Rezension von Ingobert Waltenberger.
Das 2002 gegründete britische Vokalensemble Exaudi ist auf vokale Kammermusik der späten Renaissance und zeitgenössischer Komponisten spezialisiert. Frei nach dem Motto: je wilder, desto besser. Die neue CD haben sie meisterlichen Werken des mythenumrankten Carlo Gesualdo, Prinz von Venosa, gewidmet. Mit 24 Jahren hat er aus Eifersucht kurzerhand seine Ehefrau umgebracht.
Das schwierige Innenleben des exzentrischen, wahrscheinlich von einer bipolaren Störung (wie dies Glenn Watkins in einer Hypothese diagnostiziert zu haben glaubt) heimgesuchten Künstlers spiegelt sich auch in der Musik wider. Laut Dirigenten James Week finden wir diese Polaritäten von Stimmung, Struktur, harmonischem Stil in Gesualdos Schreibweise, auch wenn von keiner „inkohärenten, verrückten“ Musik gesprochen werden kann. „Sie bleibt trotz ihres nicht normativen Charakters klar, kommunikativ, kunstvoll und technisch virtuos. Die Emotionen oszillieren zwischen Extremen, manischer Freude und trauriger Demütigung. Das Gleichgewicht wird gesucht, aber nie gefunden, die Vollendung wird ständig ersehnt, bleibt aber flüchtig, wenn auch nicht völlig illusorisch.“
Die auf der CD versammelten Madrigale des Fünften und Sechsten Buchs wurden während der Zeit des Aufenthalts Gesualdos am Hof von Ferrara zwischen 1594 und 1597 geschrieben, aber erst 1611 am Ende seines Lebens veröffentlicht. Mikrotonalität und Chromatik sind die musikalischen Wesensmerkmale des aristokratischen Avantgardisten Gesualdo.
Das Exaudi Vokalensemble, bestehend aus den Vokalartisten Juliet Fraser (Sopran), Lucy Goddard (Mezzo), Tom Williams (Countertenor), Stephen Jeffes, David de Winter (Tenor) und Jimmy Holiday (Bass) singt die 18 Stücke a cappella in jeder Hinsicht fabulös. Allesamt gestandene Persönlichkeiten in Stimmfarbe und Ausdruck, gehen sie in der Artikulation (Konsonanten r und t) als auch in der plastischen Expressivität des Vortrags bis an die Grenzen des Möglichen, ohne die bisweilen dämonisch brennende Musik karikatural zu denunzieren.
Wie selbstverständlich präsentiert dieses von Intonation und Phrasierung her makellose Ensemble die kühnsten Harmonien und die verschachteltsten Rhythmen, dies alles bei höchster Textverständlichkeit und effektvoller theatralischer, manchmal auch opernhafter Attitüde. Das Ensemble gibt zu Protokoll, von der dunklen Flamme der seltsam obsessiven Musik angezogen zu sein wie die Motten von der Kerze. Diese Einstellung überträgt sich auch auf den Hörer, der dieser radikalen Musik in dieser gefühlsintensiven und dennoch intellektuell scharfen Wiedergabe fasziniert lauscht.
Ein grandioses Album rundum, höchste Empfehlung!
EXAUDI Vocal Ensemble
Gesualod – Madrigali
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