘Arte zurückgehende Rolle ist freilich auch die dankbarste in dieser genial konstruierten und komponierten Komödie. Joana Mallwitz festigte ihren Ruf als eine bis ins letzte Detail perfekte Mozart-Dirigentin, die mit ihrem Enthusiasmus nicht nur die Wiener Philharmoniker und den Wiener Staatsopernchor, sondern vor allem auch Solisten und Zuschauer mitreißen konnte.
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