Rezension von Ingobert Waltenberger.
Was für ein vielfältiger Komponist und exzellenter Dirigent der Engländer Thomas Adès doch ist. Aber nicht nur das. Er ist auch wie viele andere Tonsetzer vor ihm ein sehr guter Pianist, weshalb seine Werke für dieses Instrument einen zentralen Stellenwert in seinem Schaffen einnehmen. Die unsere Zeit reflektierenden Tongemälde dieses geschickten Oscar Wilde des 21. Jahrhunderts mit der romantischen Künstlerattitüde eines Franz Liszt werden – noblesse oblige – nur an den hehrsten Aufführungsorten wie New York, London, Paris oder Salzburg aus der Taufe gehoben.
Auf der CD, die ihren Namen dem 2008 entstandenen „In Seven Days“ für Klavier und Orchester verdankt, sind neben drei Mazurkas als Weltersteinspielungen die Konzertparaphrase über „Powder Her Face“ für zwei Klaviere und die „Berceuse“ aus der Oper „The Exterminating Angel“ für Klavier zu hören.
Ein extravaganter Stravinsky, mal Britten mit einer selten gewordenen melodischen Erfindungsgabe ist da am Werk, der Neoklassisches mit einer eigens konstruierten Avantgarde-Duftnote, komplexe Strukturen mit musikhistorisch organisch gewachsenen Klangvisionen, pianistische Bravour mit Verständnis für das Instrumentierungshandwerk verbindet. Er beherrscht Tragödie genauso gut wie Komödiantisches, liebt gleichermaßen Vokales wie Instrumentales , findet sich in der großen Form gleichermaßen souverän zurecht wie er intime Solostück und Kammermusik aller Art mit feiner Feder entwirft.
Besonders glücklich ist – wie dieses Album das so spektakulär ausweist – die künstlerische Partnerschaft mit dem russischen Pianisten Kirill Gerstein. Es war das Jahr 2012, als Gerstein begann, Adès aktiv zu neuen Werke für Klavier solo anzuregen und kreativ mit zu begleiten, wie dies etwa die „Berceuse“ bezeugt. „In Seven Days“, markiert überhaupt die erste Zusammenarbeit zwischen Thomas Adès und Kirill Gerstein.
Gerstein beschreibt diese Zwillingsschaft so: „Wir wachsen in Beethovens, Bachs und Rachmaninows Welt auf, und ihre Sprachen werden Teil unserer musikalischen DNA, sie formen unsere Hände und neurologischen Verknüpfungen. Es war faszinierend, dies mit einem glücklicherweise noch lebenden Komponisten tun zu können. Die Interaktion ist ein essenzieller Teil davon: Ich kann Tom Videos schicken und ihm Fragen stellen. Es fühlt sich wirklich so an wie die Zusammenarbeit mit einem der Komponisten, mit denen man aufgewachsen ist, – nur, dass dies hier und jetzt geschieht, es ist eine dynamische Erfahrung.“
Adès ist einer der international renommiertesten zeitgenössischen Opernkomponisten. Wir erinnern uns besonders gern an die an der Londoner Covent Garden Opera im Februar 2004 uraufgeführte schillernde Literaturoper „The Tempest“. Auf dem Album bieten die vier Ton-Vignetten eine pianistische Rückschau auf Adès‘ köstlich gesellschaftskritische erste Oper „Powder her Face“. Gerstein und Adès spielen diese Paraphrasen für zwei Klaviere als groteske Begebenheiten um „eine nicht mehr ganz taufrische Herzogin am Ende des 20. Jahrhunderts“ mit Witz und Lust an der lautmalerischen Ironie. Als historisches Modell dienten wohl die mit intimen Enthüllungen, Schimpf und Prozess geschiedene Ehe der Margaret Campbell, Duchess of Argyll. Die britische Schundpresse stürzte sich mit Wonnen auf das am Ende arme Leben der einstigen Schönheit und Gesellschaftsfigur. In der Musik von Adès beziehen sich vier Szenen ironisch auf das Parfum der Herzogin „Joy“ der Marke Patou (daraus wird dann einen ganz eigene „Ode to Joy“), die Szenen „Is Daddy Squiffy (=beschwipst)?“, die Arien „Fancy Being Rich!“ und „It is Too Late“. In letzterer kehrt der tote Herzog als Hotelmanager wieder, um die Herzogin aus dem Zimmer zu werfen. Auch die „Berceuse“ geht auf eine Opernszene zurück, diesmal auf Adès‘ letzter bei den Salzburger Festspielen uraufgeführten Oper „The Exterminating Angel“, zu deutsch ,Würgeengel‘. Es ist die pianistische Version eines Liebestods, als Eduardo und Beatriz beschließen, zu den Klängen eines Wiegenlieds gemeinsam zu sterben.
Die drei Mazurkas mit den dynamischen Bezeichnungen Moderato, Prestissimo und Grave wurden vom Emanuel Ax 2010 aus Anlass von Chopins 200. Geburtstag uraufgeführt. Wie bei der Konzertparaphrase wählt Adès hier eine traditionelle Form, um sie virtuos zu reanimieren, in einem kerzenbeleuchteten Ballsaal von raschen Skalen bewegt. Wehmut mischt sich final in die ins Nichts verschwindende Musik.
Das Herzstück des Albums bildet „In Seven Days“, ein Livemitschnitt vom 30.7.2018 aus der Seiji Ozawa Hall in Tanglewood mit dem Tanglewood Music Center Orchestra. Dirigiert hat wie bei der bereits 2011 entstandenen ersten Einspielung (mit der London Sinfonietta, Nicolas Hodges Klavier, erschienen 2012 unter dem Label Signum; in der Box ist die Musik mittels einer eigenen DVD durch filmische Visualisierungen von Tal Rosner und Sophie Clements ergänzt.) der Komponist selbst. Das halbstündige Drama mit Orchester und obligater Klavierbegleitung ist in sieben Abschnitte gegliedert und folgt dem Schöpfungsbericht aus der Bibel. „Das Stück will eine siebenteilige Entwicklung von Ideen sein, die wiederkehren und sich wandeln, die sich ausbreiten und explodieren, als würde der genetische Code des Universums in eine Musik ausbrechen, die sowohl organisch als auch geometrisch ist.“ Vom Chaos, Dunkel und Licht, der Trennung von Wasser und Himmel, zur Geburt von Land, Gras, Erde, Sterne, Sonne und Mond bis zur Erschaffung der Lebewesen zu Wasser, in der Luft und auf dem Land ist zu hören. Der siebte Teil ist eine Kontemplation.
Die Musik kleidet sich zunächst neoklassisch, indem sie auf barocke Vorbilder verweist. Später mahlert es ein wenig. Das genießerische Stück kann auch nicht verleugnen, dass Adès Hollywood und dessen Klangwelt bekannt ist. Dieser Schöpfungsakt stürzt sich in die Sterne, selbst wenn es nur Neon ist, was da leuchtet. Die Partitur eint das üppige Orchester mit dem tapfer und artistisch um seine Vorherrschaft ringenden Soloinstrument. Mir gefällt diese wirkungsvolle Komposition mit Assoziationen an planetare Filmmusik besonders gut. Die Sensation der Aufnahme ist Kirill Gerstein am Klavier, der in diesen „multidimensionalen musikalischen Strudel“ souverän Ordnung bringt. Ein alle Chakren öffnender Sinnenreizer.
Thomas Adès
In seven Days
Kirill Gerstein / Tanglewood Mulsic Center Orchestra
Myrios (Harmonia Mundi) 2020
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