Narzissmus, seine Varianten und Mechanismen verstehen. Eine Rezension von Barbara Hoppe
Das „N“-Wort geht um. Narzissmus. Der Narzisst. In Zeiten, in denen allerorts autokratische Politiker an die Macht kommen, rechte Parteien mit lauten Parolen Wähler gewinnen und – dagegen fast harmlos – Menschen ständig vor ihren Handys und Kameras posieren, um sich zu fotografieren oder ihre Meinung in eine Webcam zu sprechen und alles postwendend in diversen Social Media Kanälen zu posten, sprechen Experten zunehmend vom Phänomen des Narzissmus. Man hat das Gefühl, die ganze Welt bestehe fast nur noch aus Narzissten, denen fassungslose Menschen gegenüberstehen, die machtlos mit ansehen müssen, wie unsere Welt von Selbstdarstellern demontiert wird – und oder weil wir uns demontieren lassen.
Mitten in dieser Unordnung diffuser Gefühle von Machtlosigkeit und Entsetzen hat Bärbel Wardetzki, Diplom-Psychologin, das Büchlein zur Stunde geschrieben. Während sie schrieb, überfluteten uns täglich neue Eskapaden eines Donald Trump und so wundert es nicht, dass „Narzissmus, Verführung und Macht“ mit Beispielen aus dem Trump’schen Universum nicht geizt. Aber er ist nicht der einzige. Reihenweise tauchen die Namen von bekannten Politikern heutiger Tage auf, um anschaulich zu illustrieren, was maligner Narzissmus ist und wann jemand, im Gegensatz dazu, verantwortungsvoll mit seiner Rolle und Position umgeht.
Dabei vermag Bärbel Wardetzki den Bogen zu schlagen vom Narzissmus zur Verführung und zur Macht. Sie verdeutlicht die Unterschiede zwischen Charisma und Narzissmus ebenso wie zwischen Verführung und Machtmissbrauch. Sie zeigt, dass es immer auch einen Komplementärnarzissten geben muss, denn beide Seiten ergänzen sich und brauchen den anderen, um die eigenen Schwächen zu kompensieren. Dass dies alles sehr lesbar ist und nicht in einem Wust von Fachtermini und langatmigen Ausführungen versinkt, ist ein großer Verdienst der Autorin. Wer das Büchlein zur Hand nimmt, möchte schnell Antworten. Wenn die Welt um einen herum ins Wanken gerät, hat man keine Zeit mehr. Verstehen heißt, dass man sich auf den Weg machen kann, etwas zu verändern, eine Gegenposition einzunehmen. Heißt, Unsicherheit abzulegen und Sicherheit und Souveränität zurück zu gewinnen. Bärbel Wardetzki gelingt es, uns die Mechanismen des Narzissmus leicht, klar und knapp zu erklären. Dabei beschränkt sie sich weitestgehend auf die politische Macht. Erfahrungen mit Narzissten in Beruf und Partnerschaft streift sie nur am Rande, sind aber auch nicht Thema (wenn sie sich auch manches Mal durchaus gar nicht so sehr von den öffentlich wahrnehmbaren Narzissten in Politik und Gesellschaft unterscheiden).
Schnell lernt man die Grundzüge des Phänomens und seine Varianten kennen. Wer detaillierter in die Materie einsteigen will, kann sich die Vertiefungslektüre aus dem umfangreichen Literaturverzeichnis heraussuchen. Es geht darum zu erkennen, wie narzisstische Prozesse entstehen und ablaufen, damit wir gegen sie besser gefeit sind, sie verstehen und uns gegen Manipulation, Angst und Blendung wie Verführung wappnen können.
Bärbel Wardetzki hat ein kleines „Erste-Hilfe-Buch“ geschrieben, dass uns aus der Schockstarre lösen kann, indem es uns das Wissen und das Selbstbewusstsein gibt, den Narzissten und seine Technik zu entlarven.
Bärbel Wardetzki
Narzissmus, Macht und Verführung in Politik und Gesellschaft
Europa Verlag, München 2017
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